Studium oder Ausbildung – eine Entscheidung ohne Umkehroption? Und kann man wirklich nur mit akademischem Abschluss ein gutes Gehalt erzielen? Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung nimmt Mythen rund um die nachschulische Bildung unter die Lupe und stellt sie Fakten gegenüber…
Redewendungen wie „Nur Akademiker verdienen richtig gut“ oder „entweder Studium oder Ausbildung, man muss sich entscheiden“ so oder ähnlich lauten hartnäckige Ansichten, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung gebildet haben. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung und dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung stellt diese und andere weitverbreiteten Mythen rund um die nachschulische Bildung nun Fakten gegenüber.
Die Ergebnisse zeigen: In der nachschulischen Bildung herrscht seit einigen Jahren eine erhebliche Dynamik, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung ist so groß wie nie zuvor. Bildungsinteressierten eröffnen sich Möglichkeiten, von denen sie bislang oft noch nichts wussten. Die Studienautoren sind sich einig: „Hier muss die Informationslage verbessert werden, damit junge Menschen sich ergebnisoffen orientieren können und zu fundierten Entscheidungen kommen.“ Grund genug, sich einige dieser Mythen genauer anzusehen und mit ihnen aufzuräumen.
Mythos 1: Nach der Schule wird der berufliche Weg ein für alle Mal festgelegt
Stimmt nicht: Wer sich nach der Schule für eine berufliche Ausbildung entscheidet, legt sich damit keinesfalls für alle Zeiten fest. Dasselbe gilt für diejenigen, die nach dem Abitur studieren. Man muss sich auch nicht von vornherein zwischen Studium oder Ausbildung entscheiden: Ein duales Studium kombiniert berufliche und akademische Bildung. Daneben ist es immer möglich, den eingeschlagenen Bildungsweg anzupassen, auch in fortgeschrittenem Alter noch. Denn das Bildungssystem ist in den vergangenen Jahren flexibler und durchlässiger geworden. Allerdings sind die vorhandenen Möglichkeiten noch wenig bekannt.
Seit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2009 verleiht auch der Abschluss einer beruflichen Aufstiegsfortbildung, wie Meister, Fachwirt oder Techniker eine Hochschulzugangsberechtigung. Die Zugangsregelungen variieren allerdings von Bundesland zu Bundesland, sodass die Orientierung nicht immer einfach ist. Auf der Webseite www.studieren-ohne-abitur.de finden Studieninteressierte, die kein Abitur haben, alle relevanten Informationen.
Für Beschäftigte, die nach einer Ausbildung und einigen Berufsjahren den nächsten Karriereschritt gehen, aber nicht auf ihr Gehalt verzichten wollen, bieten IHK- und private Akademien nebenberufliche Fortbildungskurse an, um auch ohne Studium und neben dem Beruf einen Bachelor- oder Masterabschluss zu erreichen. Kostenlose Infoabende klären über die Rahmenbedingungen auf und geben Einblick in Lehrinhalte.
Mythos 2: Nur Akademiker verdienen richtig gut
Stimmt so pauschal nicht. Zwar trifft beim Betrachten des durchschnittlichen Bruttoeinkommens in Deutschland die Faustregel zu: Höherer Bildungsabschluss = mehr Geld. Diese allgemeine Betrachtungsweise bedeutet jedoch nicht, dass ein Studium per se eine bessere Bezahlung garantiert; auch berufliche Bildung kann zu einem vergleichbaren Einkommen führen. Ein Beschäftigter mit Studienabschluss verdient statistisch betrachtet zwar mehr, als jemand mit Berufsausbildung, allerdings nicht mehr, als Absolventen einer Aufstiegsfortbildung wie Meister oder Techniker. Die Befragung zeigt außerdem: Für junge Menschen steht das Gehalt als Treiber bei der Berufswahl erst an dritter Stelle. Auf Platz eins und zwei stehen inhaltliche Interessen an der Arbeit und ein Beruf, der zu den persönlichen Fähigkeiten passt.
Mythos 3: Wer Ausbildung oder Studium abbricht ist gescheitert
Stimmt nicht. Ganz abgesehen davon, dass es unterschiedliche Gründe für einen Studien- oder Ausbildungsabbruch geben kann, wie Finanzierungsprobleme, Betreuungsverpflichtungen oder Krankheiten: Wenn jemand im Laufe seines Studiums realisiert, dass er oder sie in einer beruflichen Ausbildung besser aufgehoben ist, dann kann eine Umorientierung durchaus sinnvoll sein. Viele als „Studienabbruch“ gezählte Fälle sind tatsächlich gezielte und nachvollziehbare Umorientierungen im Bildungsweg.
„Ausbildungsabbrüche oft Suchprozesse“
Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat gezeigt, dass rund 43 Prozent der Studienabbrecher ein halbes Jahr nach ihrer Exmatrikulation eine Berufsausbildung begonnen haben. Auch wer sein Studium abbricht, weil er sich mehr Praxisbezug wünscht, kann über eine Berufsausbildung mit anschließender Aufstiegsfortbildung einen vergleichbaren Abschluss erreichen. Im Hinblick auf Ausbildungsabbrüche zeigt eine Analyse der Daten des Nationalen Bildungspanels, dass es sich dabei oft um Suchprozesse handelt. In den meisten Fällen wird eine neue Ausbildung in einem anderen Betrieb oder in einem anderen Beruf aufgenommen – oder auch in ein Studium gewechselt. Lediglich fünf Prozent der Ausbildungsabbrecher wenden sich dauerhaft von der Berufsausbildung ab.
Schluss mit irreführenden Narrativen
„Alle gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure, ob in Politik, Medien, Hochschulen oder in der beruflichen Bildung, sollten weder bewusst noch unbewusst Mythen bedienen und diese weiter verstärken“, lautet eine Schlussfolgerung der Studienautoren. Beide Bildungswege sind gleichermaßen wichtig für unsere Gesellschaft, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken.
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