Raus aus der Uni, rein in die Bewerber-Mühle: Unternehmen “grillen” interessante Kandidaten gerne im Assessment-Center. Wer nervenstark genug ist, umkurvt auch manchen Stolperstein. Sabrina Kurth und Marc Röhlig waren bei so einem Training dabei…
Jan Berner sagt: “Natürlich haben sie Angst, ich hatte damals auch Angst, ich kann das nachfühlen.” Berner hat vor zwei Jahren seinen Abschluss in Volkswirtschaftslehre gemacht. Jetzt steht er auf der anderen Seite, trägt einen grauen Anzug mit roter Krawatte. Und vor ihm sitzen acht Studenten, tragen schwarze Pullis, violette Tops und gestreifte Blusen. Heute wollen sie sich der Angst stellen.
Jan Berner bietet an diesem Abend gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Woskowiak den Workshop “Der Alptraum hat einen Namen: Assessment Center” an. Es ist eine Art Coaching für den Ernstfall – für den Berufseinstieg.
Der Workshop gehört zum Programm der A.S.I. Wirtschaftsberatung, die Studenten aus ganz Deutschland in ihre Seminarräume holt, von Rostock bis Schwenningen. “Die Nachfrage”, so Volkswirt Berner, “ist enorm gestiegen. Vom Romanisten über den Informatiker hin zum Forstwirtschaftler schaut mittlerweile jeder bei uns vorbei.”
“Ich glaube, wir verzetteln uns gerade”
Im Freiburger Seminarraum sitzen angehende Biologen, Psychologen, Volkswirte – und ein Physikstudent. Er heißt Tycho Stange und ist gerade 21 Jahre alt geworden. Im Nebenfach studiert er BWL und steht bald vor der Entscheidung: “Arbeite ich in der Wirtschaft oder bleibe ich in der Wissenschaft?”
“Brain Teaser”
Im Seminar wird die Wirtschaft erst mal von der Wissenschaft überrumpelt: Jan Berner kündigt den “Brain Teaser” an, ein beliebtes Mittel im Assessment Center. Die Teilnehmer bekommen ein Problem – natürlich mit mathematischen Stolpersteinen – und sollen es vor den Augen der Chefs in fünf Minuten gemeinsam lösen. Die Aufgabe für die Studenten: Wie viel Zeit hat der Weihnachtsmann an Heiligabend pro Kind?
Das Team rauft sich schnell zusammen und schleudert Fragen in die Runde: Kommt der Weihnachtsmann nur zu den Kindern, die an ihn glauben? Gehen wir überhaupt vom echten Weihnachtsmann aus? Was ist mit Kindern anderer Ethnien? Und den Amis? “Ich glaube”, flüstert einer in die Runde, “wir verzetteln uns gerade.” Der perfektionistische Bewerber?
Keine Verschnaufpause: Teamwork, Vortrag, neues Thema
“Die Tücken bei einem Assessment Center sind breit gestreut”, erklärt Berner. Es gebe keinen einfachen Weg, kein richtiges Verhalten – “wie man sich präsentiert, hängt stark von der Stelle ab, auf die man sich bewirbt”. So solle man zum Beispiel bei Gruppenarbeiten zwischen dem Moderator, dem Ideengeber oder dem Koordinator wechseln können. Oder anders: “Sich mal ins Spiel bringen und auch mal zurücknehmen.” Coach Berner erntet enttäuschte Blicke.
Zeit zum Durchatmen bleibt nicht. Physikstudent Tycho wird von den Trainern gleich nach der Gruppenarbeit erneut ins kalte Wasser geschubst. Er soll einen Kurzvortrag halten. Zehn Minuten hatte jeder Teilnehmer, um sich auf sein Thema vorzubereiten. Tycho schrieb sich ein Konzept zu “Globalisierung – Segen oder Fluch?”
Dann der Schock: Als der Vortrag losgeht, tauscht Dozent Jan Berner augenblicklich das geplante Thema aus und verlangt eine Präsentation zum Thema “Sollte der Liter Benzin bald fünf Euro kosten?” Und Tycho stammelt los, zuerst mit gequältem Lächeln, dann schnell gefasster. “Man hat gemerkt, wie sich deine Gedanken live im Kopf bildeten”, kritisiert ihn danach eine Kommilitonin.
Test mit Strauchelgarantie
Aber der Druck hat Methode: Unternehmen überlegen sich sorgfältig, wen sie warum einstellen. Sie wollen bei jedem einzelnen Bewerber zuerst “die Soft Skills rauskitzeln”, sagt Jan Berner. Für den Einserschüler interessiere sich schon lange keine Firma mehr.
Spannend sei dagegen ein Bewerber, der “neben der Uni jobbt, ehrenamtlich arbeitet und über den Tellerrand schaut.” Aber das will kein Personaler im Bewerbungsschreiben lesen. Er will es erleben. Uns spricht dabei auch vom Entwickeln der Persönlichkeit.
Gerade wegen solch harscher Auswahlkriterien, wegen Einzel- und Gruppentests mit der Garantie zum Straucheln, haftet dem Assessment Center ein negativer Beigeschmack an. Unternehmen verstecken es daher mittlerweile gerne hinter dem Begriff “erweitertes Bewerbungsgespräch”.
Dabei hat diese Form der Bewerbung nach Auffassung von Berner auch für Job-Einsteiger einen entscheidenden Vorteil: Das Unternehmen definiert seine Erwartungen, und der Bewerber erfährt seine Grenzen. So können sich beide Seiten beschnuppern, bevor sie den Arbeitsvertrag unterschreiben.
“Das Assessment Center”, sagt Berner, “erlebt sein Comeback.” Als die acht Studenten das Training verlassen, ist es Nacht über Freiburg. Sie sind müde, aber vorbereitet.
Über die Autorin: Sabrina Kurth war auch schon bei ein paar solcher Assessment Centers dabei. Bisher hat es immer gut geklappt – die meisten Firmen kochen schließlich auch nur mit Wasser. Trotzdem war die Aufregung vor den ein- bis zweitägigen Bewerbungsmarathons immer groß…
Artikelbild: Monkey Business Images/ Shutterstock
Hinweis der Redaktion: Unsere Recherche war 2008, will sagen – die meisten Bewerber im Film haben mittlerweile einen richtig guten Job, wie wir hoffen!