Die katholische Kirche in Deutschland leidet unter Priestermangel. Nur noch wenige junge Männer können sich vorstellen, ihr Leben Gott zu widmen, auf eine eigene Familie zu verzichten. Porträt von Sabrina Kurth und Daniel Blatt…
Johannes Kutter aber wagt den Schritt und lässt sich zum Priester ausbilden. „Oh Gott, komm mir zu Hilfe!“ Die hohe Tenorstimme erfüllt den kleinen Gebetsraum im Collegium Albertinum in Bonn. „Herr, eile mir zu helfen,“ ertönt die Antwort. Die Stimmen beten zusammen die Vesper, das Abendgebet. Eine davon gehört Johannes Kutter, 19 Jahre alt, Theologiestudent und Priesterkandidat.
Mit konzentrierter Miene schaut er in sein Gebetbuch, die Augen hat er leicht zusammengekniffen, seine Wangen haben sich rot gefärbt. Johannes darf heute einen Hymnus vorsingen. Noch ist das für ihn etwas Aufregendes. Bald wird es zur Gewohnheit werden. Johannes möchte Priester werden. Seit einem Jahr lebt er im Bonner Collegium Albertinum, dem Studienhaus für Priesterkandidaten. Er hat kurze dunkle Haare, trägt einen blaukarierten Pullover und schwarze Jeans.
Sein Ziel ist es, später die frohe Botschaft zu verbreiten. „Christentum ist Freude, Katholischsein macht Spaß“, sagt Johannes. Er selbst fühlte sich schon immer in der Kirche wohl, er war Messdiener und engagierte sich in einer Jugendgruppe. Ursprünglich wollte er Geschichts- und Religionslehrer werden. Vor zwei Jahren änderte er seine Pläne. „2009 war für mich ein sehr schlimmes Jahr.
Ein guter Freund von mir ist gestorben, und meine Freundin hat mich in dieser Zeit betrogen“, sagt er. Johannes reiste nach Taizé. Eine Woche lang dachte er im Schweigen über sein Leben nach. „Als ich mich während eines Spaziergangs auf eine Wiese legte, spürte ich, dass Gott bei mir ist. Mir war klar, dass er mich gerufen hatte und ich Priester werden sollte.“
Wieder zu Hause angekommen, vertraute er sich seinen Eltern an. „Wir haben erst mal erstaunt geguckt und waren ziemlich von den Socken“, sagt der Vater. Die Mutter ergänzt: „Dann haben wir viele Abende zusammen diskutiert, und am Ende hatte er uns überzeugt.“ Inzwischen unterstützen die Eltern Johannes. Sie sind stolz darauf, dass er seinen Weg geht. „Ob er ihn auch zu Ende geht, kann ich jetzt noch nicht beurteilen“, sagt der Vater. „Wir möchten ihm da keinen Druck aufbauen.“
Pfarramt: 1 Priester statt früher 6 Geistliche
Die Zahl der katholischen Priester ist in Deutschland während der vergangenen dreißig Jahre drastisch gesunken. 25.000 Priester gab es Ende der 70er-Jahre, heute sind es nur noch 15.000. Im vergangenen Jahr traten gerade einmal 120 junge Männer in deutsche Priesterseminare ein. Ein neu Geweihter muss im Schnitt sechs Kollegen ersetzen, die in Rente gehen oder sterben. Hören Sie selbst:
Die Folge: Ein Pfarrer muss sich um mehrere Gemeinden kümmern, der Weg zum nächsten Gottesdienst wird länger, die Belastung nimmt zu. Nach der Vesper zieht sich Johannes in sein Zimmer zurück. In dem 20 Quadratmeter großen Raum steht ein Schreibtisch, gegenüber ein kleines Bett, in der Ecke ein Waschbecken. Im Regal neben dem Fenster stapeln sich Bücher des Papstes, Gebetsbücher, aber auch Computerspiele.
Auf der anderen Seite, neben dem Schreibtisch, liegt Johannes‘ DVD- und CD-Sammlung: Star Trek und AC/DC, Monty Python und Genesis. „Ich unterscheide mich nicht von anderen jungen Leuten. Ich gehe gerne ins Kino, ich bin Bayern-Fan, und ich gehe auch mal auf Partys“, sagt Johannes. Im Mai will er ein Iron Maiden-Konzert besuchen. Zuvor muss er sich allerdings die Erlaubnis vom Hausvorstand holen.
Theologie: Abbrechquote 30 Prozent
Zehn Semester Theologie, Praktika in Gemeinden und sozialen Einrichtungen, die Weihe zum Diakon: Die Ausbildung zum Priester ist umfangreich und anstrengend. Die Tage sind getaktet durch das Stundengebet, die heilige Messe, den liturgischen Dienst. Franz Josef Bauer ist Leiter der Priesterausbildung in Deutschland. Er schätzt, dass ein Drittel der Kandidaten die Ausbildung abbricht.
Oft wird der Wunsch nach Familie als Grund genannt. Der Zölibat gilt als das größte Hindernis auf dem Weg zum Priester. Auch Johannes kann nicht vollständig ausschließen, dass er auf seinem Weg irgendwann durch das Zölibat doch aufgehalten wird. Dennoch befürwortet er die Ehelosigkeit. „Keine Frau und keine Freundin kann mir geben, was mir Gott gibt. Selbst wenn der Zölibat abgeschafft würde, wollte ich an dieser Lebensform festhalten“, sagt er.
Diese Einstellung teilen vermutlich nur wenige Menschen in seinem Alter. Johannes‘ ehemaliger Schulfreund Christoph zum Beispiel will Jura studieren und eine Familie gründen. Dennoch unterstützt er Johannes in seiner Entscheidung. „Die Kirche und der Glaube haben Johannes schon immer viel bedeutet und auch viel gegeben. Deshalb denke ich, dass dieser Weg der Richtige für ihn ist“, sagt er.
“Glaube steht im Zentrum”
Johannes kramt sein Handy aus der Tasche und telefoniert mit ein paar Freunden. Er will heute Abend in eine Kneipe, Fußball schauen. Allzu lange kann er nicht ausgehen, morgen früh muss er um sechs Uhr aufstehen für das Morgengebet und den Frühgottesdienst. Der Glaube steht im Zentrum seines Lebens.
Aber auch Zweifel gehören dazu. Priester bleibt man ein Leben lang. Denn die Hingabe an Gott ist kein einmaliges Versprechen. Es muss im Alltag immer wieder erneuert werden. Johannes sagt, im Moment sei er sich sicher. „So sicher, wie ich mir als 19-Jähriger sicher sein kann.“ Das Ringen um den richtigen Weg wird ihn ein Leben lang begleiten. „Was in zehn Jahren sein wird, weiß nur der liebe Gott. Ginge es nach mir, wäre ich dann aber Priester.“
Über die Autorin: Sabrina Kurth kann als Frau beim Thema „Priesteramt – ja/nein?“ nicht wirklich mitreden, kennt aber einige ihrer Freunde, die diesen Weg gegangen sind. Bisher ist allerdings nur einer noch im Seminar. Eigentlich eine traurige Bilanz…
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