Ohne Frauen läuft nichts: Gut 85 Prozent der Pflegekräfte sind weiblich. Sich in diesem Sektor um Männer zu bemühen, ist wegen des absehbar steigenden Bedarfs an Pflegekräften ein Muss. So prognostiziert die Bertelsmann Stiftung, dass bis zum Jahr 2030 aufgrund 50 Prozent mehr Pflegebedürftiger fast 500.000 Vollzeitkräfte fehlen könnten…
Bis Mitte der 1970er Jahre galt die Altenpflege als Anlernberuf. Männer waren an Altenpflegeschulen gar nicht zugelassen. Noch heute wenden sich Bücher für pflegende Angehörige überwiegend an Frauen. „Die Klischees machen es Männern schwer, sich auf Pflege einzulassen“, sagt Rosemarie Amos Ziegler, Geschäftsführerin der im Stuttgarter Raum ansässigen Wohngemeinschaft für Senioren (WGfS).
Als unkonventionelles, sehenswertes Beispiel männlicher Pflege bezeichnet die 59-Jährige den Kino-Kassenschlager ‘Ziemlich beste Freunde’, der auf einer wahren Geschichte beruht. In dem französischen Film entwickelt sich zwischen Pfleger und Gepflegtem ein unbefangenes, freundschaftliches Verhältnis. Bedürftigkeit und Hilfe sind notwendige Nebensache, im Mittelpunkt steht die Beziehung.
In Deutschland sind soziale Berufe wie Pfleger, Erzieher oder Sozialarbeiter generell unterbewertet, findet Amos-Ziegler. Dabei biete gerade die Altenpflege sichere Jobs und interessante Karrieremöglichkeiten bis hin zur Heimleitung. Mit einer Männer-Quote von etwa 30 Prozent pro neuem Ausbildungsjahrgang liegt die WGfS immerhin über dem Durchschnitt.
„Das Betriebsklima ist ausgeglichener, wenn beide Geschlechter sich einbringen“
Die Inhaberin führt das unter anderem darauf zurück, dass sie Schulkooperationen nutzt, um auch Jungs gezielt für den Altenpflegeberuf zu interessieren. „Das Betriebsklima ist ausgeglichener, wenn beide Geschlechter sich einbringen“, erlebt die 59-Jährige einen der Vorteile. Ihre Azubis kommen überwiegend direkt von der Schule, weniger aus anderen Berufen. Doch für Wechsler ist sie immer offen.
Vom Einzelhandel in die Altenpflege
Von einer anderen Branche in die Altenpflege gewechselt ist Franklin Scheeder: „Ein Beruf, in dem ich viel mit Menschen zu tun habe, war schon immer mein Wunsch”, sagt der Alltagsbegleiter für Senioren. Zu seinem heutigen Job sei er über Umwege gekommen. Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann arbeitete er unter anderem acht Jahre im Einzelhandel. „Die Arbeit im Verkauf hat mir Spaß gemacht, doch ganz ausgefüllt hat sie mich nie.“
Scheeder beschließt deshalb, sich zum Rettungsassistenten ausbilden zu lassen. Bei einem Praktikum kommt er zum ersten Mal in Kontakt mit einer dementen Dame. „Sie wollte morgens nicht das Bett verlassen, weil sie Käfer auf dem Boden sah – die es tatsächlich aber gar nicht gab.“ Scheeder löst das Problem, indem er die imaginären Käfer zertritt.
Daraufhin ist die Seniorin bereit, aufzustehen. „Das war ein Schlüsselerlebnis für mich und ich spürte den Wunsch, mit Menschen zu arbeiten, die von Demenz betroffen sind.“ Der ehemalige Bürokaufmann absolviert deshalb die Ausbildung zur zusätzlichen Betreuungskraft für Menschen mit Demenz.
Heute ist sich Franklin Scheeder sicher, seine Berufung zum Beruf gemacht zu haben. Er unterstützt die Bewohner der Pflegeeinrichtung nicht nur bei alltäglichen Dingen, sondern sorgt mit Erinnerungsarbeit oder Gedächtnistraining auch dafür, dass sie immer wieder Erfolgserlebnisse haben.
„Es geht mir vor allem darum, dass die älteren Menschen sich wohl fühlen und trotz eingeschränkter Gesundheit das Gefühl haben, gebraucht zu werden”, begründet Scheeder seine Motivation. Um auch das „System hinter der Pflege“ besser zu verstehen, finanziert er aus eigener Tasche eine nebenberufliche Weiterbildung: „Ich werde nächstes Jahr 50, bis dahin will ich den Titel IHK-geprüfter Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen tragen.“
Karrierechancen in der Pflegebranche für Quereinsteiger
Was viele Pflegehelfer nicht wissen: Wer eine mindestens fünfjährige, einschlägige Berufspraxis nachweisen kann, erfüllt die Zulassungs-Voraussetzung zur IHK-Fachwirt-Prüfung. „So haben auch Berufswechsler die Möglichkeit, in der Pflegebranche den nächsten Karriereschritt zu gehen“, erläutert Simone Stargardt, Inhaberin von carriere & more mit Standorten in der Region Stuttgart, Mannheim und Würzburg.
In ihren Akademien bereiten sich jährlich rund 1000 Teilnehmer nebenberuflich auf einen IHK-Abschluss vor. Unter den Prüflingen zum Fachwirt im Gesundheits- und Sozialwesen sind regelmäßig Männer, die nach einigen Jahren in einem kaufmännischen oder gewerblichen Beruf in die Pflege gewechselt sind.
Ihrer Meinung nach wird bei der Suche nach Pflegekräften die gezielte Ansprache von Männern, die für einen beruflichen Neustart offen sind, noch zu selten genutzt: „Mit entsprechender, sozialer Kompetenz können Branchenfremde meist unkompliziert als Hilfskraft in einen Pflegeberuf wechseln.
Sie benötigen lediglich eine Basisqualifikation, die verschiedene Bildungsträger anbieten“, betont die Fachfrau für modernes Personalmanagement. In Kombination mit gezielten Weiterbildungsprogrammen könnte hier eine neue Zielgruppe erschlossen werden.
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