Schmerzen, Kopfweh? Seien wir ehrlich, ihr alle kennt ihn oder habt schon mal unter ihm gearbeitet und gelitten: dieser knallharte Cheftyp, der immer eine Idee hat, wie es noch besser geht und der immer noch ein Quäntchen mehr fordert, manchmal sogar scheinbar Unmögliches. Industriedesigner Jürgen R. Schmid kennt auch mehr als einen dieser harten Hunde – und wünscht euch allen, vom Praktikanten bis zur Führungskraft, dass ihr mal einen erleben dürft. Warum?
Karriere-Einsichten: Herr Schmid, Sie gehören mit Ihrem Unternehmen zur weltweiten Spitzenklasse für industrielles Design. Weshalb wünschen Sie da anderen, dass ihnen ein „Arschloch-Chef“ Steine in den Weg legt?
Jürgen R. Schmid: Nun, ich erinnere mich noch sehr gut an meine Design-Anfangszeit. Im Studium hatte ich damals einen Professor, für den ich eine Freihandskizze anfertigen sollte. Ich tat also mein Bestes und ging damit zu ihm. Seine Antwort: „Was ist denn das für eine Schmiererei?“ Ihr könnt euch denken, dass ich ihn für diesen Kommentar für einige Schrecksekunden gehasst habe!
Heute bin ich jedoch für dieses Erlebnis dankbar. Denn nicht das Fachwissen, das ich in acht Semestern Industrial-Design-Studium mitgenommen habe, war entscheidend für meinen Erfolg. Sondern die markanten und schmerzlichen Nadelstiche meiner Lehrmeister.
Karriere-Einsichten: Ein willkommener Schmerz also?
Jürgen R. Schmid: Ja, so könnte man es sagen! Diese mitleidlosen Bemerkungen haben mir gezeigt, wie schnell ich bereit war, Mittelmaß zu akzeptieren. Spitzenklasse wollte ich jedoch werden. Einer der Besten unter den Besten.
“Kraft, Energie und Überwindung”
Das hat mich angetrieben, kontinuierlich zu üben, mir noch mehr Mühe zu geben, mich noch einmal hinzusetzen, noch besser sein zu wollen. Ich habe daraus ein wichtiges Learning gezogen: Der Beste werden zu wollen, kostet Kraft, Energie und Überwindung. Man muss es strikt wollen und dieses Ziel unbeirrt verfolgen, ohne Rücksicht auf den gefühlten Schmerz.
Diese Entschlossenheit vermisse ich heute oft in der Industrie. Ich beobachte dass sich zu viele Firmen im übertragenen Sinne mit der „Schmiererei“ zufriedengeben.
Karriere-Einsichten: Das heißt, ein solides Fachwissen ist das Eine. Was es wirklich braucht, ist aber eine entschlossene Herangehensweise.
Jürgen R. Schmid: Definitiv! Fachwissen ist für mich nur die Grundlage, dass ihr überhaupt im Geschäft und am Markt mitspielen dürft. Es ist vergleichbar mit den vier Rädern am Auto, die ihr braucht, um am Verkehr teilzunehmen.
Schmerzen: Lebenslanges Lernen – und Leiden?
Aber entscheidend ist letztlich die Qualität des Fahrers und die Entschlossenheit, mit der er an seiner Weiterentwicklung arbeitet. Mittelmäßige Fahrer gibt es viele, sie sind bestenfalls regelgerecht und unauffällig. Dann gibt es aber auch die Champions, die professionellen Rennfahrer. Sie sind die absolute Ausnahme. Sie trainieren oft jahrzehntelang hart und stets hochkonzentriert, um eines Tages auf dem Siegertreppchen zu stehen.
Wenn ihr keine Ziele habt oder eure Ziele kraftlos angeht, euch mit der Schmiererei zufriedengebt, dann bleibt ihr automatisch im Mittelmaß stecken und könnt nur ein erheblich geringeres Ergebnis erwarten. Denn ihr haltet euch ein Hintertürchen offen – die Möglichkeit, jederzeit umzukehren und zu sagen: Ach, dann mache ich das doch nicht, das ist mir zu anstrengend.
Wenn ihr unumkehrbar entschlossen seid, ein Ziel oder eine bestimmte Qualität zu erreichen, dann fokussiert ihr euere ganze Energie und Lebenskraft darauf. Nur dann kann euch dieser glückselige Schmerz zur Weltklasse bringen.
Karriere-Einsichten: Das klingt sinnvoll, aber schwierig. Wie halten Sie sich denn angesichts dieses Schmerzes motiviert, immer nach dem Besseren zu streben?
Jürgen R. Schmid: Ich beantworte mir selbst immer wieder die Frage nach dem Warum. Warum möchte ich das erreichen? Welchen Nutzen ziehe ich daraus – emotional oder sachlich? Ist das Warum stark genug, dann sind die schmerzhaften Phase auf dem Weg zum Erfolg ein Vergnügen.
Kritik, Krisen – und andere Stolpersteine, oder Chancen?
Als ich mich zum Beispiel entschloss, mich selbstständig zu machen, war mein Warum enorm. Nichts und niemand konnte mich aufhalten. Es gab viele Kritiker, viele besorgte Menschen, die es gut mit mir meinten und mir mit düsteren Worten schreckliche Beispiele gescheiterter Existenzen vor Augen führten. Mit meiner Entschlossenheit habe ich sie alle entmutigt, mir Angst einzujagen.
Auch wenn ich keine Unterstützer hatte, hat es mich nicht davon abgehalten, mit junger Familie und lediglich 3000 Mark auf dem Konto meine Anstellung zu kündigen und unumkehrbar die Verantwortung für meine Existenz voll und ganz selbst zu übernehmen mit dem Wissen, dass mir niemand zu Hilfe eilt.
Der Schmerz erinnert euch einfach immer wieder daran, ob euer Warum noch groß genug ist. Und das ist ein Grund, dankbar für den Schmerz zu sein.
Karriere-Einsichten: Der Schmerz also als Motivation, weiter für ein Ziel zu kämpfen?
Jürgen R. Schmid: Genau. Der Schmerz ist ein Zeichen dafür, dass ihr an eure Grenzen kommt, und da passiert Wachstum. Wenn ihr ihn durchsteht und nicht aufgebt, erwartet euch dafür schließlich der unternehmerische Lohn. Euer Projekt wird zum Erfolg, ihr erklimmt die nächste Karrierestufe oder ihr könnt eine neue Idee durchsetzen. Was glaubt ihr, wie viele Niederlagen und Widerstand ich erfuhr, als ich einem Hersteller meine Idee für einen Mini-Akkuschrauber präsentierte! Heute findet er sich in fast jedem Haushalt. Die Ablehnung und der Schmerz haben mir immer wieder gezeigt, dass es sich um eine große Idee handeln musste.
Über den Interview-Partner: Individualität stünde in roten Lettern auf seinem Hemd – würde Jürgen R. Schmid nicht ausschließlich weiß tragen. Für den renommierten Designer ist seine Unkonventionalität Luft zum Atmen und Arbeit zugleich.
Jürgen R. Schmid ist erfolgreich mit seiner individuellen Art. Nicht erst seit er den weltberühmten Mini-Akkuschrauber erfunden hat. Seine Firma Design Tech ist ein international führendes Unternehmen für zielorientiertes Maschinendesign.
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