Nach dem Abitur kommt die universitäre Laufbahn. Natürlich! Aber dann: Abgebrochen, Uni verlassen. Vom Ende einer Beziehung, einem neuen Anfang und damit verbundenen Chancen berichtet Julia Bergner…
Drei Jahre ist es her, da wollte Helen Gast nichts als weg. Weg aus dem südenglischen Ort Brighton, weg von der Universität, weg vom Tourismusstudium. Sie war genervt, enttäuscht und fertig mit der Welt. Das Studium, das sie sich zwei Jahre zuvor ausgesucht hatte, war nichts mehr für sie: „Den Studieninhalt fand ich zwar immer interessant, aber ich war mit der Qualität der Uni oft unzufrieden. Ich habe internationales Tourismusmanagement studiert, weil ich die Branche für vielseitig und zukunftsfähig hielt.
Aber das Studium war überhaupt nicht international ausgerichtet, ich konnte nicht einmal eine weitere Fremdsprache lernen.“ Außerdem machte ihr das akademische Arbeiten keinen Spaß. Teilweise, sagt sie, hasste sie es regelrecht. Das britische Dauernass verregnete ihr zusätzlich die Stimmung. Helen Gast packte ihre Koffer. Rein ins Flugzeug, zurück nach Deutschland. Abgebrochen.
Ein Viertel aller deutschen Studenten verlässt die Hochschule ohne Abschluss – Tendenz der Studienabbrecher steigend. Viele nach wenigen Monaten, einige erst nach mehreren Jahren. Für die meisten fühlt sich der Studienabbruch an wie das Scheitern einer Beziehung: Ich und mein Studium – wir haben es nicht geschafft, wir mussten uns trennen. Das tut weh.
Auch Uni? Was denn sonst!
Denn eigentlich hatte man ja Ansprüche gehabt: Die Partnerschaft sollte funktionieren, der Partner sollte perfekt sein. Weniger als ein Studium? Niemals! Man hatte ja schließlich 12 Jahre lang für eine Allgemeine Hochschulreife gepaukt. Auch Helen Gast wollte schon immer studieren.
Die akademische Laufbahn stand nie in Frage: „In den Berufsinformationswochen im Gymnasium wurden uns unzählige private Hochschulen, ausgefallene Fächer wie Pferdewissenschaften und duale Studiengänge vorgestellt. Ich hätte nie daran gedacht, nicht an die Uni zu gehen. In meinem Umfeld gab es auch niemanden, der einen anderen Weg eingeschlagen hatte.“
Die eigenen Ansprüche revidieren: Doch jetzt – nach zwei Jahren – muss sie sich eingestehen, dass es mit ihr und der Uni in diesem Leben nichts mehr wird. Es ist keine leichte Aufgabe, die eigenen Ansprüche zu revidieren und neu zu ordnen. Schließlich ist sie überzeugt, dass eine Berufsausbildung der richtige Weg für sie ist.
Neue Partnersuche
Endlich kann es weitergehen. Ärzte, Krankenhäuser, Arztpraxen – das fand Helen Gast schon immer toll. Eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten erscheint ihr das Richtige. Sie kann die Ausbildung auf anderthalb Jahre verkürzen. Sie fühlt sich gut. Der schulische Teil fällt ihr sehr leicht und die Arbeit in einem ambulanten OP-Zentrum macht ihr Spaß. Dank Ausbildungsvergütung und Kindergeld kann sie sich selbst ernähren.
“Weiter studieren oder endlich mal arbeiten…”
Nach Beendigung der Ausbildung arbeitet Helen Gast noch ein Jahr in ihrem Ausbildungsbetrieb. „Ich merkte aber bald, dass ich ein wenig unterfordert und definitiv unterbezahlt war.“ Statt es doch noch einmal an der Uni zu probieren, sieht sie die Vorteile im Arbeitsleben und bemüht sich lieber um eine zusätzliche Ausbildung am Universitätsklinikum Heidelberg zur operationstechnischen Assistentin. Nebenbei arbeitet sie als Arzthelferin. „Meine neue Ausbildung ist unglaublich interessant, abwechslungsreich und geistig sowie körperlich anspruchsvoll.“
“Willst Du (k)eine Karriere machen?”
Helen Gast hat mit ihrer universitären Karriere abgeschlossen und ist glücklich, gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen zu haben – quasi als Karriereverweigerer: „Sonst würde ich mich jetzt vielleicht immer noch durch die akademische Welt quälen, für die einfach nicht jeder gemacht ist.“ Sie hat sich damit abgefunden, dass sie kein „Akademikergehalt“ verdienen wird. Für sie ist es viel wichtiger, Spaß an ihrer Arbeit zu haben, etwas zu tun, was ihren Mitmenschen nützt und Kollegen zu haben, mit denen sie sich auch privat befreundet ist.
Trotzdem verstehen viele Bekannte ihre Entscheidung bis heute nicht. „Ich werde immer wieder gefragt, warum ich das Studium nicht durchgezogen habe oder warum ich keine „Karriere“ machen will. Auf diese Fragen habe ich langsam keine Lust mehr. Oft verschweige ich deswegen Leuten, die ich neu kennenlerne, die Tatsache, dass ich mal ein Studium angefangen habe.“
Über die Autorin: Julia Bergner macht gerade ihr “Volo” bei der Nachrichtenagentur idea spektrum. Die Nachwuchsjournalistin ist (fast) noch Teil der Generation X und hat in den letzten Jahren über ihre Zeit bei den Pfadfindern viel mit Jugendlichen über ihre beruflichen Wünsche gesprochen. Hier hat sie einige von ihnen vorgestellt…
Artikelbild: Elnur/ Fotolia.com
1 Kommentar
Ich fühle mit dir! Ich wollte immer Medizin studieren! Mein Abi war zu schlrcvt, also hab ich erst eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten und dann zur Operationstechen Assistentin gemacht. Ich hatte mit Medizin angefangen und es dann nach zwei Semestern abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass die universitäre Laufbahn nichts für mich ist. Mein Job ist abwechslungsreich und ich liebe es einfach nach Feierabend machen zu können, worauf ich Lust habe. Als ich studiert habe, hatte ich immer den Druck im Nacken noch etwas für die Uni tun zu müssen! Da ich auch noch neben dem Studium gearbeitet hatte, hätte ich eigentlich nie frei. Von daher kann ich deine Argumentation sehr gut nachvollziehen:) Schön, dass die der Beruf der OTA gefällt. Ich mag den Beruf auch gern! Liebe Grüße