Perfektionisten gelten als besonders leistungsfähig. Sie geben wirklich alles, nehmen nichts auf die leichte Schulter, durchdringen Probleme bis ins kleinste Detail. Von Simone Janson…
Statt ihre gesamte Energie daran zu setzen, einen bestimmten Erfolg zu erreichen, dafür auch Risiken einzugehen, Rückschläge in Kauf zu nehmen, verhalten sich Misserfolgsvermeider vorsichtiger bis defensiv.
Vielleicht schaffen sie es sogar, nichts Falsches zu tun, aber zu einem hohen Preis: Wer der Vermeidungsstrategie folgt, vermeidet es dabei auch, jene wichtigen Entscheidungen zu treffen, die für das persönliche Vorankommen, aber auch für die gesamte Wirtschaft so wichtig sind.
Angst vor Neuem
Wie groß die Angst, mal etwas Neues zu riskieren, vor allem in Deutschland ist, zeigt sich besonders gut am Beispiel berufliche Selbständigkeit:
Der Global Entrepreneurship Monitor bewertet jährlich die Existenz-Gründungen in 42 Ländern. Den Deutschen stellt er ein echtes Armutszeugnis aus. Was die Haltung zur Selbständigkeit, zum Unternehmertum angeht, liegen wir aktuell auf Platz 34.
Nur in Ländern wie Urquay, Slowenien oder Ungarn ist die Skepsis, sich selbständig zu machen, noch größer. 46,5 % der befragten Deutschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren würden den Schritt in die Selbständigkeit gleich ganz sein lassen – aus Angst, es könnte schief gehen.
Ein echtes Dilemma also für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wer aus Angst, Fehler zu machen, nur immer weitere Höchstleistungen zu bringen versucht, gelangt schnell an die Grenzen seiner Motivation. Und Leistungsfähigkeit.
Frage des Wichtigen
Um dem klassischen Perfktionismus-Hamsterrad vorzubeugen, muss man sich davon überzeugen, dass weniger meist mehr ist. Und das geht am besten, in dem man kleine Anti- Perfektionismus-Versuchsballönchen startet:
Statt also morgens gleich loszulegen mit dem durchackern, sollte man sich zunächst ruhig überlegen, welche Aufgaben wirklich wichtig sind.
Die unwichtigeren Arbeiten sollte man ruhig mal mit etwas weniger Perfektionismus angehen lassen. Dabei hilft es, sich realistisch vor Augen zu führen, was im schlimmsten Fall passieren könnte, wenn man diese oder jene Arbeit nicht vollkommen perfekt erfüllt.
Oder dem Chef, der mit dem nächsten Extraauftrag um die Ecke biegt, einfach mal freundlich, aber bestimmt “Nein” sagt.
Das “Nein”-Sagen
Meist ist das Ergebnis weit weniger dramatisch, als man es sich in seinem Horrorszenario ausgemalt hat. Und der Chef wird auch nicht gleich ausflippen, wenn man sein “Nein” vernünftig begründet, sondern einen nur etwas mehr respektieren.
Wer aber mal seinen Perfektionismus beiseite lässt und einen Gang zurückschaltet und dabei die positive Erfahrungen macht, dass es gar nicht nötig ist, immer 110 Prozent zu geben, wird solcherart motiviert, auch schwierigere Aufgaben mutig anzugehen.
Wer einsieht, dass Fehler unvermeidlich sind und daraus lernt statt sie beklagen, dem wird es leichter fallen, Entscheidungen zu treffen. Und wer seine Arbeit weniger gestresst und nervös erledigt, dem bleibt auch mehr Zeit für den Aufbau von Netzwerken.
Hat sich Perfektionismus aber ein Mal ins Denken eingeschlichen, so wird es schnell zur Unternehmenskultur – wenn auch unbewusst – zum Unternehmensziel.
Da bleibt vor lauter Perfektion kaum Platz für Innovation und unternehmerisches Handeln. Wichtig also, die “richtigen” Mitarbeiter einzustellen.
Alles seinen Preis
Perfektionismus kommt deutsche Unternehmen teuer zu stehen: Wie die Produktivitätsstudie der amerikanischen Unternehmensberatung Proudfoot-Consulting jährlich wieder aufs neue zeigt, ist übermäßiger Arbeitseifer nämlich alles andere als produktiv.
Allein in Deutschland werden im Schnitt 26 Arbeitstage pro Jahr und Mitarbeiter verschwendet. Und zwar vor allem durch unnötige Wartezeiten und Doppelarbeit. Blinder Aktionismus also, der durch besonneneres Handeln vermieden werden könnte und der deutsche Unternehmen 135 Milliarden Euro im Jahr kostet, weil die Mitarbeiter überflüssige oder sogar falsche Dinge tun.
Zur Mitarbeiterführung gehört dazu, Entscheidungen zu fällen, wer welche Arbeit macht, welches Budget zur Verfügung steht, wann ein Projekt beendet sein soll. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Denn statt die Sache aktiv und tatkräftig anzugehen, hoffen viele Entscheider in den Chefetagen lieber, dass sich das Problem schon von alleine lösen wird. Oder sie holen externe Berater.
Permanentes Überfordern
Das Problem von Menschen, die um jeden Preis perfekt sein wollen, besteht darin, dass sie sich völlig überfordern. Grund: Ihr Streben nach Perfektion und das krampfhafte bemühen, Fehler um jeden Preis zu vermeiden.
Denn niemand kann eben immer 110% geben und die meisten Menschen wissen das auch. Dadurch gehen sie aber von vornerein negativ an die Sache heran, weil ihnen zumindest unbewusst völlig klar ist, das Problem eigentlich nicht lösen zu können; die Furcht vor dem Scheitern ist dann größer als der Wille zum Erfolg.
„Angst zum Antriebsmotor des eigenen Handelns“
Wenn man sich überfordert fühlt und Angst zum Antriebsmotor des eigenen Handelns wird, entsteht negativer Distress. Dieser tritt immer dann auf, wenn man keinen Ausweg weiß.
Warum? Weil das menschliche Gehirn aufgrund fehlender Erfahrungen auf die Schnelle keinen Lösungsmechanismus für dieses Problem bereithält. Im Gegensatz zum Eustress erleben wir in solchen Situationen keinen Flow, sondern fühlen uns häufig hilflos und ausgeliefert.
Disstress statt Frohsinn
Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass Distress sogar unser Gedächtnis trübt. Denn aus der Nebennierenrinde wird Cortisol ausgeschüttet, das den Körper vor Überanstrengung schützen soll.
Es blockiert unter anderem die Gedächtnisleistung. Führt weiterhin zu einem hohen Blutzuckerspiegel und einer Übersäuerung des Blutes und zu einer Schwächung der Schilddrüsenfunktion. Daher wird in besonders stressigen Situationen klares Denken immer unmöglicher.
Dadurch schafft man es dann immer weniger, klar zu denken, sondern dreht sich viel mehr akribisch im Hamsterrad, blockiert sich selbst und übersieht dabei im Eifer des Gefechts, dass es in vielen Situationen auch einfachere Wege geben würde. Man müsste es dazu nur schaffen, die Sache etwas lockerer anzugehen, statt in blinden Aktionismus zu verfallen.
“Aufschieberitis”
Viele Perfektionisten laufen Gefahr, so lange über eine Sache nachzudenken, eine Entscheidung regelrecht zu zergrübeln und sich darüber in Ängste und Sorgen derart hineinzusteigern, dass sie schließlich nicht mehr in der Lage sind zu handeln.
Eine experimentelle Studie, die die Psychologen Neil J. Roese und J.R. Kuban an der Universität von Illinois durchführten, zeigt: Je länger man grübelt, desto mehr muss das Gehirn sich anstrengen und desto schwieriger erscheint am Ende eine Lösung des Problems.
Über die Autorin: Simone Janson (Blog: Berufebilder) geht davon aus, dass Perfektionisten nicht immer auch die erfolgreichsten Mitarbeiter sind. Sie hat darüber geschrieben, in ihrem Buch. Janson sieht sich als Perfektionistin auf “Entzug”…
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