Wie die bad story begann: Am Anfang steht immer ein großes Versprechen. Am Lagerfeuer der Geldverbrenner palavern die schuldlosen Täter mit den gebrannten Kindern. Sie entwerfen die neue Megastory, die mächtiger werden muss als die eben versenkte. Von Professorin Gertrud Höhler…
Sie muss auch teurer werden als die Crash-Story, weil verbranntes Geld nur eine einzige Form der Wiedergutmachung zulässt: Geld verbrennen. Aufwand treiben. Und Aufwand ist im Reich des homo oeconomicus allein materiell beschrieben. Nicht anders haben es die Vorfahren im 20. Jahrhundert gemacht:
Der Kollaps der Geldmacher-Stories provozierte tollkühne Höhenflüge der Geldmacher in der Finanzpolitik. Wir brauchen die neue Story, um der alten zu entkommen. Eine hellwache Elite von Finanzakrobaten kannte sich nirgends aus als in den Rauschzentren der Investmentbanken, wo die ausgeschlafene Intelligenz nach wenigen Monaten schon in einen halbwachen Rauschzustand übergeht, der gar nicht mehr das Geld über alles stellt, sondern den Rausch im Sog des Geldes.
Die Stories am Lagerfeuer handeln immer noch von dieser olympischen community, die global mit abstrakten Wertpaketen dealte. Handel von realen Waren, Industrieproduktion mit Lagerhallen und Containerschiffen erscheint aus der Perspektive der Finanzverpackungskünstler langsam, spannungslos, trivial.
Zu wenig Absturzgefahr, zu wenig Abenteuer, zu wenig Risiko. Und vor allem: lähmend langfristige Profit-Aussichten. Wer wie Prometheus das Feuer bei den Göttern stehlen will, wer wie Ikarus zur Sonne fliegt, der schaut auf Sisyphos, der jeden Tag denselben Fels rollt, mit Kopfschütteln.
Storytelling am Lagerfeuer
Das ist zuerst einmal Entlastungsarbeit der Verstrickten. Zwischen der alten und der neuen Story läuft die Schuldverschiebungskampagne: Die Sünden der anderen sind es, von denen die Sünder in ihren Reinigungsritualen erzählen.
Allenfalls Mitläufer, und darum auch Opfer, seien sie in der kollabierten Geschichte des schnellen Geldes gewesen. Die neue Story, das wollen vor allem die Mitläufer, soll alle verbinden. Auch in der Megastory der Zukunft werden sie wieder Mitläufer sein.
Die Sünden der andern sind das tägliche Brot für alle, die aus der alten in die neue, aus der schuldbeladenen in die noch unbefl eckte Story wollen. Abschiedsschmerz bei den Himmelstürmern, deren Höhenflüge unter ihresgleichen schon zum Mythos werden, und der Wunsch nach Vergewisserung auf dem neuen Terrain, wo die Schuldfrage endlich untergehen soll, sind unerlässliche Durchlass-Manöver auf dem Weg zu neuem Selbstvertrauen.
Wenn wir alle diese Leute nicht waren, die wir Zocker und Gangster, Hasardeure und Süchtige nennen, wer wollen wir dann in der nächsten Etappe sein? So erzählen wir einander Tag für Tag die Story der anderen. Noch finden wir nicht die Kraft, sie als unsere Story zu verstehen.
Kathedralen der Geldcommunity
Wegbereiter und Mittäter, Wegschauer und undercover-Profiteure der speedy-money-Zeit gab es in allen Berufsgruppen. Nur die Coolsten haben sich längst abgesetzt und spielen unerkannt weiter: noch riskanter, wegen Regelverdichtung, und noch intelligenter. Highflyer vertragen auch die dünne Luft über den Kathedralen der Geldcommunity. Splendid isolation ist der Preis, den sie zahlen. Ein weltweites Netz von Gleichgepolten ist ihr virtueller Lebensraum.
Brauchen wir wirklich eine neue Story? Hilft uns die Verfeinerung unserer Verachtung für die Erfolgsstory der Zerstörer, die jüngst scheiterte, nicht weiter? In der Tat, verlieren wir kostbare Zeit mit Schuldzuweisungen und Racheplänen, statt Equipment und Proviant für die neue, nie gespielte Story zu packen. Die Ächtung der Täter aus der vorigen Ära liefert doch nicht die optimistischen Impulse, die wir brauchen, um uns ein nie geschriebenes Kapitel zuzutrauen.
“eine überzeugende Story”
Hass und Ressentiment, mit denen wir seit Jahren beneidete und verstrickte Berufsgruppen kollektiv erniedrigen, reichen als Treibsatz für eine neue, positive Story nach aller historischen Erfahrung nicht aus. Auch der Zorn über die Kränkung, beim globalen Verpackungsroulette dabeigewesen zu sein, liefert nicht die Antriebsenergie, die wir für den Aufbruch brauchen.
Am Anfang jedes großen Aufbruchs in Neuland stand eine überzeugende Story. Eine neue Zeitrechnung kündigt sich an. Der Eisenbahn-Boom im 19. Jahrhundert, der High-tech-Boom am Ende des 20. Jahrhunderts, der Run auf Rohstoffe in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends – immer waren es Innovationsschübe, die das Leben vieler Menschen entscheidend zu verändern versprachen.
Kurzfristige Beuteschemata
Kurzfristige ökonomische Erwartungen heften sich an die technischen Neuerungen. Allein das Internet, ursprünglich eine Idee zur Optimierung der Militärtechnik, setzte einen Goldrausch der Marktphantasten in Bewegung. Die Phantasie der Anleger bekam reichlich Futter, und die globale Reichweite von Investments und Spekulationen entwickelte sich zur Droge, die mit zyklisch auftretenden »Blasen« einhergeht.Platzt eine Blase überzogener Erwartungen und tollkühner Einsätze, so nährt sich die nächste von Panikreaktionen beim Korrekturversuch von Regierungen und Bürokratien, die sich in Feindesland sehen und Regelwerke verdichten, in denen sich die Dealer verfangen sollen.
Der neuen Story folgt also regelmäßig die Ausbeutung der Errungenschaft durch Gier und Maßlosigkeit. Dennoch – siehe Eisenbahn, siehe Internet und Rohstoffmärkte – bleibt von der neuen Story das Wichtigste: die neue Technologie, der wachsende Lebenskomfort, der Schritt in eine neue Ära.
Die Ausbeutung der Innovation spielt sich regelmäßig in der Welt des Geldes ab. Die Produktstory wird zur Investmentstory. Steigendes Interesse bringt steigende Preise und wachsende Volumina im Handel. Jetzt einsteigen! erfahren Anleger. Sie haben nun fünf bis zehn Jahre, dann platzt die Blase.
Sie bläht, sich auf, weil es nicht bei moderaten Preissteigerungen bleibt. Der optimistische Privatinvestor ist die Schlüsselfigur für das Wachsen der Blasenstory. Er glaubt, an »Wachstum« teilzunehmen; in Wahrheit nimmt er am Zustrom heißer Luft teil.
Erfahrungswerte aus früheren Zyklen, mit denen Forscher aufwarten, sind völlig unverkäuflich. Nicht einmal geschenkt will die Aufsteiger-community sie haben. Die Euphorie der Mehrheit läßt die Skeptiker hinter sich zurück. Und die sind tatsächlich zunächst die Verlierer: Auf steigende Kurse zu wetten, ist auch für Nichtprofi s an der Börse eine ganze Weile möglich.
Auf und Ab an der Börse
Auf fallende Kurse zu setzen, verlangt viel mehr Wissen und Können. Die Optimisten dominieren zunächst die Börse. Die Hausse, auf die sie setzen, nährt sich schließlich selbst. Die Bedrohung kommt von Profiteuren eines anderen Zuschnitts. Sie befeuern die Blase und beschleunigen die Überhitzung.
Die Preise sind zu hoch, aber niemand kann sich nun davonstehlen: Es gibt keine unwissenden Investoren mehr. Nun sinken die Kurse. Angst und Gier der Anleger mischen sich, die Kurse fahren Achterbahn. Kleinanleger, die noch im Aufstieg eingefangen wurden, gehören nun zu den Verlierern.
Warnsignale kündigen das Platzen der Blase an:
- Immer mehr Retailprodukte tauchen am Markt auf;
- die Kurse steigen fast senkrecht an;
- hektisches Auf und Ab der Notierungen folgt;
- der unaufhaltsame Abstieg beginnt.
Ursprünglich ging es bei diesen »neuen Stories« um Anschlussgeschichten, die Finanzjongleure und Finanzinstitute von realen Innovationen in Wirtschaft und Technik ableiteten.
Die Entkoppelung der Finanzprodukte von ihrer Entstehungsgeschichte als Wert-Äquivalent für ein materielles Gut, unterscheidet den jüngsten Absturz zahlloser Anleger von früheren Blasen.
Den Finanzprodukten, die im letzten Stadium der Blase an ahnungslose, bereits definierte Loser verkauft wurden, entsprach keine Herkunfts- und Zielmarke in der realen Wirtschaft mehr.
Finanzprodukte sind Finanzprodukte, so lernte der Kunde, und ob du ihren Wert irgendwann in Waren für Konsum, Komfort, für Sicherheit, für Gesundheit, Reisen, Kunst oder die Realisierung deiner Träume einsetzen kannst, ist nicht Thema des Investment-Beraters.
Im übrigen hat auch er Mühe, das Produkt zu verstehen: Es hat eine lange Reise um die Welt hinter sich, und es wandelt sich weiter. So lange, bis die Erfinder nicht mehr daran verdienen. Sie haben sich, wenn das Produkt beim Kleinanleger ankommt, längst abgesetzt.
Geld, kein Selbstzweck an sich
Geld, das kein anderes Ziel mehr hat als Geld: Das ist die Ursache für das Scheitern der jüngsten Story. Geld, das nur noch die Potenzierung von Geld bezweckt, kann zu keinem käuflichen Wert mehr hinführen. Wer Geldprodukte kreiert, mit deren Power er sich nie mehr etwas kaufen will, außer noch mehr Geld, demontiert die Mittlerfunktion des Geldes.
Geld besetzt den Platz des Ziels. Darum macht es süchtig. Genug davon kann man niemals haben. Die jüngste Story ist gescheitert an dieser Verwechslung von Mittel und Ziel. Wo Geld nur noch zur Mehrung von Geld taugt, entsteht ein Dilemma, aus dem sich weder die Süchtigen noch ihre Mitläufer befreien können.
Die entkommenen Gewinner tauchen unter. Unerkannt spielen sie bereits wieder mit in der community der Geldmacher. Die Verlierer sind in der Mehrheit. Weil so viele von uns Verlierer sind, brauchen wir eine neue Story, in der wir zu den Gewinnern gehören – nicht nur am Anfang, sondern bis zum Ende.
“Götzendämmerung: Die Geldreligion frisst ihre Kinder”, erschienen 2010 im Heyne-Verlag, können Sie hier als Buch kaufen.
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