Du willst resilient werden? Dann musst du dich mit dir selbst beschäftigen. Deinem Narzissmus. Je unechter, je falscher die Identität, umso geringer die psychische Widerstandskraft. Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus fällt Resilienz besonders schwer. Psychosomatik-Expertin Mirriam Prieß über Superlative und andere Prinzipien…
Narzisstisch verlanlagt? Grundlage für dieses Prinzip ist eine Persönlichkeitsstruktur, die man auch bei Burn-out-Patienten findet: den Narzissmus. Menschen, die nach dem narzisstischen Prinzip leben, suchen ihre Identität vergeblich im Außen. Sie bauen sich eine Scheinidentität auf, weil ihnen die Grundlage für Gesundheit und Widerstandskraft fehlt: die Beziehung zu selbst. Anstatt mit sich in Beziehung zu stehen, sind sie vor sich selbst auf der Flucht.
Den meisten von uns ist der Narzissmus ein Begriff, die wenigsten wissen jedoch um das Dilemma, welches sich dahinter verbirgt und welches das Gleichnis von Narziss anschaulich beschreibt:
Wer nicht weiß, wer er wirklich ist, der sucht sich in der Welt – ob es im materiellen Besitz ist, in einer Position oder in einem anderen Menschen – und schwächt sich darüber massiv.
Auf der Suche nach sich selbst, nach der eigenen Identität, sucht Narziss sich in allen Spiegeloberflächen zu finden – in den Augen der Menschen, in den Spiegeln oder in Fensterscheiben. Das Gleichnis endet damit, dass er an einen See kommt und auf der Wasseroberfläche sein Spiegelbild entdeckt. Er ist so entzückt, dass er sich berühren will. Er beugt sich vor und in dem Moment, als seine Finger die Wasseroberfläche berühren, zerfällt sein Spiegelbild. Dieser Moment beschreibt das eigentliche Drama des Narzissten: Wenn ich mit mir in Berührung komme, dann zerfalle ich, dann löse ich mich auf- dann bin ich nichts.
Wer die Überzeugung in sich trägt, nichts zu sein, der muss versuchen, im Außen alles zu sein – und dieses Alles zeigt sich in der Suche nach dem grenzenlosen Superlativ. Doch wer das Gleichnis richtig liest, wird nicht nur Zerstörung darin finden, sondern auch den Schlüssel zu seelischer Gesundheit die Suche nach sich selbst als Gegenüber. Die Suche nach Begegnung mit sich selbst. Die Suche nach Kontakt mit sich selbst. Narziss’ Geschichte zeigt das gesunde Bedürfnis, mit sich selbst in Berührung zu kommen – als Grundlage für die eigene Identität und damit verbundene Widerstandskraft.
Widerstandskraft = Charakterfestigkeit
Je narzisstischer ein Mensch ist, desto geringer ausgeprägt ist seine psychische Widerstandskraft. Man kann einen nahezu antiproportionalen Bezug zwischen der inneren Widerstandskraft und der äußeren Scheinidentität herstellen. Je wichtiger einem Menschen sein äußerer Schein ist, desto geringer seine Resilienz.
Nur wer zu seiner Persönlichkeit gefunden hat, hat inneren Halt gefunden und vermag Situationen so zu beurteilen, wie sie tatsächlich sind.
Je schwächer, je unechter die Identität einer Person ist, umso schneller neigt sie dazu, die Situation als bedrohlich einzuschätzen und dementsprechend zu reagieren.
Es ist unsere Bewertung der Situation, die darüber entscheidet, ob wir in Stress geraten oder nicht – und wir geraten immer dann in Stress, wenn wir uns in unserer Person, unserem “Überleben“ bedroht fühlen. Das Gefühl der Bedrohung hängt maßgeblich mit der eigenen Identität zusammen. Es setzt dann ein wenn wir uns in dieser bedroht fühlen.
Ob Stress auftritt, hängt davon ab, wie wichtig das, was wir wollen, für uns ist. Je mehr wir uns mit einer Sache, Person oder Situation identifizieren – je mehr wir in der Identifikation gleichsam “selbst zu der Sache werden” -, umso stärker ist ihre Bedeutung und umso größer ist der Stress für uns, wenn sie unseren Vorstellungen nicht genügt.
Auch mal über sich selbst lachen!
Ein zentraler Punkt für geringe Resilienz, für Stressanfälligkeit liegt darin begründet, dass die Kraft nicht in sich selbst, sondern in der Umwelt gesucht wird. Stress entsteht durch unsere subjektive Bewertung, und unsere Bewertung hängt davon ab, wer wir sind – und wer wir nicht sind.
Je narzisstischer, je falscher unser Selbstbild ist, desto unsicherer fühlen wir uns und desto schwächer begegnen wir dem Leben. Wir neigen viel schneller dazu, uns bedroht zu fohlen und dementsprechend falsch zu reagieren. Zusätzlich verlieren wir unsere Kraft, indem wir sie in die Aufrechterhaltung unseres falschen Selbstbildes und fragilen Lebensgerüsts verschwenden, anstatt sie in uns selbst zu investieren.
“Wir sind mehr als nur Situationen”
Menschen, die sich selbst als stressanfällig und wenig resilient beschreiben, unterscheiden sich in ihrer Identität von denjenigen, die Krisen meistern, in einem zentralen Punkt: Sie suchen ihre Identität im Außen – anstatt in sich selbst. Sie haben sich mit ihrer Partnerschaft, mit ihrer Position, mit bestimmten Lebensbereichen identifiziert – und sich und die eigene Selbstbestimmtheit darüber verloren. Als sich ihre Lebensumstände änderten, mussten sie demgemäß in eine tiefe Krise abrutschen. Menschen, die Krisen meistern, ist stets bewusst, dass sie mehr sind als die Situation, unter der sie leiden.
Wer das eigene Leben nicht durch sich selbst findet, der wird das Leben nicht bewältigen können. Er wird in dem Gefühl gefangen sein, sein Leben zu verlieren, wenn das Leben sich verändert.
Wer an seiner psychischen Widerstandskraft arbeiten will, wer stark durchs Leben gehen und dem Leben stark begegnen will, der kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass der eigentliche Halt in ihm selbst zu suchen und zu finden ist. Wer das eigene Leben nicht durch sich selbst findet, der wird das Leben nicht bewältigen können. Er wird in dem Gefühl gefangen sein, sein Leben zu verlieren, wenn das Leben sich verändert.
Eigenes Ich akzeptieren
Wenn Sie sich also die Frage nach der eigenen Resilienz stellen, dann gilt es, sich auf die Suche nach der eigenen Identität zu machen. Es gilt, sich von der Frage zu verabschieden, wer Sie sein wollen, und sich die Frage zu stellen, wer Sie tatsächlich sind.
Resilient zu werden heißt, sich vom Superlativ zu verabschieden und innezuhalten. Innezuhalten auf der Flucht vor sich selbst. Innezuhalten auf der atemlosen Suche nach mehr. Innezuhalten und sich der Angst zu stellen, nichts zu sein. Innezuhalten und
den Dialog mit sich selbst aufzunehmen. Innezuhalten und zu akzeptieren, was tatsächlich ist – man selbst.
Selbstreflexion: Je mehr Sie Ihre Identität im Außen suchen, je mehr Sie Ihre eigene Bedeutung in eine Situation/Sache/Person hineinprojizieren, umso unsicherer und “störanfälliger” werden Sie. Überprüfen Sie in Ruhe, worauf Sie Ihre Identität gründen. Woran messen Sie Ihre Bedeutung? Was ist für Sie das Wichtigste in Ihrem Leben?
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