Deutschland – nach Japan die älteste Nation der Welt, gemessen am Durchschnittsalter. Bedenklich! Denn ohne Kinder gibt es keine Zukunft, kein funktionierendes Sozialsystem. Ein leidenschaftliches Plädoyer von Tina Groll. Für alle, die Erfolg im Beruf und Familienglück miteinander verbinden wollen – trotz aller Widerstände…
Es ist schlicht und einfach nicht fair, wenn Eltern mit der Herausforderung, Erwerbsarbeit und Familie zu vereinbaren, alleingelassen werden und sie sich mit der Entscheidung für eine Familie und damit für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft mit einer Karriere unter ihrem Potenzial zufriedengeben müssen.
Ich schreibe dieses Buch, weil ich mich nicht damit abfinden möchte, dass Erfolg im Beruf und Familienglück gleichzeitig nicht möglich sind. Dass Mutterschaft immer automatisch Verzicht bedeuten muss. Dass Väter, die sich Zeit mit ihren Kindern wünschen, mit Karrierenachteilen rechnen müssen.
Es muss Lösungen dafür geben, Kinder ihren Bedürfnissen gemäß zu glücklichen Menschen großzuziehen und als Eltern trotzdem mit Leidenschaft Beruf und Berufung nachzugehen. Und man sollte sich diese Aufgabe und Verantwortung als Paar gleichberechtigt teilen können. Denn die gegebenen Umstände und Strukturen einfach hinzunehmen und im Klein-Klein des eigenen Lebens das Beste daraus zu machen kann nicht die Antwort sein.
Unersetzlich! Thema Kinderbetreuung
Dabei geraten jene ins Hintertreffen, die nicht genug Geld für Kinderbetreuung, kein familiäres Netz oder keine perfekte Partnerschaft haben. Wir können junge Familien nicht allein lassen mit der Frage, wie sie die Vereinbarkeit hinbekommen. Es muss gesellschaftliche Antworten geben.
Die Diskussion über die (Un-)Vereinbarkeit wird bislang zu einseitig geführt – vorrangig von gut gebildeten, gut situierten Menschen aus der Mittelschicht, die sich etwa in der Lebensmitte befinden. Um eine Diskussion voranzubringen, ist es aber nötig, sie auf breitere Füße zu stellen und sie zu öffnen.
„Leitbild der Karrierefrau“
Die Frage der Balance von Beruf und Familie darf insofern nicht bloß eine Frage der Mittelschicht oder von Menschen zwischen 20 und 45 Jahren sein. Außerdem orientiert sich die ganze Debatte zu stark an einem Leitbild der Karrierefrau, das wiederum ein Abziehbild patriarchaler Strukturen ist und das einfach nicht in die Lebenswirklichkeit passt – weder in die von Frauen noch in die von Männern.
Es hapert vor allem an entspannten und gleichberechtigten Rollenbildern von Müttern und Vätern. Noch ist das Gros der Deutschen der Ansicht, dass Mütter eher in Teilzeit als in Vollzeit arbeiten sollten, damit sie sich um die Kinder kümmern können, und Väter in Vollzeit, um die Familie zu ernähren. Nie war die Teilzeitquote so hoch wie heute und damit auch das Risiko einer späteren Altersarmut.
Mama und Papa, beide in Teilzeit
Wäre es nicht besser, wenn Mütter und Väter beide ihre Arbeitszeit reduzieren und es in den ersten betreuungsintensiven Lebensjahren eines Kindes eine vielleicht sogar staatliche Kompensation für Verdienstausfälle gäbe? Dann wäre das finanzielle Risiko für Männer und Frauen gleich verteilt, und unsere Kinder würden in Familien aufwachsen, in denen die Eltern echte Partner sind.
An der Vereinbarkeitsfrage manifestiert sich der wahre Status quo der Gleichberechtigung der Geschlechter. Strukturelle Gründe wie fehlende Betreuungsplätze, eine Fiskalpolitik, die mit dem Ehegattensplitting immer noch ein Hinzuverdiener-Modell fördert, und eine Arbeitswelt, die sich mehr und mehr in den Privatbereich ausdehnt, wirken und treffen zusammen mit traditionellen Rollenbildern.
Doch solange vor allem das Geschlecht den Unterschied bei der Vereinbarkeitsfrage macht, haben wir noch keine gleichberechtigten Verhältnisse erreicht.
Klischee? Rollenbilder überdenken
Dieses Buch soll anregen, über Rollenbilder kritisch nachzudenken, und Antworten auf die Frage geben, wie denn eine gleichberechtigte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen gelingen kann. Zwar würde ich mich selbst durchaus als Feministin bezeichnen, ich möchte aber keine Gleichstellung um jeden Preis. Stattdessen geht es mir um Gleichberechtigung. Und um Geschlechtergerechtigkeit.
Ich möchte, dass künftige Generationen in einer Gesellschaft aufwachsen, in der jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht faire Chancen hat, sich seinen Interessen, Talenten und Neigungen nach zu entfalten, beruflich wie privat. Darum habe ich bei der Suche nach Interviewpartnern darauf geachtet, möglichst vielfältige Entwürfe aufzugreifen – von Männern und Frauen, die ihre eigenen, mitunter sehr unterschiedlichen Vorstellungen von einer Balance zwischen Beruf und Familie leben. Sowie von Unternehmen, die den Wert von Vereinbarkeitslösungen erkannt haben und sich trauen, unkonventionelle Wege zu gehen.
Auszug aus Tina Groll, „Kinder + Karriere = Konflikt?“, © 2016 Stark Verlag, Hallbergmoos
Artikelbild: Ollyy/ Shutterstock