Per Definition ist das Perfekte etwas Vollständiges, etwas Vollkommenes – ein Zustand. Perfektionismus meint mehr, deine Mühen diesen Perfektion zu erreichen. Wo treibt das uns an, wo blockiert’s?
Wir haben also etwas Dynamisches, die Aktion, die etwas Statisches, die Perfektion, erreichen möchte. Das führt in seiner jeweiligen Einseitigkeit zu Problemen, da wir in allen Bereichen unseres Lebens statische und dynamische Prozesse in einer Mischung erleben.
Unser Leben sei ganz einfach, lesen wir in den Ratgebern. Wir setzen uns Ziele, richten dann unsere ganze Konzentration auf dieses Ziel aus, und dann gelingt uns alles, was wir uns wünschen. Wenn wir etwas nicht erreichen, liegt es daran, dass wir es nicht genug gewollt haben.
Aber ist es wirklich so einfach? Wie gehen wir mit verfehlten Zielen um? Wir werden entlassen, nicht befördert, Kundschaft bleibt aus, Möglichkeiten des Scheiterns sind überall vorhanden. Und die einzige Antwort darauf ist, dass wir uns nicht genügend konzentriert oder angestrengt haben?
Mehr Anstrengung = mehr Leistung?
Vielleicht liegt das Problem auch in der verbissenen Ausrichtung auf dieses eine Ziel. Wir sehen nur noch das Ziel, unsere Wahrnehmung wird enger, wir schauen weder nach links noch nach rechts. Das kann bis zu einer wahnhaften Zielfixierung führen. Verpassen wir das Ziel, stehen wir vor einem Scherbenhaufen, da das Ziel das Einzige ist, was für uns noch zählt. Sportler, die bei Großereignissen nicht die erhofften Topleistungen bringen konnten, sprechen vom Blockiertsein. Sie sagen, sie hätten den Kopf nicht frei gehabt.
“Einsicht ist der erste Weg…”
Aber wie können wir aus der perfektionistischen Zielfixiertheit heraus kommen, ohne unseren Antrieb zu verlieren? Es bedarf einer neuen Haltung gegenüber unseren Zielen. Am Anfang steht die Einsicht, dass auch große und schöne Momente im Leben vergänglich sind.
Oft stellt man nach Erreichen eines Ziels fest, dass man sich den großen Moment ganz anders vorgestellt hat. Oder dass man bestimmte wunderbare Momente nicht festhalten kann, sondern das Leben immer weiter geht. Alle Momente des Lebens sind im Wandel und in einem dynamischen Prozess begriffen, auch unsere großen Ziele. Das schmälert keineswegs den Wert von Vorstellungen und Visionen, verändert aber Ihre Gestalt.
Realistische Ziele formulieren
Akzeptiere ich, das Ziele dynamisch und als solche auch veränderbar sind, kann ich von meinen starren Zielvorstellungen abrücken. Das Ziel erscheint dann nicht mehr erdrückend alternativlos, sondern als eine Station auf meinem Weg. Ich lasse dann meinen perfektionistischen Drang los und entwickle ein allgemeines Qualitätsbedürfnis.
Dieses Bedürfnis klammert nicht alles andere auf dem Weg zum Ziel aus, sondern beobachtet auch meine Erlebnisse auf dem Weg dorthin. Beobachte ich meinen Lebensweg, stelle ich fest, dass dieser nicht immer geradlinig dynamisch ist. Auch die Erkenntnis, dass es in jeder Entwicklung Statik, ja sogar Rückschritt gibt ist sehr wichtig. Die Möglichkeit, dass es nicht nur den einen Weg und das eine Ziel gibt, kann zu mehr Gelassenheit im Umgang mit meinem persönlichen Perfektionismus führen.
Anstatt perfektionistisch alles zu verwerfen, was nicht meiner engen Zielvorstellung entspricht, kann ich den ganzen Prozess bewusst wahrnehmen. Lebe ich diese Bewusstheit, bin ich nicht mehr darauf angewiesen, mich an wenigen Momenten festzuklammern. Das bewusste Wahrnehmen meiner Wege, Entwicklungen und Prozesse führt zu einer Form der Perfektion, die mit Perfektionismus nichts zu tun hat, aber sehr erfüllend sein kann.
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