Gerade durch die Corona-Pandemie stieg die Bedeutung von Videokonferenzen in den letzten Jahren exponentiell an und sorgte damit für eine anhaltende globale Veränderung im Arbeits- und Kommunikationsverhalten. Markus Vollmer berichtet…
Durch die zunehmende Virtualisierung zahlreicher Arbeitsplätze und sozialer Interaktionen haben sich Videocalls immer mehr zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Alltag entwickelt. Egal ob auf beruflicher oder privater Ebene – in der Ära der weltweiten Vernetzung und digitalen Kommunikation spielen sie eine entscheidende Rolle in der zwischenmenschlichen Interaktion. In beruflichen Besprechungen, virtuellen Schulungen oder auch privaten Beziehungen ermöglichen sie es, unkompliziert miteinander zu kommunizieren, unabhängig von geografischen Distanzen.
Nutzen für beide Seiten
Wer sich beispielsweise für eine neue Arbeitsstelle außerhalb der Heimatstadt bewirbt, musste noch in der nahen Vergangenheit oft mehrfach längere Anreisewege für die ersten Bewerbungsgespräche auf sich nehmen. Heute braucht niemand mehr für einen viertelstündigen Kennenlerntermin mit der Personalabteilung von Stuttgart bis nach Berlin fahren. Solche Treffen zu Beginn des Prozesses verlegen viele Unternehmen gerne in den digitalen Raum, um sich und den Bewerberinnen und Bewerbern unnötigen Aufwand und Reisezeit zu ersparen. Vertrauen erweist sich für diese Videokonferenz-Technologie von entscheidender Bedeutung für ihre Akzeptanz und effektive Nutzung. In diesem Zusammenhang sorgt ein Thema aber trotz des technologischen Fortschritts immer wieder für kommunikative Schwierigkeiten zwischen den einzelnen Parteien: der fehlende Blickkontakt.
Vertrauen auf den ersten Blick?
Als fundamentales Element der menschlichen Kommunikation dient er psychologisch vor allem dazu, Emotionen, Absichten oder auch Vertrauen zu übermitteln. In der persönlichen Face-to-Face-Kommunikation ermöglicht das Aufeinandertreffen der Augen eine direkte Verbindung zwischen den einzelnen Gesprächspartnern und trägt somit dazu bei, eine empathische Beziehung mit dem anderen aufzubauen.
“emphatische Beziehung mit dem anderen aufbauen”
Dieses Prinzip gilt eigentlich auch für Videocalls, obwohl die Interaktion in diesem Fall über den Bildschirm erfolgt. Dadurch können die Teilnehmer beispielsweise erkennen, ob der Gesprächspartner aufmerksam zuhört, Zustimmung signalisiert oder auch Unsicherheiten ausstrahlt. Gerade die noch begrenzten Fähigkeiten der Videocall-Technologie stellen jedoch in diesem Zusammenhang eine Herausforderung dar, mit der beispielsweise Human-Ressource-Abteilungen aktuell leben müssen.
Qual der Wahl
Aufgrund der klassischen Positionierung der Kamera am oberen Bildschirmrand stehen viele Teilnehmer von digitalen Meetings vor einem Dilemma. Entweder richten sie ihren Blick auf den Bildschirm, um ihrem Gegenüber ins Gesicht zu schauen, oder sie blicken konstant in die Linse der Kamera, um für die anderen das Gefühl von Blickkontakt zu vermitteln. Ersteres transportiert aufgrund des Fehlens von ebendiesen zwar das Bild von scheinbarem Desinteresse, aber hilft dem Individuum, die nonverbalen Signale des anderen auf dem Bildschirm besser zu lesen. Zweiteres sorgt beim Gegenüber zunächst für Vertrauen und das Gefühl von geschenkter Aufmerksamkeit, aber verhindert gleichzeitig das stetige Lesen der gesendeten Mimik. Viele entscheiden sich aktuell noch für den Blick auf den Bildschirm, um den anderen im Meeting bestmöglich zu verstehen. Der daraus entstehende Eindruck bei dem zuständigen Mitarbeiter kommt den möglichen Bewerberinnen und Bewerbern nicht immer zugute.
Fehlende nonverbale Kommunikation
Aber auch technische Schwierigkeiten stören die nonverbale Kommunikation. Beispielsweise müssen sich einige Kandidatinnen und Kandidaten immer wieder mit nicht funktionierenden Kameras, Unterbrechungen oder Verzögerungen bei der Bildübertragung auseinandersetzen. Erst durch das direkte Ansehen über die Kamera zeigt der Sprecher sein volles Engagement und seine Verbindlichkeit, was wiederum das Vertrauen der Zuhörer stärkt.
Gerade in diesem unpersönlicheren digitalen Raum nimmt die Bedeutung der Interpretation von Emotionen und Stimmungen stark zu. Fehlender Blickkontakt beeinflusst hierbei unter anderem die Wahrnehmung und beschädigt das Vertrauen der einzelnen Teilnehmer, da es den natürlichen Fluss der Kommunikation stört. Niemand führt gerne eine Konversation, wenn er vom Gegenüber unbewusst nur Desinteresse empfängt und sich nicht entsprechend gehört oder wahrgenommen fühlt.
Technische Lösung auf dem Vormarsch
Zwar besteht die Möglichkeit, die zwischenmenschliche nonverbale Kommunikation aktiver in die Unterhaltung einzuplanen, indem die Teilnehmer beispielsweise in Sprechpausen bewusst in die eigene Kamera schauen. Dieses Vorhaben erfordert aber häufig einiges an Übung und geht im Sprechfluss leider schnell unter oder gerät in Vergessenheit. Zudem erweist sich der Blick auf die eigene Reflexion oft als sehr verlockend.
Wer hat sich noch nicht dabei erwischt, eher das eigene Bild zu betrachten, als aktiv die anderen Teilnehmer wahrzunehmen. Wer trotzdem seinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen möchte, kann in der heutigen Zeit einfach auf neuere Softwarelösungen zurückgreifen. Casablanca.AI, ein Start-up aus Pforzheim, hat sich dieses Problems beispielsweise mit einer speziell entwickelten künstlichen Intelligenz angenommen. Diese hebt bei der Benutzung in der Videokonferenz den Blick automatisch vom Bildschirm auf die Höhe der Kamera und lässt somit auf natürliche Weise Augenkontakt mit den anderen Teilnehmern entstehen.
Blickkontakt mit Unterstützung der KI
Bei der Anwendung der Software kommt es jedoch selbstverständlich nicht zu einem dauerhaften und unnatürlichen Verschieben der entsprechenden digitalen Gesichtspartie. Die KI erkennt stattdessen, wenn die eigenen Augen sowieso auf den Bildschirm gerichtet sind, und bewegt virtuell das Sehorgan so weit nach oben, bis es wirkt, als würde derjenige von sich aus in die Kamera blicken. Sobald der Teilnehmer den Kopf jedoch wegdreht, nimmt die künstliche Intelligenz dies wahr und beendet sofort den erstellten Blickkontakt.
Gerade im beruflichen oder privaten Geschäftsumfeld kann dies aber oft scheinbar Wunder bewirken. Egal ob es sich um ein Online-Bewerbungsgespräch, ein Meeting mit einem möglichen Business-Partner oder das Finanzierungsgespräch mit der hauseigenen Bank handelt, in den meisten Fällen benötigt es eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den einzelnen Parteien, damit es zu einem gelungenen Abschluss kommt.
Schritt in die Zukunft des neuen Miteinanders
Vertrauen bildet das Rückgrat jeder erfolgreichen Videokonferenz. Sowohl die technologischen als auch die menschlichen Aspekte tragen gleichermaßen dazu bei, ein Umfeld zu schaffen, in dem Nutzer sich sicher fühlen und wohlfühlen. Anbieter von Videokonferenzdiensten stehen somit vor der fortwährenden Herausforderung, Vertrauen aufzubauen und zu erhalten, um auch die Akzeptanz und effektive Nutzung ihrer Plattformen sicherzustellen. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und den Fortschritt in der Technik steht dem Verlegen der persönlichen Gespräche in den digitalen Raum endlich nichts mehr im Weg. Somit kann das Zeitalter der persönlicheren Videokonferenzen beginnen.
Über den Autor: Markus Vollmer ist seit 2022 COO des Pforzheimer KI-Start-ups Casablanca.AI GmbH. Mit seiner rein softwarebasierten Lösung erzeugt das Unternehmen digitalen Augenkontakt in Echtzeit, um ein natürliches Gesprächserlebnis von Angesicht zu Angesicht herzustellen. Nach Masterabschlüssen in den Bereichen General Management und International Business Management in Stuttgart sowie Edinburgh widmete er sich Tätigkeiten in der Finanzbranche – unter anderem für die Deutsche Bank und Börse Stuttgart Holding. Zudem gab er sein Fachwissen als Hochschul-Dozent in Stuttgart weiter. Seine Expertise zur Portfolio-Optimierung wurde in Form eines Fachbuchs der Reihe „Best Masters“ von SpringerGabler veröffentlicht. Seit über einer Dekade verantwortet Markus Vollmer die Personal- und Finanzbereiche von Wachstumsunternehmen.
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