Ein Karriere-Mensch: Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Sein Leben kennt Extreme. Als DJ, Clubchef und Eventmanager, führt Dario Pizzano ein Leben auf der Überholspur…
Viel mit Frauen zu tun, die Kasse im Geschäft klingt, jede Nacht. Aber er merkt, dass er auf dem »Highway to Hell« dahinrast, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick – bis zum Burn-Out. Da passiert ihm in einer Phase tiefster Depression etwas Ungeheuerliches: eine Gotteserfahrung. Das stellt sein Leben auf den Kopf, wie er schreibt:
Es gibt nichts zu berichten von diesen abschüssigen Tagen, außer dass ich versuche das Tempo zu halten, wo ich es nicht erhöhen kann. Es sind Tage wie von Blei, einer wie der andere, nur dass sich regelmäßig die Beleuchtung ändert. Der November bringt graues, schmutziges Licht.
Ich fühle mich nicht, funktioniere nur. Gehe dahin und dorthin, kaufe ein, räume auf, renne herum, klappere auf der PC-Tastatur – eine mechanische Kopie meiner selbst. Wahrscheinlich sieht es für Dritte professionell aus.
November-Grau
Wahrscheinlich wäre auch der 28. November des Jahres 2005 so wesenlos hinter mir ins Nichts gesunken, wie alle diese Novembertage, an die ich keine Erinnerung mehr habe, weil es nichts gab, was sie durch Schönheit oder Schmerz prägte. Die Tage waren grau, wie meine Seele dunkel und traurig war.
Wahrscheinlich hätte ich schon längst den Kalender dieses Jahres verbrannt und mit ihm alle Erinnerung an diese vergiftete Zeit, wäre ich nicht am Mittag des 28. November des Jahres 2005 gegen 14:00 Uhr.
Mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km auf der B27 von Seeburg in Richtung meiner Heimatstadt unterwegs gewesen, und hätte mich nicht – es war etwa 2 Km vor Seeburg, dort, wo ein paar zerrupfte Bäume sich an den Hang schmiegen – aus gar nicht heiterem Himmel der Blitz getroffen.
Drogen-Glück
Bei dem, was ich nun zu schildern habe, weiß ich, dass meine Worte versagen, meine Bilder schief werden. Der Blitz, der bei mir einschlug, war keine elektrodynamische, kosmische Entladung sondern eine geistige Erfahrung, für die ich keine Vergleiche habe.
Weder vorher noch nachher, weder in meiner Kindheit, noch in meiner wilden Jugend, weder auf psychedelischen Drogen, noch in orgiastischen Sexabenteuern.
Weder im Glücksgefühl auf paradiesischen Berggipfeln, noch im Siegestaumel nach einem Torschuss habe ich etwas erlebt, woraus sich eine Art Stufenleiter der Superlative bilden ließe, deren oberste Krönung dieser Blitz auf der Landstraße zwischen meiner Heimatstadt und Seeburg wäre. Was ich erlebt habe, war einfach anders:
Ein senkrecht von oben einschießendes Irgendwas. Ein Überfall. Ich will nüchtern bleiben bei der Chronologie der Ereignisse. Während ich mich dem fließenden Verkehr anpasse, bin ich voll innerer Unruhe, bin wieder einmal gefangen in der Mechanik meiner negativen Gedanken.
Ich rede mit mir selbst, seufze, ohne meine Seufzer an einen eigentlichen Adressaten zu richten. Warum sich in meinem Mund plötzlich der Satz „Mein Gott, ich kann nicht mehr!“ bildet, weiß ich nicht. Ich habe keinen Glauben. Und sage doch: „Mein Gott, ich kann einfach nicht mehr!“
Körper, Seele, Geist
Da geschieht es. Ich fühle, dass jemand diesen Satz hört. Ich pralle zurück. Bin wie geschlagen.
Körper, Seele, Geist – alles zugleich wird berührt. Ich zittere. Was ist das? Hilfe! Werde ich verrückt? Nein. Es ist keine Einbildung. Es ist wahr. Liebe, unfassbare Liebe durchdringt mich, ein Empfinden unendlicher Kraft und Sanftmut, ein so unfassbar starker Eindruck. Bringe den Wagen irgendwie zum Stehen, reiße den Schlüssel raus. Öffne die Fahrertür, wie um Luft zu schöpfen. Und dann hört es nicht auf zu pulsen, vielleicht zwanzig Minuten lang:
Wärme und Licht. Wärme und Licht. Liebe. Wärme und Licht. Liebe. Immer neu. Immer anders. Immer stärker. Nicht zu vergleichen mit Drogen. Keine Entfremdung. Kein Rausch. Ich bin ganz bei mir, bin bei mir, wie ich nie in meinem Leben bei mir war.
Es ist ganz klar, ganz stark. Dieses Einströmen von etwas Wunderbarem. Meine innere Bitterkeit verfliegt, meine Härte zerbröselt, mein Eispanzer bricht innerhalb nur einer Sekunde. Tränen, Tränen, Tränen. Tränen ohne Ende!
„Ich bin Dein Vater!“
Ich heule mein gesamtes Leben raus, den ganzen schrägen Film. Alle Schleusen gehen auf. Es ist so unglaublich, so unbeschreiblich schön! Plötzliches Wissen, spontane Gewissheit: Es gibt Gott. Er ist da! Wie die Konsole meines Wagens. Wie mein Unterarm. Was für ein unfassbarer Augenblick! Unglaubliche Liebe und Freude durchströmen mich.
Es gibt Liebe über allem, in allem! Liebe für mich armen, einsamen Pflegefall. Was für eine unfassbare Erfahrung! Ich bin perplex. Sprachlos. Überrascht von Gott! Und plötzlich ist da auch noch diese Stimme, die klar und deutlich in und zu mir spricht:„Es ist doch gar nicht so, wie Du denkst, Ich bin Dein Vater!“
Was war das? Später würde ich sagen: Das war mein Absturz in den Himmel! Ich würde sagen: Ja, es war wie ein Blitz, der mein gesamtes Leben, meine gesamte Existenz in ein neues überirdisches Licht getaucht hat.
Ich würde sagen: Es war, als würde dir jemand ein helles Licht in der Seele anknipsen. Ich würde sagen:
Es war der Augenblick, in dem ein neuer Geist in mich kam, der Augenblick, in dem mir eine momenthafte synthetische Erkenntnis von allem was ist (und was ich in allem, was ist, bin) geschenkt wurde.
Ich würde sagen: …Um die Wahrheit zu sagen: Ich kann es noch immer nicht erklären, kann es mit Gedanken nicht einholen, will es auch gar nicht. Eines Tages werde ich IHN sehen. Er wird es mir schon erklären, wird mir sagen, warum alles sein musste, wie es war.
Biografisches
Dario Pizzano, geb. 1974 in Göttingen, arbeitete nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann 12 Jahre als Eventmanager, Clubbetreiber und DJ im Eichsfeld.
Nach einer intensiven Gotteserfahrung im Jahr 2005, stieg er innerhalb von Wochen aus allem aus, was vorher sein Leben bestimmt hatte. Er trennte sich von seinem Beruf, seinem Milieu und begann ein Theologiestudium. Heute arbeitet Dario Pizzano in der Erwachsenenbildung der Diözese Erfurt.
In Heiligenstadt im Eichsfeld hält und organisiert er Vorträge, Workshops, Benefizveranstaltungen und diverse Projekte für benachteiligte Jugendliche.
Sichtweise: Jan Thomas Otte traf Dario im Kloster Himmelspforten, in Würzburg. Zusammen mit anderen Autoren im Weinkeller sitzend, dachten sie über Gott und die Welt nach…
Artikelbild: liza1979/ Shutterstock