Neue Wohnhäuser entstehen, Shopping Malls, Autobahnen und Büro-Komplexe. Mitten im Irak. Manch einer hält Erbil bereits fürs neue Dubai. Marc Röhlig berichtet…
Musikboxen pumpen Bässe in die Hitze von Sulaimaniyah. Dazu sind Girlanden gespannt. Sulaimaniyah, die Stadt im Nordosten Iraks, hat sich schick gemacht. Von Marc Röhlig…
Der Irak, er sieht hier nicht nach Krieg aus – er sieht hier nach Aufschwung aus. Ölfelder werden erschlossen, neue Autobahnen, Flughäfen und Fußballstadien geplant.
Seit 2005 liegt das jährliche Wirtschaftswachstum bei sechs Prozent. Jeder Einwohner erwirtschaftet im Jahr rund 4500 US-Dollar. Zum Vergleich: Bezogen auf den ganzen Irak liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei nur 3600 US-Dollar.
Ausländer, die in die Region reisen, können sicher sein, weder entführt noch erschossen zu werden. Fast so sicher wie das Shopping in Instanbul. Europäische Investoren bleiben lieber draußen. Noch zumindest.
Parween Noori Aziz ist Generaldirektorin des Handelsministeriums in Erbil, dem Hauptsitz der kurdischen Regionalregierung.
Sie ist ein Teil des rasant wachsenden Unternehmens und lobt es in den höchsten Tönen. Jeder Kurde gebe sein Bestes, die Region auf Vordermann zu bringen.
Die Zahl der Unternehmen habe sich seit Ende 2006 auf rund 10.300 verdreifacht. Doch nach vier Tassen Tee mit sehr viel Zucker und einer Reihe Statistiken mit sehr vielen schönen Zahlen sagt sie endlich, wie es ist: “Wir haben ein Image-Problem”.
„Klein-Dubai“ im Krisengebiet, mit Rennstrecke
Hören europäische Geschäftsleute vom Irak, dann denken „die doch sofort an Autobomben und Schusswechsel“. „Wer bitteschön“, sagt Aziz, „will hier schon investieren?“
Die Kaso Mall in Sulaimaniyah, sie muss bisher tatsächlich ohne westliche Investoren auskommen.Die Geschäfte bieten vor allem Billigware aus China und viele Produkte aus den Nachbarstaaten Türkei und Iran.
„Wo bitte“, fragt Aziz, „liegt denn unsere wirtschaftliche Stärke, wenn wir uns einfach nur von Importen unserer Nachbarn überschwemmen lassen?“
Keine Region im Nahen Osten entwickelt sich derzeit so rasch wie der Nordirak. Kurdistan ist fest entschlossen Wirtschaft und Tourismus voranzubringen. Endlich vom schlechten Irak-Image loszukommen.
Boom von Büro-Komplexen, internationalem Flughafen…
In den großen Städten Dohuk, Sulaimaniyah und Erbil entstehen Bürokomplexe und Shopping Malls, die Straßen werden ausgebaut, die Fassaden geputzt.
Neue Universitäten und internationale Flughäfen sind eröffnet, eine Rennstrecke ist im Gespräch. Erbil, es wird in der Region bereits als „Klein-Dubai“ gefeiert.
“Klein-Dubai”
Mittwochabend in Erbil, die Sonne ist schon lange weg, das Licht der Leuchtreklamen erhellt nun die Stadt. „Klein-Dubai, tatsächlich?“, ruft Muhammad. Er kommt aus den Emiraten, sein traditionelles weißes Gewand, die Dischdascha verrät es.
Mit seinem Geschäftspartner ist er im Nordirak, um sich nach Investitionsmöglichkeiten umzusehen: „Klein-Dubai kann passen“, sagt er. Zwar müsse noch viel passieren, aber Potential habe die Region.
„Klein-Dubai“ alias Erbil bietet Burger, Sandwiches und Cola
Die Stadt wächst, anders als das Vorbild, in die Breite statt in die Höhe. Auf einem Felsen im Zentrum steht die 8000 Jahre alte Zitadelle, rings herum breiten sich Einkaufsstraßen, Bürohäuser und Shopping Malls aus.
Die größte unter ihnen – und im ganzen Irak – ist die Nishtiman Mall.Die Einkaufspassage, ähnlich wie ihre neu eröffnete Schwester in Sulaimaniyah, sieht so aus, wie sich der Orient den Westen vorstellt: viel Glas, viel Beton, viele bunte Plakate. Auf vier Etagen vereint sie Teppichhändler, DVD-Shops, Anwaltskanzleien und Gewürzläden. Die Auslegwaren wuchern auf die Flure hinaus, Raumgewinn gehört zum Geschäftssinn eines arabischen Händlers.
Fleißig stapeln sie selbstgebrannte Hollywoodfilme und schlecht geschneiderte „Hugo Boos“-Shirts vor ihren Läden auf. Dem westlichen Einkaufszentrum fehlt es noch an westlichen Inhalten. Bisher ist alles eine in Beton gegossene Sehnsucht
Eine Sehnsuchts-Mall namens Miran Mukerji…
Der Geschäftsführer der Sehnsuchts-Mall heißt Miran Mukerji. Er hat sein Büro im obersten Stock. Auch wenn es noch keine originale Designerkleidung zu kaufen gibt, ist er optimistisch. „Wenn ich schaue, wie stark sich mein Land in den letzten fünf Jahren geändert hat“, sagt er, „dann bleibt mir fast die Luft weg.“
Mit seinem Land meint er seine semi-autonome Region. Und die hat „die Träume, die Ambitionen und auch die Kraft“, ergänzt Mukerji. Die Kurden hier seien stolz darauf, etwas erreichen zu können. Ein jeder wolle es nun sich und vor allem Baghdad beweisen: „Erbil ist das neue Eingangstor in den Irak“.
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