Nicht nur die jungen Leute sind von ihren Handys schwer loszubekommen. Tatsächlich sind es die Erwachsenen, die das eigentliche Problem darstellen.
Jetzt leg’ endlich das Ding weg! Diesen Ausruf habe ich schon zu oft gehört, insbesondere von älteren Menschen. Und diese Klage stößt bei mir auf Unverständnis. Sicher, Smartphones sind zweifellos zu ständigen Begleitern geworden, die uns rund um die Uhr mit Informationen und sogenannten sozialen Medien versorgen. Daher ist es nicht überraschend, dass übermäßiger Gebrauch von Smartphones negative Auswirkungen haben kann, was niemanden, auch Jugendliche nicht, verwundert.
Allerdings sind es zunehmend die Erwachsenen, die Schwierigkeiten haben, den “Ausknopf” zu finden. Manche von ihnen begeben sich erst dann in spezialisierte Suchtkliniken, wenn es fast schon zu spät ist. Im Gegensatz dazu fällt es Jugendlichen leichter, digitale Auszeiten zu nehmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es ihnen einfacher gemacht wird.
Feststehende Angebote für Lernende
Es gibt nämlich an zahlreichen Modellschulen im Land inzwischen erste, feststehende Angebote für Lernende. An einer davon, der Konstanzer Gebhard-Gemeinschaftsschule, arbeite ich selbst. „Medienpädagogik wird großgeschrieben“, berichtet Thorsten Rees, der das Medienzentrum vom Landkreis Konstanz leitet. Hier der digitale Elternabend, dort die Fortbildung von Lehrenden:
„Free your mind!“
Das Angebot reicht bis zum Basismodul, für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend, in der fünften Klasse – wo fast jeder mittlerweile ein eigenes Handy besitzt. Schulklassen haben sich daran gewöhnt, so berichten mir Kinder, dass die Lehrerin gleich zu Beginn die Handys einsammelt und am Ende der Stunde wieder ausgibt. Mittlerweile existieren dafür also klare Regeln, vor allem in der Mittelstufe. In der Oberstufe finden Meditationskurse statt, in der großen Pause, einmal pro Woche. Das Versprechen: „Free your mind!“ So steht es auf dem bunt gestalteten Plakat im Konstanzer Schulflur. “Befreie deinen Geist!”
„Always online“
„Always online“ gilt zwar noch immer für alle Altersklassen, insbesondere aber für die Älteren ab 40 Jahren. Es sind diejenigen, die einst ganz unvermittelt und ohne pädagogische Begleitung mit ihrer Smartphone-Nutzung begonnen haben. Nicht wenige Erwachsene klagen nun über die Folgen des digitalen Stresses, mit der mal eben noch beantworteten, beruflichen E-Mail im Urlaub, irgendwo zwischen Pool-Liege und Frühstückstisch. Erst mal passiert ist nichts. Außer, dass sich Kinder irritiert fragen: Warum dürfen eigentlich ihre Eltern ständig, weil alles so superwichtig ist, mit „dem Ding“ hantieren?
Später häufen sich die Klagen über Kopfweh oder Drehschwindel. Krankenkassen spüren die steigenden Kosten von Arztbesuchen, verursacht durch permanente Erreichbarkeit. Sie bieten mittlerweile zur Prophylaxe kostenlose Achtsamkeitsapps. Unikliniken in Freiburg, Tübingen und anderswo forschen derweil zu den Grundlagen von Onlinesucht. Betroffene Jugendliche werden frühzeitig versorgt mit Hilfsangeboten und Therapien zu „Internetnutzungsstörungen“ – auch der ihrer Eltern. Damit es erst gar nicht so weit kommt, kann Handyfasten helfen. Es geht dabei darum, eine gewisse Zeit bewusst auf die Nutzung des Handys zu verzichten, sich von der ständigen digitalen Präsenz zu befreien, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken.
Vier Stunden pro Tag am daddeln
Jugendliche verbringen Studien zu Folge im Schnitt vier Stunden pro Tag mit ihrem Smartphone. Das ist viel und deutlich länger als ältere Menschen, die nicht mit digitalen Endgeräten großgeworden sind. Und doch oder gerade deshalb gelingt es der Jugend von heute, den „digital Natives“, deutlich leichter, Handyfasten auch wirklich durchzuziehen.
Ich selbst habe das mit einer elften Schulklasse an der Gebhard-Gemeinschaftsschule in Konstanz vor den Sommerferien eine Woche lang ausprobiert. Und hier sind sie, meine Aufzeichnungen aus Gesprächen mit den Jugendlichen, zwischen 16 und 18 Jahren alt. Da gibt es zum Beispiel Felix: ein Schüler, der sich entschieden hat, am Handyfasten teilzunehmen. Felix, der auch bei den Pfadfindern engagiert ist, weiß, dass dafür viel Kraft und Durchhaltevermögen gefordert ist – noch mehr als das vor Ostern übliche Fasten von Schokolade oder anderen Genussmitteln. Er sich einen analogen Wecker besorgt und schaut seitdem zumindest nicht mehr sofort nach dem Aufstehen auf sein Handy, um neue Kurznachrichten zu überprüfen. Die Veränderung in Felix’ Verhalten in den ersten Fastentagen fällt bald auch einem Mitschüler auf. Luka ist der Meinung, dass man Menschen nicht zwingen kann, auf etwas zu verzichten. Aber man könne sie überzeugen – von „Digital Detox“, der Pause vom Digitalkonsum. In seiner Freizeit geht er Fußball spielen: Ausgleich für den Verzicht auf digital exponentiell gesteigerte Kontakte und auf diese Dopaminausschüttung im Hirn, die bei jeder Bildschirm-Entsperrung erfolgt.
Es gibt verschiedene Ansätze, dem digitalen Stress und der Überreizung zu entkommen. Ein schrittweises Vorgehen sei entscheidend, berichten mir die Lernenden im Unterricht. Es beginne damit, einzelne Apps und Plattformen zu deinstallieren, die für das eigene Leben irrelevant sind. Ehrlichkeit zu sich selbst sei dabei von grundlegender Bedeutung.
Ohne Aufrichtigkeit wäre das gesamte Vorhaben sinnlos. Anschließend sollte man die Nutzung anderer Anwendungen für einen bestimmten Zeitraum einschränken. In der abschließenden Phase könne man sogar versuchen, das Handy gänzlich wegzulegen. Dieser Prozess ermögliche auch ihren voll berufstätigen Eltern, wieder einen klaren Blick auf den Alltag zu gewinnen und sich mit ihrem inneren Selbst neu und ganz analog zu verbinden. „Es ist eine persönliche Aufgabe, die jeder für sich selbst meistern muss“, schlussfolgert die Clique.
Gemeinsam einsam
Die Jugendlichen haben es leichter als ihre Eltern. Sie bieten einander Beistand an und Unterstützung, indem sie ihre Erfahrungen teilen und auch andere dazu ermutigen wollen, sich ebenfalls dieser digitalen Herausforderung zu stellen. So entsteht eine Gemeinschaft Gleichgesinnter. Und ich bin mir sicher, sie wird noch einen revolutionären Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Ob die “Digital Detox”-Kampagne der TK-Krankenkasse oder andere Initiativen und Hilfsangebote – sie sind der erste Schritt. Den Jugendlichen ist jetzt schon klar: Eine Woche ohne Handy kann das Leben verändern. Auch Mitschülerin Jule hat diese Erfahrung gemacht. Sie merkt, dass sie sich bewusster auf ihre Umgebung einlassen kann, wenn sie nicht ständig von „Push-Up“-Benachrichtigungen abgelenkt wird.
Sie findet, dass analoge Verbindungen zu Menschen mehr bedeuten als fortwährende digitale Interaktion irgendwo im Nirgendwo. Jule genießt Momente der Unterbrechung, der Stille und Ruhe, in denen sie ihre Gedanken sortieren und auch ihrer Kreativität mal wieder freien Lauf lassen kann.
Die digitale Welt hat einen wichtigen Platz in unserem Leben eingenommen. Das Handyfasten von jungen Menschen wie Felix, Luka, Jule und anderen ist keine Absage an die Technologie, sondern eine ganz bewusste, persönliche Entscheidung. Jeder muss für sich ganz persönlich die „richtige“ Herangehensweise finden. Wer will sich das schon vorschreiben lassen. Indem wir uns in aller Freiheit ganz bewusst für Phasen des Handyfastens entscheiden, lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, ordnen unsere Gedanken, gewinnen neue Perspektiven. Handyfasten hilft, unsere Abhängigkeit von digitalen Geräten zu verringern.
Wie wär’s denn damit! Finden wir zu einem gesünderen Gleichgewicht zwischen virtueller und realer Welt. Und hören wir auf mit diesen dämlichen Appellen wie „Leg‘ das Ding weg“. Von wegen! Hören wir lieber auf diese jungen Menschen, die auch uns ein Vorbild sein können. Hier und jetzt.