Harte Faktoren überwiegen beim Analysieren vom Lebenslauf, sogenannte weiche Faktoren bleiben weich – immer noch. Doch funktioniert eine solche Schwarz-Weiß-Malerei morgen überhaupt noch? Nicht wirklich, findet Talent-Management-Experte Michael Lazik von Cornerstone…
Die klassische Lebenslaufanalyse ist in den meisten deutschen Unternehmen nach wie vor eine fest installierte Größe. Statt Motivation oder cultural fit – also die Passung zwischen Unternehmen und Kandidat – in den Vordergrund zu stellen, zählen harte Fakten bei der Bewerberauswahl. Auch bei der weitere Karriereplanung wird mehr auf die fachliche Eignung als auf die „soft facts“ geachtet.
Aus bekannten Gründen: Der Arbeitsmarkt hat sich vom Angebots- zum Nachfragemarkt gedreht. Fachkräftemangel und demografischer Knick ermöglichen es aktuellen und künftigen Generationen, ihre Vorstellung von Arbeit viel stärker in die Unternehmen zu tragen als das früher der Fall war und es Bewerber buchstäblich wie „Sand am Meer“ gab. Und natürlich genauso viele Lebensläufe.
Neuer Karrierebegriff
Auch der Karrierebegriff hat sich grundlegend geändert – zumindest auf Bewerberseite. Es wird deutlich mehr Wert gelegt auf Entwicklungsperspektiven, auf horizontale Bewegungen oder Möglichkeiten zum Quereinstieg. Diese Vorstellung kollidiert natürlich mit der Lebenslaufanalyse und der Idee von linearen Karrierepfaden, die in den meisten Unternehmen vorherrscht.
Was ist nun aber der richtige Ansatz? Von einem Extrem ins nächste zu fallen, macht sicherlich wenig Sinn. Denn letztlich geht es darum, eine Übereinstimmung zwischen den Unternehmensanforderungen und den Ansprüchen und Erwartungen des Bewerbers/Mitarbeiters herbeizuführen. Gefragt ist also der goldene Mittelweg.
Hard facts oder soft skills? – sowohl als auch
Um wirklich eine Balance zu finden, ist es wichtig, zunächst einmal herauszuarbeiten, was überhaupt die absolut unabdingbaren Hard-facts für eine bestimmte Position sind. Auf diese Weise lässt sich eine schnelle und faire Vorauswahl treffen, ohne zu stark einzugrenzen. Dieses Vorgehen ist sowohl im Sinne des Unternehmens als auch des Bewerbers, weil beide wissen, wo sie stehen.
Im Anschluss gilt es, im Dialog mit dem Bewerber herauszufinden, ob Unternehmen und Kandidat zueinander passen, ob also der „cultural fit“ stimmt. Diese Phase ist entscheidend, denn im Gegensatz zu einer „charakterlichen“ Eignung lässt sich Fachwissen aufbauen.
Blick hinter die Kulissen
Ein klar skizzierter Bewerbungsprozess hilft, von Anfang an mehr Durchlässigkeit zu schaffen. Umso mehr, wenn Unternehmen nicht nur Interviews mit HR oder Führungskräften anbieten, sondern auch mit zukünftigen Kollegen oder gar Mitarbeitern aus anderen Fachbereichen. Ob der neue Mitarbeiter und das Team bzw. Unternehmen zusammenpassen, zeigt sich so deutlich klarer.
Umgekehrt bekommt aber auch der Bewerber die Möglichkeit, seine Fragen an verschiedene Personen zu richten und sich so ein ganzheitliches Bild zu verschaffen. Zwar ist dieses Vorgehen deutlich aufwändiger als der klassische CV-Check, im Gegenzug erhöht sich jedoch die Mitarbeiterbindung um ein vielfaches und auch Onboarding-Prozesse laufen reibungsloser ab. Der Mehraufwand ist also wohl investiert.
Mehr Bewegungsfreiheit
Wie bereits erwähnt funktioniert Karriere in Unternehmen noch meist nach strukturierten Laufbahnansätzen. Bisher wird eher wenig daran getan, laterale oder projektorientierte Karrierepfade aufzubauen und zu vermarkten. Um auch die Karriereerwartung des Mitarbeiters einzubeziehen und nicht nur einseitig auf den unternehmensseitigen Laufbahnplan abzustellen, ist es wichtig, dem Mitarbeiter mehr Mitbestimmung einzuräumen, beispielsweise über Mitarbeiter-zentrierte HR-Lösungen.
Mitarbeiter können damit ihre eigenen Karriereerwartungen artikulieren und Erfahrungen und Qualifikationen, die nicht im stellenspezifischen Profil hinterlegt sind, im eigenen Profil sichtbar und suchbar machen.
Gen Y: Schluss mit Selbstdarstellungsshow
Auch bei der Gen Y reicht das Selbstverständnis als „rare Ressource“ nicht aus, um sich im Wettbewerb durchzusetzen. Wie auch die Unternehmen selbst, müssen Bewerber in der Lage sein, abseits der eigenen Antriebe zu verstehen, was das Unternehmen will. Der Bewerbungsprozess ist keine Selbstdarstellungsshow, sondern der Versuch einer „Passung“. Gegen ein gesundes Maß an Selbstvermarktung ist nichts einzuwenden.
Im Gegenteil: Es ist wichtig, zu artikulieren, welche Fähigkeiten man hat und in welche Bereiche/ Funktionen man sich auf lange Sicht entwickeln möchte. Nur so, können die Möglichkeiten zur Mitbestimmung auch effektiv genutzt werden. Dabei darf aber nicht der Blick für das Gegenüber verloren gehen. Wer mehr Entwicklungsmöglichkeiten fordert, muss eine höhere Lernbereitschaft mitbringen, wer seine Karriere flexibel gestalten möchte, muss selbst mobil sein.
Denn letztlich geht es nicht darum, Machtverhältnisse einfach zu verschieben – der Taktgeber wird zum Bittsteller und umgekehrt – sondern darum, teils divergierende Erwartungen und Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Und das funktioniert nur, wenn sich beide Parteien in Richtung Mitte bewegen.
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