Systemkritik am Kapitalismus finden viele Banker christlichen Glaubens berechtigt, einen Abschied vom Investment-Banking aber nicht. Über Leistungsdruck…
Christliche Manager an der Wall Street sind nicht besser als andere, aber vielleicht krisenfester und sensibler? Seit der Krise besuchen in New York dreimal so viel Manager Gottesdienste als vorher, sagt Pfarrer James Cooper an der Trinity Church, direkt gegenüber der Börse. Sogar die weltlichen Finanzmagazine berichten über diesen Trend. Doch was bedeutet das, diese Verbindung von Karriere und Christus?
Buchhalterin Sherron Watkins. Sie hat bei dem 2001 insolvent gegangenen Energiekonzern Enron gearbeitet, der wegen Bilanzfälschung im großen Stil Schlagzeilen machte. Der christliche Glaube habe in ihrem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt, sagt Watkins, die im evangelikalen Südwesten der USA, dem sogenannten „Bible Belt“, aufgewachsen ist.
Sie wisse, wie heikel es sein kann, zwischen Glauben und Geldgeschäften integer zu bleiben, wie das Gewissen einen drängen kann. Als ihr Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen ihres Unternehmens auffielen, erzählt sie, habe sie zunächst das Gespräch mit ihrem Pfarrer gesucht, mit ihm gebetet.
Die Bibelstelle aus dem Hebräerbrief, in der es um die „Wolke der Zeugen“ geht, habe sie nicht losgelassen. Schließlich suchte sie ihren damaligen Vorgesetzten auf und wies ihn auf die moralischen Grauzonen seiner Bilanzen hin. Das Ergebnis: Sie wäre als Nestbeschmutzerin beschimpft worden, hätte ihren Job verloren. Einfach sei das nicht gewesen.
Inzwischen hat Watkins die Seiten gewechselt und tourt durch die USA. Sie berät Manager und Unternehmen, wirbt dafür, „kreative“, also betrügerische Buchhaltung zu vermeiden. Aufrichtigkeit könne sehr weh tun, sagt sie: „Ein Manager sei nicht nur seinen professionellen Standards verpflichtet, dem Wohl der Investoren“. Bei Enron wären das die vielen Mitarbeiter gewesen, ihr eigenes Schicksal und das ihrer Familien.
Gefangen im Zwiespalt gedachter Szenarien (und deren Konsequenzen) habe auch sie viele Jahre still gehalten. Doch am Ende habe sie es nicht mehr ausgehalten: „Jedem Christen platzt irgendwann der Kragen“, glaubt die Buchhalterin. Diese Enrons gebe es überall. Und auch Christen seien gegenüber dieser Gier anfällig.
Vivek Matthew hat die Höhenflüge und Abstürze im Investment-Banking erlebt. Neun Jahre buchte er wie Watkins die Konten seiner Auftraggeber. Nicht in der Industrie sondern auf Seite der Investoren bewegte der Business-Analyst hohe Summen, für viele Menschen unvorstellbar. Matthew brachte die größtmögliche Rendite für seine Kunden, spekulierte mit hohem Risiko auf Kosten anderer, dem Nutzen weniger verpflichtet: Fremdkapital durch billige Kredite.
Die letzten acht Jahre war das ein einträgliches Geschäft, auch für die Gläubiger, Banken und Versicherungen. Der junge Börsenmakler stieg während der „New Economy“-Krise bei der Bank Morgan Stanley ein. Er erlebte die Hybris gieriger Spekulanten im Internetgeschäft. An das Platzen dieser „Blase“ erinnert sich Matthew gut. Der 11. September zeigte ihm auf schockierende Weise, wie schnell als unzerstörbar wahrgenommene Wolkenkratzer in Trümmern liegen können. Und dann, im vergangenen Jahr, die größte Krise des Finanzsystems seit 1929.
Lehmann Brothers, Performer & Co
Obwohl ihn sein Chef auch weiterhin als „Performer“ lobte, kündigte er nur wenige Wochen bevor die Pleite der Lehmann Brothers bekannt wurde. Seit zwei Semestern studiert er nun Theologie in Princeton, fünfzig Meilen entfernt von der Wall Street, im Aufbaustudium. Doch will er diesen Ausstieg keinesfalls als Zeichen von Reue verstanden wissen. Er persönlich habe nichts falsch gemacht, findet Matthew. Vor allem an der Basis habe er „seinen Job“ gewissenhaft durchgeführt, betont er, jede Transaktion sei technisch korrekt gewesen.
Seine Kollegen in New York bedauert Matthew wegen des Verlustes ihrer Arbeitsplätze. Mit der Limousine seien sie gekommen, nachts mit dem Taxi gefahren, mit gepackten Umzugskisten. Solche Mitarbeiter, die sich keinen Privatjet im Norden Manhattans leisten konnten. Manche Manager seien damit in die Rocky Mountains geflüchtet. Matthew habe ihre Prahlerei immer kritisch gesehen, genau wie die „neue Bescheidenheit“ ein Jahr nach dem Crash.
In seinen besten Jahren als Banker hat auch er viel Geld an der Börse verloren. Doch trotz hitziger Debatten über Managergehälter und Bonuszahlungen mit seinen Kommilitonen – er investiert weiter, auch vom Campus aus. Sein Job an der Wall Street sei wie jeder andere auch gewesen: viel Handwerk, viel Routine.
Manager-Gehälter, Bonus-Zahlungen & Co
Und wie überall gäbe es auch unter Investment-Bankern Spannungen, gerade im Zwischenmenschlichen: Arroganz wegen der letzten Beförderung, das Mobbing der zwangsläufigen Absteiger. Von „Moralaposteln“ im für ihn neuen, theologischen Umfeld hält er wenig: „Vom Investment-Banking haben die meist keine Ahnung, maßen sich aber ein strenges Urteil an“, sagt der 31-jährige. Damit meint er manche Theologie-Professoren die, so Matthew, gegen Manager miese Stimmung machen. Und die besondere Verantwortung der Banken?
Die habe jeder Mensch, für das was er tue, findet Matthew. Es komme auf den „Bodenkontakt“ an, die Glaubwürdigkeit dessen was man tut. Ihm habe dabei der regelmäßige Besuch eines christlichen Hauskreises in Manhattan geholfen. Das Mitgefühl für seine Nächsten habe er damit trotz den Excel-Sheets im Börsengeschäft nicht aus dem Auge verloren.
Daran würde er auch bei jedem Gottesdienst am Broadway erinnert: „Es gibt den Obdachlosen in meiner Kirche, der First Presbyterian Church, genauso wie den Investment-Banker“, beschreibt er die sozialen Unterschiede New Yorks. Matthew will Menschen achten, wie Jesus es getan hat. Investment-Banking sei eine Versuchung, aber kein Widerspruch zu seinem eigenen Glauben.
David Miller lehrt Ethik an der Princeton University. Seine Vorlesungen wirken für Zuhörer wie Matthew glaubwürdiger, als die anderer Theologen. Auch Professor Miller hinterfragt in seinen Kursen die gängige Praxis der Banken, aber er tut das als Theologe und Betriebswirt. Rund fünfzehn Jahre managte er für die britische Großbank HSBC Versicherungen an der Wall Street. Dann schrieb er seine Doktorarbeit über christliches Management: „Der weiß, wovon er spricht“, sagt Vivek Matthew.
Miller interessiert, was den Glauben der Manager von morgen prägen wird, was in ihnen vorgeht, wenn sie von einer Karriere an der Wall Street träumen. Wenn auch plakativ, seien dies oft Statussymbole: schnelles Geld, rote Ferraris, Villen auf Long Island.
“Logik um Geld und Geltung”
„Sie entsprechen der Logik unserer Märkte um Geld und Geltung“, sagt Miller, „Solche die es haben und andere, die es sich noch nicht leisten können“. Der christliche Glaube, so Millers Studien, bewahre das Menschsein der Manager, ihre Identität: „Ohne dieses Korrektiv verwandelt man sich sehr schnell“, sagt er über den Wettbewerb der Wall Street, oft gnadenlos.
High-Potentials, Ranking-Mechanismen & Co
Ein Manager würde so wie er eigentlich nie sein wolle. Jemand, der die Mechanismen bedient, die ihn selbst in seinen Chefsessel befördert hätten: Permanentes Vergleichen mit Leistungen anderer, kompetitive Rankings um Anerkennung, meist zum Quartalsende. Manche Personaler nennen das „Passion wanted“ (Leidenschaft gesucht).
So steht es auch in den Karrierebroschüren der Banken. Um ihren Nachwuchs, „High Potentials“, werbend, beschreiben viele ihre Unternehmenskultur mit Formeln wie „grow or go“ (wachse über dich hinaus oder lasse es bleiben). Oder: „up or out“ (nach oben, oder nach draußen).
Robert Doll hat diese Karriereleitern gemeistert. Als Christ sind für ihn Wettbewerb und Kooperation im Allgemeinen kein Widerspruch.
Im Umgang mit seinen Mitarbeitern schon. Das Reden um ihr Fordern und Fördern nimmt der Manager ernst. Dabei bezieht sich Doll auf den sogenannten Leverage-Effekt, dem Dogma der Finanzwirtschaft. Ein Hebel der bei kleinen Variationen einer Variablen zu größeren Rendite führt.
Gerade im Personalwesen der Banken sei der missbraucht worden: „Das darf kein Feigenblatt, eine Legitimation für Ausbeutung sein“, sagt der Investment-Chef bei BlackRock. Die Finanzwelt, in der er lebt, hält er theologisch gesehen für unbeständig.
Trotzdem: „Jede Kursschwankung wird sich irgendwann zu Füßen vom Herrn Jesus auflösen“, bekennt der Christ, gottesfürchtig, schwerreich. Es klingt fast schon frech, aber Doll nimmt sein Glaubensbekenntnis ernst. Trotz der Millionengewinne gehöre ihm nichts auf Dauer, Demut sei ihm wichtiger. Vor allem bei diesen unglaublichen Summen. Er blättert ein wenig in der Offenbarung seiner Büro-Bibel.
In letzter Hierarchieebene verwaltet Doll 2,7 Billionen US-Dollar Kundenvermögen. Mehr als 5000 Mitarbeiter helfen ihm, so viel Vermögen zu managen wie die Bundesrepublik Deutschland an Schulden angehäuft hat. Die Zürcher Groß-bank UBS, managt auf Platz zwei der Weltrangliste immerhin 2000 Milliarden US-Dollar für ihre Kunden.
Die Geldgeschäfte lenken schnell ab von dem, was Doll eigentlich will, seiner Berufung nachkommen. Mitte Fünfzig, will er vor allem eines: „Zeugnis für Jesus Christus ablegen“. Sein finanzieller Erfolg, sagt er, könne ihm Religion, Glauben und Spiritualität niemals ersetzen…
Auch wenn er mehr wegen diesem Geld von Nichtchristen gehört werde, weniger seiner Frömmigkeit. Auch TV-Journalisten vom Sender CNN, die ihn täglich um Einschät-zungen bitten, zeigen sich beeindruckt. Dabei vermischt Doll die Apparate und Vokabeln seiner beiden Klientelen, Kirchen und Konzernen.
Für Außenstehende klingt das kryptisch: „Gottesfurcht senkt die Transaktionskosten, gerade in der Krise“, sagt er bestimmt. „Glaube schafft Vertrauen, kann sogar das Verhalten der Mächtigen ändern, ein echter Erfolg“, findet Doll. Im hektischen Alltag der Börse, einer Hundert-Stundenwoche mit Nachtschichten scheint kaum Zeit für Gott zu sein. Oder etwa doch?
Geschichte des Zöllners Zachäus im Evangelium
Der Glaube gebe ihm aber Rückhalt und innere Heilung. Nach außen mache ihn der sensibler für Bedürfnisse anderer. Seinen 20-Millionen-Dollar-Bonus vom letzten Jahr habe er gespendet, sagt er.
Bei vielen Kollegen beobachtet er, wie der hohe Leistungsdruck sie zu Einzelkämpfern mache. Sein Fazit: „Gerade die bräuchten Jesus am meisten.“ Und ergänzt: Gott liebt auch die Banker“. Er erinnert sich gern an die Geschichte des Zöllners Zachäus. Der kletterte in den Baum, um Jesus zu sehen.
Doll sitzt im Wolkenkratzer: „Gott sei Dank habe ich die Demut, wieder den Weg nach unten zu finden“, lacht er und rückt seine Krawatte zurecht. Doll wirkt wie ein Moralist, der an der Wall Street wenig zu suchen hat. Aber er ist nicht der Einzige im Top-Management, der von Kollegen gehört wird, wenn auch leicht für naiv gehalten.
Stephen Green, Vorstand von HSBC, der größten Bank der Welt, engagiert sich sogar als Laienprediger in der Anglikanischen Kirche. Am Abend wird Doll in seiner Gemeinde zwei Chöre leiten, wie jede Woche. Die wenigsten dort wissen, was er beruflich macht. Doll möchte das auch in Zukunft so halten.
Glauben als Grundlage für moralisches Verhalten
In einem Institut für verantwortliches Wirtschaften, mitten im New Yorker Bankenviertel, lädt die NGO-Aktivistin Laura Berry Investment-Banker zum Mittagessen. Anders als üblich geht sie nicht mit nur ein, zwei besonders kapitalträchtigen Managern in ein schickes Lokal an der Upper Eastside.
Neue Seilschaften bloß fürs eigene Ego zu spinnen, ist Berrys Sache nicht. Gestärkt durch einige Pfarrer, wirbt sie um die „neue Verantwortung nach der Krise“.
Professoren wie David Miller aus Princeton helfen ihr, dass ethischen Investments im (entfesselten) Kapitalismus mehr Kredit geschenkt wird. Das Ziel von Berrys Arbeit ist einfach, deren Umsetzung scheinbar hoffnungslos: „Glauben als Grundlage für moralisches Verhalten zurückgewinnen. Und synchron nachhaltigere Geldanlagen fördern“.
So übersetzt Berry die Bergpredigt, die zehn Gebote und die Goldene Regel in den Alltag der Anzugträger. „Ich bin immer wieder verblüfft, wie viel Manager eigentlich aus der Bibel wissen“, erklärt Berry. Umso mehr enttäuscht es sie, wie wenig dieses Wissen auch umgesetzt werde.
Christliche Gewissheit, Hoffnung und Vertrauen
Christen hatten mit ihren Moralvorstellungen wenig Einfluss auf die Wall Street die letzten zwanzig Jahre. Auch Juden, Moslems und anders religiös verwurzelten Menschen sei das vor der Krise so gegangen. Doch ans Aufgeben denkt Berry nicht.
Sie und ihre Mitstreiter wollen dafür sorgen, dass den Verantwortlichen an der Wall Street der Glaube an Christus wieder wichtig werde. Nur diese Verankerung schaffe endgültige Gewissheit, Hoffnung und Vertrauen, da ist sich die römische Katholikin sicher:
„Die Gemeinschaft mit anderen Christen hilft beim Bewusstwerden eigner Defizite.“ Gemeinde, in welcher Form auch immer ist für die Wall Street-Christen unverzichtbar.
Vivek Matthew und David Miller suchen ihre Verbündete bei den Presbyterianern. Sherron Watkins und Robert Doll lesen die Bibel in konservativeren Freikirchen. Und alle teilen Berrys Einschätzung: Die Bedeutung christlicher Werte habe seit der Krise zugenommen. Vorher seihen sie nur „Good Will“ gewesen, Appell und Lippenbekenntnis vieler Manager an der Wall Street.
Jetzt stehen zumindest zwei Begriffe wieder auf ihrer Agenda: „Dienstleistung“ am Nächsten und „Investment“ in die Gesellschaft. Kann Gottesfurcht also Gier überwinden? Wahrscheinlich nicht immer. Aber manchmal eben doch.
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