Immer mehr Hochschulen, Business Schools und Anbieter von Weiterbildung nehmen das Vermitteln von Werten in ihren Ausbildungsplan. Bei Teilnehmern und Dozenten kommt diese Nachhilfe in Sachen Wirtschaftsethik unterschiedlich an…
Manchmal kann man die Stimmung an der Speisekarte erkennen. Im Krisenjahr 2009 gab es Maiskolben zum Dinner, keine Steaks wie sonst üblich beim Symposium der European Business School (EBS), einer privaten Wirtschaftsschule in Oestrich-Winkel im Rheingau. In Hochzeiten spendierten Investment-Banken auch mal Champagner und Kaviar.
In diesem Jahr wird es, Ende September, vielleicht wieder ganz ähnlich sein. Währen der Krise übten sich junge Führungskräfte unter dem Motto „Rethink Capitalism“ in einer neuen Bescheidenheit, aber die könnte 2011 schon wieder verflogen sein.
Die Studenten, hier „High Potentials“ oder „Young Professionals“ genannt, scheinen sich für Wirtschaftsethik nicht so richtig zu begeistern. Andere Dinge sind wichtiger: Kontakte knüpfen, Karriere-Möglichkeiten ausloten, Visitenkarten tauschen. Die EBS ist für sie zu allererst ein Karriere-Sprungbrett, inmitten von Rieslingreben und mit dem Frankfurter Flughafen um die Ecke.
Viel Gerede um Werte, nichts dahinter?
Man redet viel über Werte und Verantwortung, theoretisch. Praktisch sieht das anders aus. Vor allem Mittelständler diskutieren dazu auf dem Podium. Zu Gast 2009: Schuhhändler Heinrich Deichmann und Weinprinz Michael zu Salm-Salm.
Zuvor hatten sie in die Konferenzmappen der Teilnehmer ein kleines, rotes Büchlein gelegt. Frage darin: „Was ist unsere Rolle, um diese Wirtschaftswelt zu verändern?“ Eine praktikable Antwort zur Wirtschaftsethik blieben sie den zuhörenden Studenten und Managern aber schuldig.
“Befreiende Botschaft”
Hartmut Kreikebaum, Ethik-Professor an der EBS, kennt dieses Problem. Er leite seine ethischen Überzeugungen, ganz ähnlich wie Deichmann und Salm, aus der christlichen Botschaft ab. Dabei stoße er aber in seiner Kommunikation immer wieder auf Widerstände. Manche meinten, die Sache mit Christus sei so etwas wie ein Gefängnis, beobachtet er.
Sein christlicher Glaube mache ihn aber „richtig frei“, sagt Kreikebaum. In seinen Managementkursen missioniere er nicht, sondern diskutiere allgemein über die ethischen Grundlagen von Führung.
Ob nun das aufwendig inszenierte Symposium oder der eher schlicht gehaltene Unterricht im Klassenraum: Viele Verantwortliche an Hochschulen, darunter die EBS, besinnen sich dabei auf uralte Werte. Gern zitiert wird die „Goldene Regel“, neben Werten wie Ehrlichkeit und Verlässlichkeit.
Sie findet sich in der biblischen Bergpredigt. Aber auch anderswo, zum Beispiel im kategorischen Imperativ Immanuel Kants. Dessen Populärformel kennt fast jeder: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem anderen zu.“
Was aber das bedeutet, wenn man als Manager Massenentlassungen beschließen muss oder der Aktionärsversammlung windige Erfolgsnachrichten vorzulegen hat? Solche Situationen ein Mal für sich durchzubuchstabieren, dazu kommen nur wenige BWL-Studenten. Viele könnten es nicht, zeitlich. Manche wollen es auch einfach nicht.
Werte des „ehrbahren Kaufmanns“
An der renommiertesten Hochschule für Manager, der Harvard Business School im Nordosten der USA, legen Absolventen seit 2009 eine Art „hippokratischen Eid“ ab.
Gelobt wird dabei die große Verantwortung, ähnlich wie in der Medizin. Man beteuert, seinen Job so gewissenhaft wie möglich auszuführen. Auch an der EBS hat man diesen Eid inzwischen eingeführt, ergänzt um Werte des „ehrbaren Kaufmanns“.
Das Ziel der Organisatoren? Manager „charakterfest“ machen. So will es auch die Akademie für christliche Führungskräfte (AcF). Gemeinsam mit der Fachhochschule der Wirtschaft in Mettmann bietet sie ab 2012 Managern – und solchen, die das noch werden wollen – den Erwerb eines Zertfikats in Wirtschaftsethik an.
Auch ein berufsbegleitendes dreijähriges MBA-Programm ist dabei. Unter dem Titel „Responsible Leadership“ würden alle notwendigen Komepetenzen vermittelt, versprechen die Veranstalter in ihrer Angebotsbroschüre. Einer der Kooperationspartner ist der Verband „Christen in der Wirtschaft“ (CiW).
Über Werte allgemein zu sprechen, dass kommt gut an, schaut man in die Business-Schools im deutschsprachigen Raum. Wird es konkreter, sieht die Sache wieder anders aus. Werte, vielfach mit „Corporate Responsibility“ betitelt, sind in den Köpfen der Manager angekommen, theoretisch.
Sie stehen mittlerweile auf fast jeder Internetseite, bei Hochschulen wie Unternehmen. Ihre Praxis jedoch steht auf einem anderen Blatt. „Das muss noch gelebt werden“, fordern viele Studenten. Auch ihre Dozenten sehen die Grenzen in der Praxis recht illusionslos.
Die „Bottom-Line“ entscheidet, das was am Ende des Tages herauskommt. Unter Einberechnung aller „Benefits“, dem eigenen Einkommen und dem des Unternehmens, für das man arbeitet. Ein Teil des Gewinnes wird dann für soziale Zwecke ausgegeben, zum Beispiel für einen Kinderhort.
Folgt man Ex-EBS-Präsident Christopher Jahns, muss man sich eine werteorientierte Unternehmensführung „leisten können“. Trotz seines Engagements für den Manager-Eid: Die Vorträge des Professors für Einkauf, Logistik und Supply Chain Management haben inzwischen ein „Geschmäckle“ bekommen.
Momentan prozessiert er gegen seine Hochschule vor Gericht. Aufgrund des Verdachts der Untreue war er im April 2011 vorübergehend verhaftet worden, wenige Tage später aus den Diensten der EBS ausgeschieden.
Neue Bescheidenheit, ein Trend?
Bei den Symposien in aller Welt zum Thema Werte sprechen häufig dieselben Referenten. Es reden Frank Mattern, Deutschland-Chef von McKinsey, oder Burkhard Schwenker, Aufsichtsratsvorsitzender bei Roland Berger. Hinzu kommen Bosse von Banken, Größen wie der scheidende Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann.
Es wirkt wie ein „Who is Who“ der Managerelite. Schaut man genauer hin, wirken manche Redner bemüht um ihre Haltung, müde vom Sanieren großer Konzerne, müde vom Gefälle zwischen Theorie und Praxis. Das Beraterleben scheint in Krisenzeiten besonders hart gewesen zu sein. Vorübergehend reiste man bescheiden in der „Holzklasse“, Economy. Nun fliegen viele Manager wieder „Business Class“.
Eine weitere, feine Adresse im Manager-Kalender neben Oestrich-Winkel: St. Gallen, im Nordosten der Schweiz. Dieses Jahr im Mai diskutierte man über das Thema „Just Power“. Dabei ging es auch um sogenannte „weiche Faktoren“. Die Veranstalter wünschten sich eine ethische Reflexion.
Werte von Authentizität und Verlässlichkeit, die seien keine Nebensache, hieß es im Vorprogramm. In der Hauptsache wurde aber über andere Themen geredet. Profitable „Mergers“ in den USA zum Beispiel.
„Ethik muss man sich leisten“
Udo Steffens ist Präsident der Frankfurt School of Finance. Im deutschen „Mainhattan“ hat er viel mit Managern, Bankern und Brokern zu tun. Seine Studenten mögen das, machen bei ihnen ihre Praktika, lernen das betriebswirtschaftliche Know-How, feilen an ihren Karrieren.
Auch Wirtschaftsethik-Kurse werden angeboten. Wirklich beliebt sind sie aber nicht. „Vielleicht sind die Studenten einfach noch zu jung, diese Dimension für sich und ihr Handeln zu erfahren“, sagt der BWL-Professor. Seine Studenten schreiben über Wirtschaftsethik ihre Klausur, manche auch eine Seminararbeit. Mehr nicht.
Viele wollten „einfach erst mal Geld verdienen“, bevor man sich dann mit „den großen Gerechtigkeitsfragen“ beschäftige, so Steffens. Ähnlich sehen es auch Studenten an der Fachhochschule Konstanz, die Kurse beim Wirtschaftsethiker Josef Wieland besuchen.
Beim ihm erwerben sie das „Ethikum“, einen Pflichtschein zum Bachelor in Betriebswirtschaft. Was viele unterschätzen: Werteorientiertes Management wirkt sich positiv auf das wirtschaftliche Gesamtergebnis aus. Das sagt zumindest Markus Warode.
Er ist Geschäftsführer des Instituts für Kirche, Management und Spiritualität, betrieben vom Kapuzinerorden. Wissend um Bedenken von Management-Schülern, dass „Business eben Business“ sei, hält er in den Diskussionen dagegen. „Werte schaffen Werte“, habe ihm einst sogar der Vorstandsvorsitzende eines großen Medienunternehmens gesagt. Und darin will das katholisch geprägte Institut Führungskräfte in der Wirtschaft unterstützen.
Mönche auf der Chefetage
Statt eines Ethik-Pflichtscheins bekommen Manager hier einen Master-Titel in „Organisationmanagement und Spiritualität“ verliehen, berufsbegleitend. „Wenn ich nur so tue, als ob ich werteorientiert führe, werden mich Kunden und Mitarbeiter rasch enttarnen“, sagt ein Teilnehmer dieses Kurses.
Eine eigene, ethische Grundüberzeugung sei wichtig, könne aber niemals durch Wissen allein vermittelt werden, bemerkt der Manager. Immherin: Im Unterrichten von Werten haben die Mönche bereits 800 Jahre Erfahrung. Ihre Quelle: Lehren des Ordensgründers Franz von Assisi.
Auch andere Mönche, darunter kirchliche Promis wie Anselm Grün oder Anselm Bilgri, übersetzen solche Klosterweisheiten in Managerseminaren, und zwar gerne „inhouse“ beim Kunden. Dabei sprechen auch sie, gekleidet in Kutte statt Dreiteiler, von Werten.
Die beiden Berater berichten aus ihrer Seelsorge, was wohl jeder Student schon weiß, sich aber nicht jeder eingestehen will. Der entscheidende Unterschied zu Wertediskussionen an Business-Schools wie Oestrich-Winkel und St. Gallen?
Vielleicht ist es ihre Glaubwürdigkeit, die die Patres gegenüber den Managern austrahlen. Ethik nicht als Feigenblatt für ein schlechtes Führungskraftgewissen, sondern als tragendes Prinzip – gerade, wenn es hart kommt.
Glaubwürdige Persönlichkeiten
Machen wir zum Schluss einen Ausflug zum momentan größten Investment-Manager der Welt, BlackRock in New York City. Vor drei Jahren, am 15. September 2008, hatte die Investmentbank Lehman Brothers Pleite gemacht. Jeder dritte Mitarbeiter von BlackRock müsse zum Jahresende gehen, sagte das Management.
Die Mitarbeiter lasen von ihrem „Lay-Off“ am nächsten Morgen in der Zeitung, schauten verständnislos auf ihre Bosse. Heute hat sich das Blatt gewendet. Finanzvorstand Robert Doll sucht neue, motivierte Mitarbeiter. Immerhin managt sein Unternehmen in Manhattan mittlerweile mehr als drei Billionen US-Dollar.
Für Robert Doll stand die nächste große Entscheidung an. Diesmal ging es nicht um Personalpolitik, sondern die Übernahme eines Wettbewerbers. Der Kaufpreis für Barclays Global Investors? 15 Milliarden US-Dollar wurden ausgehandelt. Zunächst entpuppte sich der Deal als Verlustgeschäft. Am Ende sei, „Gott sei Dank“, doch alles gut gegangen, sagt Doll.
Die Moral von dieser Geschichte? Für beide Werte, Verluste wie Gewinne, tragen Manager die Verantwortung. Doll hat etwas gefunden, mit seinem Berufsrisiko besser umzugehen: ein „Wertegerüst“, von dem er sagt, dass es ihn trage. Was ihm sonst noch helfe?
Nicht das Golfen auf Long Island zur Kundenpflege, auch kein Veranstalten von Benefiz-Galas an der Fifth Avenue. Das Besuchen einer kleinen Kirche in New Jersey sei es. Dort, in Princeton leitet Doll einmal pro Woche den Gemeindechor. Regelmäßig, hat er gesagt. Auch dann, wenn es mal wieder später geworden ist.
Über den Autor: Jan Thomas Otte versteht sich mit dem Bäcker in seinem Wohnblock genauso gut wie den Managern im Chefsessel. Manche BWL-Studis scheinen das etwas anders zu sein. Chefsein bedeutet aber mehr…
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