Zwischen Arbeit und Freizeit wird auch beim Lernen kaum unterschieden. Lebenslanges Lernen – klar! Aber das Lernen ändert sich vor allem für Wissensarbeiter. Es orientiert sich an konkreten Problemen. Es wird kleinteiliger durch Unterstützung aus dem Internet. Es wächst durch Austausch mit Kollegen und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Außerdem: Sie fühlen sich selbst für ihren Input verantwortlich. Von Jens Gieseler…
Easysoft-Chef Andreas Nau schaut sich am Wochenende gerne ein kurzes TEDx-Video über Führungsthemen an und ein Management-Buch oder eine Unternehmerbiographie liegen auch immer auf seinem Wohnzimmertisch. „Unternehmenswachstum und persönliches Wachstum ist ein Wert, den wir im Unternehmen leben“, erzählt der 52-jährige Schwabe.
Deshalb unterstützt er mit seinen beiden Geschäftsführungskollegen die Weiterbildung seiner Mitarbeiter – gleich, ob ein Software-Entwickler ein zweistündiges Online-Training absolviert oder ein Vertriebler sich neuen Input in Workshops oder auf Konferenzen holt. Das Unternehmen zahlt sämtliche Kosten von Anfahrt über Unterbringung bis zu Spesen. Und: Weiterbildung gilt als Arbeitszeit. Denn einerseits sind kontinuierlich weitergebildete Mitarbeiter Grund für innovative Lösungen und andererseits versteht Easysoft diese Investition als Employer Branding.
Zwei von drei Wissensarbeitern kümmern sich selbst um ihre Weiterbildung
So logisch das klingt, verhält sich der Softwareentwickler offensichtlich gegen den Trend. Denn eine aktuelle Studie (hier) des Personaldienstleisters Hays und der Unternehmensberatung PAC ergab: Knapp zwei Drittel der Wissensarbeiter finden, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, ihre Kompetenz zu erweitern.
So kümmern sich 64 Prozent der Befragten um ihre eigene Weiterbildung. Dafür nutzen drei von fünf Wissensarbeitern ihre Freizeit und knapp die Hälfte zahlt die Kosten für Bildung aus der eigenen Tasche. Ein Trend, der Unternehmen aus Einsparungsgründen genehm ist. Mehr als zwei Fünftel der befragten Führungskräfte befürworten das Lernen in der Freizeit und mehr als drei Fünftel begrüßen, dass sich Wissensarbeiter für ihre Weiterbildung verantwortlich fühlen.
„zweischneidiges Schwert“
„Ein zweischneidiges Schwert“, findet Frank Schabel. Zwar sparen die Unternehmen Weiterbildungskosten, mittelfristig befeuern sie allerdings den War for Talents. Der Hays-Sprecher weist darauf hin, dass Wissensarbeiter, vor allem Ingenieure und IT-Spezialisten, gegenwärtig schon zum meistgesuchten Personal gehören. „Wenn diese Kandidaten durch Weiterbildung ihre Employability stärken und gleichzeitig das Gefühl bekommen, dass Unternehmen zunehmend weniger in sie investieren, steigt deren Wechselbereitschaft“, so seine Vermutung.
Mögliche Folge: Wissensarbeiter wechseln schneller den Job und treiben die Gehaltsspirale nach oben. „Das kann teuer werden“, meint der Mannheimer. Deshalb gehöre bezahlte Weiterbildung zum Employer Branding von Unternehmen.
Bildung im gegenseitigen Interesse
Ganz ähnlich sieht das Christian Wachter. „Weiterbildung ist kein entweder der Mitarbeiter kümmert sich oder das Unternehmen. Sondern vielmehr ein gemeinsames Interesse“, sagt der Vorstand des E-Learning-Anbieters IMC. Die Mitarbeiter sind für regelmäßiges Lernen verantwortlich, um auf dem gegenwärtigen Wissenstand und damit interessant für ihre Arbeitgeber zu bleiben. Und die Unternehmen bleiben attraktiv, wenn sie ihre Mitarbeiter unterstützen und fördern.
Ganz abgesehen davon, dass in einer immer komplexeren und dynamischeren Arbeitswelt nur die Menschen Arbeit haben werden und nur die Unternehmen überleben werden, die das Thema Weiterbildung jeweils ganz hoch ansiedeln.
Wachter hat nicht den Eindruck, dass sich Unternehmen aus der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter herausziehen. Im Gegenteil. Die Saarbrücker entwickeln maßgeschneiderte Bildungsprogramme für Unternehmen – von der Strategie über die Konzeption bis zur Umsetzung. „In diesem Segment wachsen Kundenanzahl und Umsatz“, sagt er. Die digitale Transformation sei so umfassend, dass sie individuell nicht bewältigt werden könne. Und der Bildungsexperte ergänzt: „Wir brauchen beides: Die großen grundsätzlichen Bildungsangebote und die schnellen Hilfestellungen im Alltag.“
Du hast ein Problem? Frag das Internet
So verhält sich Benny Luz. Wenn er bei spezifischen Themen vor einem Problem steht, durchforstet der Webentwickler von Easysoft sehr gezielt das Netz. Stößt der 26-jährige Medieninformatiker auf bestimmte Artikel, Blogs oder Youtube-Videos, braucht er oft nur eine Viertelstunde, dann kommt er mit seinem Wissen wieder weiter.
Lernen on demand heißt der Trend, problemorientiertes Lernen, eben dann wenn man es braucht. „Die grundlegenden Technologien bestehen teilweise seit Jahrzehnten“, erzählt Luz, aber es gebe gerade in seinem Arbeitsbereich kontinuierlich Weiterentwicklungen. Da müsse er auf dem Laufenden bleiben.
Tatsächlich wird das Lernen kleinteiliger und durch unterschiedliche Angebote im Netz erleichtert, findet Christian Wachter. Mitarbeitern stehen viele Möglichkeiten offen. Wer montags einen wichtigen Gesprächstermin hat, schaut sonntagsabends auf seinem Sofa vielleicht noch nach einem Serviceartikel: „Wie verschaffe ich mir einen guten ersten Eindruck?“.
Wissensarbeiter und Führungskräfte trennen ohnehin viel weniger zwischen Arbeits- und Freizeit. Zudem profitieren sie oft von flexiblen Arbeitszeiten und arbeiten teilweise im Homeoffice. Statt in den Pausen mit Kollegen einen Schwatz zu halten, wird eben der Abwasch erledigt. Im Gegenzug wird in der Freizeit auch mal gelernt. Die Übergänge sind für Kopfarbeiter fließend geworden.
Lernen durch gegenseitigen Austausch
Genauso beobachtet der IMC-Vorstand, dass die jüngere Generation einen anderen Umgang mit ihrem Wissen pflegt. Wesentlich bereitwilliger wird Gelerntes ausgetauscht und miteinander diskutiert, wie etwa eine Software weiterentwickelt werden muss. Als Online-Spezialist sieht er, dass sich Wissensarbeiter in ihren Communities treffen und sich gegenseitig Videos und Artikel empfehlen.
Das Lernen der Wissensarbeiter hat ganz offensichtlich neue Formen angenommen: vernetzter, problemorientierter und offener, wann und wo es stattfindet. Easysoft hat darauf auch baulich reagiert. Im neuen Gebäude teilen sich bis zu 16 Mitarbeiter große Büroflächen. Schnell und auf kurzem Weg werden Schwierigkeiten geklärt und diverse Kommunikationsflächen laden zum Austausch ein.
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