Sie gaben alles für die besten Noten an den besten Unis, absolvierten begehrte Praktika und gründeten außeruniversitäre Initiativen. Nun sind sie als “High Potentials” dort, wo sie immer hinwollten. Auch Benedikt Herles löste sein Ticket ins Top-Management. Jetzt räumt er mit seinem Buch “Die kaputte Elite” auf…
Montag, 6 Uhr 28, im ICE von München nach Stuttgart: Junge, müde Gesellen in blauen Ledersitzen klappen ihre Laptops auf und senken ihre frisierten Häupter den Bildschirmen entgegen. Sie sind die Sieger der Sieger, die »High Potentials«, die aussichtsreichsten Nachwuchsmanager weltumspannender Konzerne und elitärer Unternehmensberatungen.
Eine neue Woche hat begonnen. Die größten Talente der Wirtschaft schwärmen aus, um die Unternehmen der Republik zu optimieren. Sie arbeiten an Projekten mit so blendenden Namen wie »Organizational Streamlining«, »Full Potential Benchmarking« oder »Working Capital Optimization«.
Sie konstruieren komplizierte Excel-Modelle, entwickeln scheinbar revolutionäre Führungs-Techniken und entwerfen die schönsten PowerPoint-Folien. Ich bin einer von ihnen. Mit 28 Jahren bin ich promovierter Kapitalist, habe Business Schools und Firmenzentralen von innen gesehen. Ich schätze gute Anzüge und Business-Class-Flüge, glaube an das Streben nach Glück und halte individuellen Ehrgeiz für die wichtigste Triebkraft des Fortschritts.
Immer höhere Produktivität ist das Ziel, hat man mir beigebracht. Auf den Märkten weht ein rauer Wind. Deutsche Firmen müssen Antworten auf die Herausforderungen einer immer größer werdenden Konkurrenz finden. Chancen und Risiken haben sich potenziert. Das 21. Jahrhundert spricht die Sprache von Dollar und Cent. 115 Jahre nach Eröffnung der ersten Handelshochschule in Deutschland und 87 Jahre nach der Gründung von McKinsey & Company läuft die globale Gewinnmaximierung auf Hochtouren.
Ich arbeite in einem der angesehensten Strategieberatungsunternehmen. Auf unserer Kundenliste finden sich die größten Arbeitgeber weltweit. Zu unseren Ehemaligen zählen Konzernlenker und Politiker. Mit Begeisterung hatte ich mich in die Projekte gestürzt. Doch die Realität präsentierte sich anders als erwartet. Denn vieles liegt im Argen in der Welt der Vielflieger und nächtlichen Telefonkonferenzen. Heute ist mein letzter Montagmorgen im ICE. Ich habe gekündigt. Denn Zweifel plagen mich.
Fehler im System
Die Marktwirtschaft erlebt eine ihrer dunkelsten Stunden. Das neue Jahrtausend startete mit einer Dekade der Gier. Der so viel beschworene ehrbare Kaufmann scheint sich schon vor langer Zeit ins Exil verkrümelt zu haben. Nicht nur das Einkommen, auch das Glück der Menschen stagniert. Und niemand will es gewesen sein. Schuld an dem Dilemma tragen nicht nur entfesselte Märkte und die Raffsucht der Investmentbanker. Nicht nur gefährliche Finanzinstrumente und anonyme Spekulationen sind der Ausgangspunkt für die große Glaubwürdigkeit- und Stabilitätskrise der freien Ökonomie.
„Die Geschehnisse an den Kapitalmärkten sind nur das Symptom, nicht der Ursprung allen Übels. Die Wahrheit ist: Unsere wirtschaftlichen Eliten haben den falschen Weg eingeschlagen.“ In der Finanz- ebenso wie in der Realwirtschaft. Die Probleme reichen von den Seminarräumen der BWL-Fakultäten bis in die obersten Chefetagen. Alle reden von der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, doch in Wahrheit erleben wir eine noch viel größere Krise des Managements.
“Marktglauben”
Schon im Studium wurden meine Kommilitonen und ich auf jenen übertriebenen Marktglauben eingeschworen, der letztlich der Ausgangspunkt unseres gegenwärtigen Schlamassels ist. Die betriebswirtschaftliche Ausbildung gleicht einer Gehirnwäsche.
Sie bestärkt den Business-Nachwuchs in seiner Gier. »Eigennutz ist rational«, lautete das Credo meiner Lehrpläne. Psychologie, Soziologie und Philosophie hatten darin keinen Platz. Vorlesungen propagierten kurzfristige Profit-Maximierung durch Finanzmathematik, Anlage- und Unternehmensstrategien, lehrten aber wenig über gesellschaftliche Verantwortung.
“Homo oeconomicus”
Der Homo oeconomicus hat die Unis erobert. Die BWL hat sich verirrt. Sie ist zum Fach der angewandten Mathematik geworden. Ökonomen streben nach naturwissenschaftlicher Exaktheit, feiern ihre anspruchsvollen Modelle und verfehlen die Realität.
Die Methodik bestimmt den Inhalt. Akademische Journale lesen sich wie Formelsammlungen. Politische und soziale Antworten sind hingegen aus den Elfenbeintürmen der Kaderschmieden kaum noch zu erwarten.
Angekommen auf der Karriere-Überholspur, galt der Spruch »Head down and deliver« – »Schnauze halten und abliefern, was verlangt wird«. Der Nachwuchs wird gefügig gemacht. Ich erlebte, wie jede Kreativität aus jungen Universitätsabsolventen herausgepresst wird. »Out of the Box Thinking«, das Verlassen gewohnter Denkmuster, wird zwar offiziell großgeschrieben, doch tatsächlich weder gelehrt noch gelebt.
Dieses System bringt Manager hervor, die so wenig Unternehmer sind wie Dieter Bohlen ein Diplomat. Statt von Mut und Ideen beflügelt, sind viele deutsche Führungskräfte vor allem durch eines getrieben: Angst. Ihre Entscheidungen zielen darauf ab, Fehler zu vermeiden, statt Neues zu wagen. Ihre wichtigste strategische Maxime lautet: »Cover your ass!«
Wir müssen umdenken
Während sich die halbe Welt Gedanken über die Zukunft der Marktwirtschaft macht, sorgen sich die meisten »Young Professionals« und Business-School-Absolventen mehr um ihren Lebenslauf als um globale Ungleichgewichte. Oft hörte ich in den letzten Monaten auch unter ihnen die Stimmen der Unzufriedenen. Laut zu widersprechen, wagten sie nicht.
Die Krise der Wirtschaftselite beginnt beim Nachwuchs. Nicht selten debattierte ich abends mit meinen Kollegen an der Hotelbar über die moralischen Dilemmata der Finanzmärkte, über gedankenlose Schuldenpolitik und über zu hohe Manager-Abfindungen. Tagsüber sagten wir zu allem Ja und Amen.
Wir sollten uns wichtige Fragen stellen: Was läuft schief in den Chefetagen? Was ist der Grund für den Erfolg der ängstlichen Technokraten? Die aktuelle Managementkrise ist die Folge eines oft beschriebenen ökonomischen Werteverfalls. Unser Wirtschaftssystem verliert seine Überzeugungskraft. Dadurch gewinnen politische Kräfte die intellektuelle Lufthoheit, die von Freiheit und Verantwortung des Einzelnen nichts halten.
Wem die soziale Marktwirtschaft lieb ist, der muss sich um den Zustand der Wirtschaftseliten mindestens so sorgen wie um die Wirtschaft generell. Auch Manager haben die Verantwortung, Vorbild zu sein. Sie sind Rollenmodelle für die Jugend. Eine kaputte Elite können wir uns nicht leisten.
Über den Autor: Benedikt Herles studierte an Deutschlands bekanntesten Business-Schools, WHU und EBS. Nach seinem ersten Jahr in einer führenden Strategieberatung hatte er aber genug, schrieb dieses Buch. Jetzt arbeitet er als Associate für einen Risikokapitalgeber, der sich auf Startups spezialisiert hat…
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