Neues Jobangebot, bestehende Beziehung oder Partnerbörse. Ob Manager, Soldat, Politiker oder Student: Fernbeziehungen nehmen zu. Auch bei Partnerschaften ist verstärkt Mobilität gefordert…
Sonntagnachmittag auf dem Heidelberger Hauptbahnhof: „Auf Gleis Fünf erhält Einfahrt der Intercity auf der Fahrt nach Hamburg. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt!“, ertönt es aus dem Lautsprecher am Bahnsteig. Das ist für Sarah B. und Alexander M. (Namen von der Redaktion geändert) das Signal zum Abschied. Keiner von ihnen mag das, aber sie haben sich daran gewöhnt. Während Sarah gegen halb Zehn abends in Hamburg ankommt, beginnt mit dem Schlusslicht des Zuges für Alexander bereits der normale Arbeitsalltag.
Sarah und Alexander führen eine Wochenendbeziehung. Bei vielen Paaren in Deutschland sind Fernbeziehungen längst Realität. Die Tendenz ist nach Angaben von Professor Norbert Schneider von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz steigend. Fast zehn Prozent der Deutschen zwischen 20 und 60 Jahren leben nach einer aktuellen Studie des Mainzer Soziologen zum Thema „Mobilität und Lebensform“ in getrennten Haushalten. Sie pendeln wie Sarah und Alexander zwischen den Städten der Bundesrepublik – Ausland inbegriffen.
Veränderung des Partnerschaftsideals
Dies geschieht nicht immer freiwillig. So fordern immer mehr Unternehmen mobile Mitarbeiter. Billigflieger und Bahnschnäppchen sorgen dafür, dass das Pendeln finanzierbar bleibt. Auch Konsumindustrie und Wohnungsmarkt richten sich auf die neue Klientel ein. Ob Paare an einem Ort wohnen oder zwischen zwei Städten pendeln: Das Wochenende ist die hohe Zeit der Liebe. Der 24-jährige Alexander freut sich schon auf seinen Gegenbesuch in Hamburg – nächstes Wochenende. Dort macht seine Freundin, die sonst in Hamburg Jura studiert, zurzeit ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei. Er selbst studiert an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Medizin. Statt am Neckar spaziert das Pärchen dann am kommenden Wochenende in Hamburg an der Elbe entlang.
Kennen gelernt haben sich die beiden per Zufall in einer Partnerbörse im Internet. Via E-Mails und Anrufen hatte es dann gefunkt. Spätestens in einem Jahr wollen sie zusammenziehen. Zuerst möchte Frank in Heidelberg sein Examen machen, denn die Uni bietet ihm hier Möglichkeiten, die er in Hamburg nicht hat. Seit 18 Monaten führt der Medizin-Student nun mit Sarah eine Fernbeziehung.
Der Boom des Internets fördert die Beziehung in der Ferne. Das trifft besonders Akademiker, die oft erst spät nach Hause kommen und für Partnersuche kaum Zeit haben: „Abends bin ich müde. Da bleibt nur der Blick in die Glotze“, sagt eine Doktorandin aus Mainz, die im Internet nach ihrem Traumtyp sucht. Für Soziologen wie Norbert Schneider ist eine Fernbeziehung eine von vielen Formen gemeinsamen Lebens. Neben dem Jobwechsel und der digitalen Medienwelt ist für Schneider vor allem eine Veränderung des Partnerschaftsideals Grund für eine Beziehung am Wochenende.
3 Kategorien für Fernbeziehungen
Schneider unterteilt Fernbeziehungen in drei Kategorien:
- Mehr als die Hälfte der Paare, die an verschiedenen Orten wohnen und arbeiten, wollen möglichst bald zusammen ziehen. Berufliche Verpflichtungen hindern sie daran.
- Weitere 30 Prozent leben oft in der gleichen Stadt, wollen aber getrennt wohnen bleiben. „Das sind dann häufig auch Menschen aus Scheidungen“, sagt der Soziologe.
- Rund zehn Prozent hätten sich mit der Distanzliebe arrangiert.
Eine Wochenendbeziehung biete Paaren auch Vorteile, erläutert Schneider. Der zunehmend individuelle Lebensstil habe das romantische Ideal entzaubert: Anstatt sich in einem gemeinsamen „Wir“ aufzulösen, verstünden sich die beiden Partner als selbstständige „Ichs“. Die eigene Unabhängigkeit spiele dabei eine große Rolle. Alexander aus Heidelberg sagt dies so „Ich brauche Sarah eigentlich nicht. Deshalb liebe ich sie umso mehr.“
Seine Freundin genießt es, bei ihrem Partner Gast zu sein: „Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, wer die Küche putzt und warum der Kühlschrank schon wieder so leer ist“, sagt Sarah. Ihre Wochenenden gleichen oft einem Ausnahmezustand. Das studentische Pärchen taucht ein in eine andere Welt – die des Partners. „Blöd ist aber, dass wir auf Partys am Samstagabend meinen Freundeskreis treffen, der eben doch nicht uns gemeinsam gehört. Gemeinsame Freunde wären ein Vorteil“, erklärt Alexander.
Überfrachtete Erwartungen
Eigentlich lebt der Medizin-Student als Single und managt seinen Alltag komplett selbst. Manchmal würde er sich wünschen, näher bei seiner Freundin zu sein – besonders, wenn etwas schief gelaufen ist. „Aber am Freitag überlege ich mir zur Feier des Tages, was ich anziehe und was wir am Wochenende schönes zusammen machen können“, erklärt Alexander. Häufig wird das Wiedersehen mit großen Erwartungen überfrachtet, die im Prinzip nicht erfüllbar sind.
„Die Enttäuschung ist schon am Bahnsteig vorprogrammiert, wenn der Partner nicht mit strahlendem Sonntagslächeln empfangen wird“, sagt Diplom-Sozialpädagogin Angelika Bandlitz aus Wachenheim. Sie arbeitet in Rheinland-Pfalz als Paartherapeutin. Gleiches gelte für den Abschied, wenn es am Wochenende gekracht hat: Bei vielen Paaren bleibe ein mulmiges Gefühl zurück: „So werden Konflikte nicht angesprochen, um die sonntägliche Eintracht nicht kaputt zu machen.“
“Kein Patentrezept”
Ein Patenrezept für Partnerschaft gibt es jedoch nicht. „So verschieden Menschen sind, so unterschiedlich gestalten sie auch ihre Partnerschaften“, erklärt Bandlitz. Mit Rezepten für das Gelingen einer Fernbeziehung tut sie sich schwer. Frei nach dem Motto: „Man nehme eine gute Prise Vertrauen, mische sie mit zwei Esslöffel Selbständigkeit und je einem halben Liter Toleranz, schiebe diese gute Basis in den Backofen, auf dass eine Perspektive herauskommt die allen Beteiligten schmeckt.“
Pfarrerin Heiderose Gärtner begegnen in Gesprächen bei der Ludwigshafener Eheberatungsstelle der Diakonie auch Paare, in denen ein Partner für den anderen seinen Job gekündigt hat und in die Stadt des Partners zieht. Häufig bedeute das Einsamkeit für den Partner, der sich im neuen Lebensumfeld erst einmal zurechtfinden müsse. „Das ist vor allem dann problematisch, wenn noch Kinder mit im Spiel sind“, sagt Gärtner. Die „Fernbeziehung“ scheitere, wenn das Paar seine beiden Welten zusammenziehe und sich dabei ein Teil für das gemeinsame Glück opfere. Schon mancher Partner sei dabei enttäuscht worden, wenn der Gegenüber dieses erbrachte Opfer nicht ausreichend würdige.
Daher ist Kommunikation für Therapeuten wie Angelika Bandlitz das Zauberwort – wie in jeder anderen Beziehung auch. Es sei wichtig, dass sich Paare so viel wie möglich über ihre Erwartungen des Zusammenlebens austauschen. Die größte Herausforderung an eine Fernbeziehung ist für Bandlitz ein gesunder Umgang mit Vertrauen, Selbständigkeit und Erwartungsdruck.
Für Frank und Johanna stehen die Chancen für eine gemeinsame Zukunft gar nicht so schlecht: Nach Ergebnissen der Mainzer Studie von Norbert Schneider hält jede vierte Fernbeziehung länger als sechs Jahre. Demgegenüber wurde nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 jede dritte Ehe geschieden. „Für uns ist diese Wochendendbeziehung nur ein Übergangsphänomen. Die Liebe bleibt nicht auf Dauer im Koffer“, erklärt Sarah.
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht 10.08.2009 in einem Magazin des Goethe-Instituts sowie dem Evangelischen Pressedienst/ Feature.
Artikelbild: TippaPatt/ Shutterstock
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