Kaminkarrieren waren gestern, Patchwork heute. Und morgen? Da kommst du, mit deinen Bedürfnissen zum Traumjob. Ein paar Entscheidungshilfen auf dem Weg, deiner Berufung zu folgen. Leseprobe von karrierebibel-Gründer und Bestseller-Autor Jochen Mai…
Eng mit der Selbstverwirklichung verbunden ist die sogenannte Maslow’sche Bedürfnispyramide – benannt nach ihrem Erfinder, dem amerikanischen Psychologen Abraham Maslow.
In seinen Studien befasste er sich mit den unterschiedlichen Stufen menschlicher Bedürfnisse und kam dabei zu dem Schluss, dass diese aufeinander aufbauen – was auch die Form der Pyramide erklärt. Erst wenn die Bedürfnisse der unteren Stufen erfüllt sind, kann man sich demnach auf die höheren Ebenen konzentrieren.
In den unteren Stufen finden sich die Grundbedürfnisse (sogenannte Defizitbedürfnisse) wie schlafen und essen, aber auch die Sicherheitsbedürfnisse – wozu die Arbeit und das Einkommen zählen. Fehlen sie, ist Zufriedenheit eine seltene Ausnahme. Die Selbstverwirklichung bildet hingegen die Spitze der Bedürfnispyramide und wird erst dann relevant, wenn alle anderen Defizite beseitigt sind.
Erst die finanzielle Sicherheit, dann der Sinn?
Das ist zwar ein sehr einfaches Konzept, das auch nicht unumstritten ist. Es zeigt aber, wie schwer die Entscheidung für die Selbstverwirklichung ist, wenn man sich vorher auf eine ganze Menge anderer Dinge konzentrieren muss – allen voran natürlich die finanzielle Versorgung. Laut Maslow schaffen es daher auch nur rund zwei Prozent der Weltbevölkerung, die Stufe der Selbstverwirklichung zu erreichen. Seien Sie also dankbar, falls Sie gerade dieses »Luxus«-Problem haben.
Das ist dann auch der Kern und Knackpunkt der Entscheidung, die wir rund um den Beruf treffen müssen. Zwar streben die meisten nach Selbstverwirklichung, scheuen aber die möglichen Konsequenzen, die damit verbunden sein können. Etwa, wenn man dafür auf den gut bezahlten und sicheren Job verzichtet und sich mit seiner Idee selbstständig macht.
Es kann viele Vorteile bringen, seinem Herzen zu folgen und sich nur auf das zu konzentrieren, was einen wirklich antreibt. Jeder, der schon einmal ein selbstgestecktes Ziel erreicht hat, wird sich noch gut an die Euphorie erinnern, die ihn dabei ergriffen hat. Aber es ist keinesfalls garantiert, dass es so kommt (allerdings ist es das auch in einer vermeintlich sicheren Festanstellung nicht, was nicht gerade wenige ausblenden).
“Kaminkarrieren nehmen ab, Patchwork-Laufbahnen zu”
Womöglich ist die Frage nach der Berufswahl aber auch schon im Ansatz völlig falsch gestellt. In dem Maß, in dem Kaminkarrieren abnehmen und sogenannte Patchwork-Laufbahnen zunehmen, wird die Frage nach dem »Was will ich werden?« immer obsoleter.
Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich ist es wichtig, Ziele zu haben, sich für diese bewusst (!) zu entscheiden und diese anschließend auch konsequent und mit aller Leidenschaft zu verfolgen. Aber das WAS kann dabei eben immer wieder wechseln.
Lebenslänglich? War gestern…
Sie müssen heute – glücklicherweise – eben nicht mehr auf Anhieb den einen optimalen Beruf für sich finden und sind dann auch nicht auf Lebenszeit festgelegt. Das ist zwar kein Freifahrtschein für einen leichtfertigen Umgang mit der Berufswahl – es nimmt dieser aber den finalen Druck.
Viel wichtiger ist, seine berufliche Entwicklung perspektivisch zu betrachten. Der erste Job mag ein wichtiges Sprungbrett sein, der Berufseinstieg eine Zäsur – aber er prägt nicht das Ende des Weges und schon gar nicht das Ziel. Denken Sie dabei bitte auch an andere Lebensbereiche: Partnerschaft oder Familie – und wie sich deren Entwicklung mit Ihren beruflichen Zielen im Laufe der Jahre vereinbaren lässt.
Die vielleicht wichtigere Frage klingt daher nur minimal anders, übt aber einen gigantischen Unterschied auf die persönliche Entwicklung und das Lebensgefühl aus:
WER will ich werden?
Bei dieser Formulierung ist es ähnlich wie bei den Fragen Warum versus Wozu: Sie klingen verwandt, nehmen aber eine ganz andere Perspektive ein.
Wer sich fragt, wer er oder sie einmal werden will, konzentriert seine Ambitionen und seine Energie auf einen Bestandswert, der keinen Konjunkturzyklen unterliegt, der einem nie genommen werden kann und im Idealfall ständig im Wert steigt.
Vor allem aber setzt es Ursache und Wirkung in ein gesundes Verhältnis: Karriere ist dann das, was während der Persönlichkeitsentwicklung passiert. Die Priorität aber liegt auf einem konkurrenzfreien Vorbild, dem man nur selbst nacheifern kann – weil man es so will und sich selbst dazu entschieden hat.
Hohe Boni, bessere Entscheidungen?
Es ist eigentlich ein alter Hut, dass Geld Entscheidungen beeinflusst – spätestens seit den Skandalen über die Vergaben und Wahlen innerhalb der FIFA ist das vielen bewusst. Neben der allgegenwärtigen Korruption gibt es aber noch einen weiteren Effekt, den die Harvard-Wissenschaftler Shawn A. Cole, Martin Kanz und Leora Klapper entdeckt haben:
Geld – in Form von hohen Boni und Zusatzzahlungen – führt zu besseren Entscheidungen bei Arbeitnehmern. Stellte man den Betroffenen einen höheren finanziellen Anreiz in Aussicht, wurden deren Entscheidungen sofort nachhaltiger, was laut den Wissenschaftlern daran lag, dass sich deren Motivation steigerte und eine genauere Prüfung der Alternativen vorgenommen wurde.
Allerdings – und das sagen andere Studien – wirken solche extrinsischen Motivatoren nur kurzfristig. Entweder muss dann die Dosis (sprich: der Bonus) immer wieder erhöht werden, oder aber die Wirkung verpufft…
Exklusiver Auszug/ Serie in 5 Teilen aus: Jochen Mai: Warum ich losging, um Milch zu kaufen, und mit einem Fahrrad nach Hause kam. Was wirklich hinter unseren Entscheidungen steckt, © 2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München – andere Teile der Serie hier lesen!
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