Stell dir vor, dein Handy pingt dich ständig an und sagt dir, ob du “gut genug” trainiert hast. Nervig, oder? Das Model Deborah Frey kennt das nur zu gut! Egal ob auf dem Laufsteg oder beim Sport – überall lauern Zahlen. Aber was sagt uns das wirklich über uns selbst? In dieser Reportage nehmen wir dich mit auf Deborahs Reise zwischen Modelmaßen und digitalen Trackern. Vom Laufsteg bis zur Altenpflege, ihre Story zeigt: Es geht um viel mehr als nur Zahlen. Bist du bereit, hinter die Kulissen zu blicken? Lass uns starten!
Es riecht nach Schweiß in der Umkleidekabine. Das Pumpen von Gewichten ist auf Dauer ganz schön anstrengend. Soundso viel Kilogramm, Puls, Höhenmeter. Und alles wird geregelt von einer App. Dank ihr verkündet das Smartphone irgendwann: persönliches Tagesziel für heute erreicht. Auf dem Bildschirm flimmert eine kleine Medaille auf, eine kurze Melodie erklingt, und zack! Schnell einen Screenshot machen. Wie nützlich. Wir lernen laufend mehr, über uns selbst, unsere Schritte und ureigene Schlafmuster – in Echtzeit. Doch eine Frage bleibt. Wollen wir das wirklich, diesen digitalen Wettlauf?
Deborah Frey, Jahrgang 1990, schnürt sich ihre Joggingschuhe und fragt sich mit ernster Miene: Wozu das Ganze? Die Konstanzerin arbeitet an verschiedenen Sets, in unterschiedlichen Rollen. Und hört dabei an der Garderobe, bei der Maske, ganz Ähnliches wie in der Umkleide. Da wird geredet vom Stärken des eigenen Körpers, sich „etwas Gutes tun“, gar den Geist fürs nächste Shooting disziplinieren. Alles messbar, ganz ohne Maßband. Meinungen werden ausgetauscht, gefachsimpelt. Von Ärzten, Sportwissenschaftlern und Psychologen, die davor warnen, dass die neue Vermessung des Körpers, immer stärker digital vernetzt, zu einer echten Obsession werden kann. Der implantierte Chip, der fehle noch. Allerdings!
(Un)gesunde Schönheitsideale
Deborah kennt das ständige Bewerten, die Taktung, die Suche nach dem optimalen Timing und die straffe Agenda – aus ihrem früheren Beruf als Altenpflegerin. Sie hat unter anderem in der Psychiatrie gearbeitet und dabei Extremsituationen erlebt mit Menschen, die verletzt waren. Solchen, die nicht mehr funktionierten wie eine Maschine. Und anderen, die beschäftigt waren – „mit anderen Themen statt Oberflächlichkeiten“.
Sie habe Glück gehabt, zuerst in der Pflege zu arbeiten, sagt sie gegenüber dem SÜDKURIER. Die Ausbildungszeit beschreibt sie als besonders intensiv, als „Arbeit sehr nah am Leben“. Dort, wo weniger das Äußerliche im Vordergrund steht als das Innere. Deborah glaubt, dass sich ihr Blick aufs Leben anders entwickelt hätte, wäre sie früher ins Model-Business eingestiegen. Denn auch das ist zweifelsohne hart, auch dort geht es um Zahlen, Körperdaten und Vitalitätswerte – nur sind es andere als in der Pflegebranche. Für Shootings steht Deborah häufig im Mittelpunkt, ob für eine Sportmarke wie Adidas oder Automarken wie Mercedes. Meistens geschminkt, gefiltert, dauernd lächelnd.
Bauch rein, Brust raus, Kopf hoch. Für ihren nächsten Auftrag verschickt die 32-Jährige einen Auszug aus ihrer „Sedcard“. Körpergröße: 172 cm. Körpermaße: Brust 81 cm, Taille 61 cm, Hüfte 90 cm. BH: 75 A. Kleidergröße: 34 / 36 (XS-S). Haare: blond, sehr lang. Augenfarbe: grün/braun. Schuhgröße: 39. Aussehen: skandinavisch. Hautfarbe: hell. Deborah weiß von ungesunden Verhaltensweisen am Set bis hin zu einem verzerrten Körperbild. Gerade dort sehe sie immer wieder unrealistische Schönheitsideale, sagt sie.
Der Trend gehe gleichsam in Richtung „Magermodel“ ebenso wie „Plus-Size-Model“. Bodypositvity (u.a. Thema in einer Ringvorlesung am RTWE), also ein Körperverständnis jenseits unrealistischer oder diskriminierender Schönheitsideale, findet Deborah superwichtig. Unsere Körper seien doch einzigartig, sagt sie, weder adipöse noch völlig abgemagerte Körper sollten so sehr als Vorbild angepriesen werden. „Kein Extrem ist in meinen Augen gut.“
„Kein Extrem ist in meinen Augen gut“
Deborah hat mittlerweile ihr Wohlfühlgewicht erreicht, „ein paar Kilo mehr“, die seien dazu gekommen. Mit diesen Maßen, mit dem Gewicht, das sie jetzt habe, sei sie zufrieden. „Und das ist absolut in Ordnung, so wie es ist“. Sie hat Kommunikationsdesign studiert, an der HTWG in Konstanz. Entsprechend ist sie für stereotype Schönheitsideale sensibilisiert, insbesondere im Internet, wo sie sich durch kraftstrotzende Bilderstrecken und homogenisierende Algorithmen im Hintergrund verfestigen. Deborah geht dazu auf Distanz, will sich selbst ausdrücken. Angefangen bei ihren Muttermalen bis zum Tattoo am linken Fuß mit der Unterschrift ihrer Oma.
Besonders problematisch findet sie den Abgleich von digital erhobenen Leistungsdaten mit der sogenannten Community, also mit anderen Menschen, die sich ihrerseits im dauerhaften Online-Modus befinden. Jeder komme doch von unterschiedlichen Ausgangspunkten, sagt sie: Der eine sei Sportmuffel, der andere süchtig nach permanenter Selbstoptimierung. Bei so unterschiedlichen Voraussetzungen ergeben Vergleiche einfach wenig Sinn.
Deborah ist genervt von den ganzen Zahlen. Die ganzen „Push-Ups“ stressen, also die ständigen, ungefragten Nachrichten aufs Handy mit weiteren Zielvorgaben. Deborah findet es deutlich schöner, wenn sie ihre Fortschritte selbst spürt und auf diese stolz sein kann. „Entscheidend ist doch, wie ich mich dabei fühle oder was das Ergebnis meines Tuns ist, und nicht, was mir die App als Nächstes sagt.“
Stress durch permanente „Push-Ups“
Das Werteversprechen der Daten-hungrigen Industrie, dass wir unsere Gesundheit, gar die Lebensqualität allein dadurch verbessern, hält Deborah für Quatsch mit Soße. Es brauche immer noch gesunde Gewohnheiten und eine ausgewogene Lebensweise, um unser Wohlbefinden zu verbessern. Allerdings nutzt sie eine App für die Zeit, die sie am Stück an Produktionen arbeitet. „Weil ich versuche, produktiv zu sein und dann ebenso aktiv Pausen machen will“. Sie befürwortet eine Art von Tracking, die Selbstfürsorge zu erhöhen. Etwas, dass sie nicht in den direkten Vergleich zu anderen bringt. „Es kann helfen Apps zu nutzen, aber es sollte doch nicht der Fokus und das Ziel meines Tuns sein, einer bestimmten Zahl hinterher zu jagen.“
„… zu viel online gewesen“
Deborah erinnert sich noch gut an den Tag, als bei einem Citytrip nach Wien ihr Handy kaputtging. Sie hatte anfänglich Entzugserscheinungen. „Ich war zu viel online gewesen“, sagt sie. Und das merkte sie, als sie wieder ganz analog nach dem Weg fragte, den Kopf nach vorne gerichtet statt gekrümmt aufs Display. Aktiv statt passiv ihre Schritte zählen zu lassen und parallel das nächste Posting vorzubereiten. Ein zehntägiger Kurs in Vipassana-Meditation, einem tiefgreifenden Achtsamkeitstraining in einem Meditationszentrum in Thailand hat Deborah dabei geholfen, sich wieder aufs Innere zu besinnen. Und sie ergänzt: „Dinge gehen zu lassen“. Sie will wieder mehr im Moment leben und den genauso annehmen, wie er nun mal eben ist.
Deborah beschreibt ihre Welt außerhalb von Katalogbildern, auf denen sie selbst regelmäßig zu sehen ist. In Turnschuhen, mit straffem Bauch und ambitioniertem Blick. Und doch in Live-Postings ebenso im Schlafanzug, ungeschminkt. Auf Instagram hat die Konstanzerin, gebürtig aus Ravensburg, etwas Neues ausprobiert, kurz vor ihrem Abflug in die USA wo sie die vergangenen Wochen verbrachte. Sie machte ein „Live“, früh morgens – einfach so. Ohne einen einzigen Blick in den Spiegel vorher, direkt in die Mattscheibe. Und kommentiert für ihr Publikum: „Ich finde mich schön, so wie ich bin – auch mit meinen Muttermalen“. Deborah bekommt dafür von ihren Followern 32 Herzchen. Zuvor hatte einer ihrer Follower Deborahs Body-Mass-Index, kurz BMI ausgerechnet. Ihr liebster Kommentar dazu unter ihrer Storyline war: „So what?“
Diese Recherche ist zuerst im SÜDKURIER erschienen, im Wochenende-Magazin/ Mantelteil am 30.7.2023 der Print-Ausgabe – und online hier.
Artikelbilder: Bjørn Jansen/ Fotograf