Psychologische Zusammenhänge sind nicht das Lieblingsthema deutscher Unternehmer. Meist ein subjektiver Eindruck. Nun Resultat empirischer Forschung. Von Rolf Berth…
Dass das Bildungswesen eine große Zukunftsaufgabe darstellt, ist mittlerweile akzeptiertes Allgemeingut. So manche Schieflage im Schulwesen ist zumindest erkannt, manche sinnvolle Entwicklung im Hochschulwesen aufgegriffen. Von Dr. Rolf Berth und Martin Liebmann.
Während wir dabei sind, wieder ein wenig optimistischer zu werden, überraschen einige Ergebnisse der Akademie Schloss Garath in Düsseldorf.
Der Verdacht: Eine weitere Bildungsmisere à la Pisa. Das Überraschende ist auf einer Etage, wo ihn wohl kaum jemand erwartet hätte. Wir sprechen von den Führungskadern, den Managern ganz oben.
Führung, eine Frage des Charakters
Zu einer aufgeklärten Menschenführung gehört, dass über den Menschen als Ganzes kommuniziert wird. Das heißt also nicht nur Skills und Fähigkeiten werden diskutiert, moniert und als Ziel gesetzt, vielmehr muss der Charakter einbezogen werden, um menschliches Handel zu verstehen.
Darum ist es kein Luxus, die Grundzüge des Charakters der Geführten verstehen zu wollen. Wie steht es also um die charakterlichen Beurteilungsfähigkeiten unseres Managercorps?
Über 200 Teilnehmer aus 29 verschiedenen Branchen und Hierarchiestufen – vom Vorstand über den Geschäftsführer bis zum Spartenleiter – bilden die „Stichprobe“. 17 Prozent sind Frauen. Die Versuchspersonen erhielten Aufgaben, anhand derer sich beurteilen ließ, in welchem Maß die Manager befähigt sind, sich selbst und andere charakterlich zu beurteilen.
Werte von Skills unterscheiden
Skills sind Fähigkeiten, Routinen, Wissen und Geschicklichkeiten. Man kann sie mit „Erfahrung“ zusammenfassen, für die Karriere. Typisches Merkmal ist ihre Erlernbarkeit und Beeinflussbarkeit.
Unter Werten verstehen wir Charakterzüge, Bekenntnisse, Leitbilder, Ideale, Triebneigungen, seelische Abwehrmechanismen.
Ihr wichtigstes Charakteristikum manifestiert sich darin, dass sie zu einem erheblichen Teil als unveränderliches Erbgut von großer Stabilität auf uns gekommen sind. Diese genetische Fixierung bewirkt, dass die Wertewelt nur sehr begrenzt unserem Willen unterliegt.
Die Studie bestätigt, dass deutsche Manager zwar mit Skills vorbildlich umgehen, ihnen aber alles, was über die nüchternen Skills hinausgeht und sich den schillernden Werten nähert, mehrheitlich zuwider ist. Eine unbewusste Abwehr verhindert, dass aus linearen Skill-Verwaltern multidimensionale Personality-Manager werden.
Muss man unbedingt, die überlasteten Manager auch noch mit Sigmund Freud behelligen, wo sie doch souverän mit Skills umgehen können? Das Beispiel soll deutlich machen, dass sich gutes Personality-Management auszahlt.
Es ging um ein Innovationsprojekt, nämlich um die Entwicklung eines neuen Kleidungsstoffes mit der Besonderheit: Er sollte nicht knittern. Auf dieses Handicap aller Normalstoffe eine Antwort zu finden, hätte zu einem profitträchtigen Geschäft geführt.
Um die Erfolgswahrscheinlichkeit des Projekts zu verbessern, wurde Herr K. von einem der besten Faser-, Garn- und Kunststoffspezialisten abgeworben und mit einem hoch qualifizierten Innovationsteam umgeben, das er leiten und beflügeln sollte.
Skills-Verwalter oder Personality-Manager?
Mit einem charakter-orientierten Typentest hätte man schnell festgestellt, dass Herr K. zu jener Kategorie Erfinderpersönlichkeiten gehört, die eigenbrötlerisch und kontaktschwach „vor sich hin erfinden“. Sein Typus ist der „stark engagierte Tüftler“.
Solche Persönlichkeiten sind weitgehend teamunfähig. Ihr erfinderischer Reichtum entfaltet sich im stillen Kämmerlein, nicht aber im Großlabor. Allen versammelten Skills zum Trotz, musste das Projekt abgeblasen werden.
Herr K. war als Teamchef überfordert. 9 Mio. Euro hatte der Versuch gekostet. K. kehrte wieder zu seinem früheren Arbeitgeber zurück, wo er sich in einem kleinen Labor mit zwei Assistenten erneut an die Arbeit machte. Zwei Jahre später lancierte seine Firma den neuen Artikel in den Staaten.
“typische Charaktereigenschaften eines Tüftlers”
Fazit: Man hatte die Skills überbewertet und die typischen Charaktereigenschaften eines Tüftlers übersehen. 9 Mio. Euro waren der Preis des Irrtums. Es gibt also handfeste Argumente, das deutsche Management auf seine charakterologische Urteilsfähigkeit zu überprüfen.
Die Versuchspersonen sollten nun – u.a. Ingenieure, Betriebswirte oder Informatiker – eine „Fremdperson“ und sich selbst beurteilen.
Danach bewerteten Psychologenteams die „Fremdpersonen“ und führten – um die Selbstbeurteilungen einschätzen zu können – mit jeder Versuchsperson analytische Gespräche und stellten dann Laienanalyse und professionelle Analyse einander gegenüber.
War die Beurteilung des Probanden der Analyse des Psychologen sehr ähnlich, wurde sie als „weitgehend richtig“ eingestuft, stand sie in krassem Gegensatz als „spiegelbildlich verkehrt“. Beispielsweise wenn sich der Proband selbst als einfallsreich, der Psychologe ihn hingegen als denkfaul beschreibt.
Widerspruch zwischen Selbsteinschätzung und Feedback Dritter
Das Ergebnis: Sowohl bei der Fremdbeurteilung als auch bei der Selbsteinschätzung lagen zwei Drittel falsch. Fremderkenntnis ist mühselig, Selbsterkenntnis noch viel schwieriger. Durch Eitelkeit motivierte Einstellungen und drastische Selbstüberhebung sind sehr häufig.
Die Probanden, die mit ihrer Einschätzung einigermaßen oder weitgehend richtig lagen, hatten eine Typologie mental greifbar und einsetzbar. Die Fähigkeit zur zutreffenden Charakteranalyse korreliert ganz stark mit dem Einsatz einer Typologie.
Wie kann jemand also führen, motivieren, verkaufen oder Kundenstrategien entwickeln, ohne die Werte- und Persönlichkeitskonfigurationen seiner Kunden und Partner zu kennen.
Bei weitgehender Ignoranz müssen sich Konflikte und Missverständnisse zwangsläufig ergeben. Sind das die Manager, die sich von „provinzlerischem“ Denken befreit und die Globalisierung vorangetrieben haben? Sind das die gleichen Leute, die sich in zahlreichen Märkten trotz härtester Konkurrenz behauptet haben oder sogar zu „Worldleadership“ aufgestiegen sind?
Die Werte-Typologie nach Leavitt-Lüscher-Berth
Sie unterscheidet sechs verschiedenen Typen…
- Eifrige Tüftler ist dadurch charakterisiert, dass er Abstand halten will. Er plant, um Projekte systematisch abzuarbeiten und ist davon überzeugt, dass Ausdauer reüssiert. Er glaubt an Disziplin und Askese. Nicht Revolution, sondern Evolution schafft für ihn Qualität.
- Analysierende Rechner glaubt, dass Kreativität allein auf Sachkompetenz basiert sowie Ordnung und Ratio die Welt regieren. Er will Chaos und Prinzipienlosigkeit bekämpfen und an Bewährtem festhalten.
- Freundliche Vermittler geht auf den anderen zu, um sich mit ihm zu ergänzen. Er glaubt an Vertrauen, statt Kontrolle. Erfolg und Fröhlichkeit gehören für ihn zusammen. Der Kompromiss ist für ihn die klügere Form der Führung.
- Utopische Querdenker will Überholtes radikal ausmerzen. Er besitzt eine Durchbruchsmentalität und will dafür Freiräume des Denkens schaffen. Vision, Mission, Einmaligkeit und Andersartigkeit ebenso wie Design, Stil Ästhetik und Originalität führen zum Erfolg.
- Sicherheit suchende Zauderer will dienen, sich anpassen und innerhalb der Regeln einbringen. Delegation heißt für ihn Orientierung. Der Zauderer pflegt ein gesundes Misstrauen und beachtet Verbote penibel.
- Draufgängerische Macher begeistert. Er muss Sieger sein. Deshalb reagiert er schnell auf Veränderungen und ist stark wachstumsorientiert. Technische Spitzenleistung ist bei ihm eng mit emotionalem Gewicht verbunden.
Neues Denken
Um mit Werten und Typen zu arbeiten, bedarf es eines neuen Denkens, das sich vom Resultatedenken abhebt. Es geht um ein Stück Weltanschauung und Firmenkultur. Die Profitsumme in einer Bilanz ist etwas Objektives. Dem situativen Ansatz gegenüber steht das wertorientierte, typologische Denken, also die Frage, wo die Käuferklientel „abgeholt“ werden muss.
Ein Angebot muss bei der Zielgruppe auf Sympathie stoßen. Sympathie ist die Vorbedingung dafür, dass latente Energien umsatzfördernd ausgelöst werden. Man sollte meinen, dass dieses Zuordnen und hinterfragen leicht akzeptiert wird.
Aber der Ansatz trifft bei vielen auf Widerstand. Es ist die Ungewissheit des Typischen und die Notwendigkeit dauernden multidimensionalen Denkens in einem Netzwerk, das viele Menschen abschreckt…
Über den Autor: Rolf Berth ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Akademie Schloss Garath in Düsseldorf, arbeitet als Betriebswirt und Psychoanalytiker, war Vorstandsvorsitzender verschiedener Firmen, u.a. von Levi Strauss.
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