Multikulti, Integrationshelfer? Der deutsche Kleingärtner. Nicht gedacht? Tja. Gerne verbindet man ihn mit Gartenzwergen, Bierbäuchen Socken in den Sandalen, exakten Vorschriften…
Doch so spiessig wie sein Ruf ist er nicht. Reportage zum kalendarischen Frühlingsanfang. Die Hobbygärtner haben ihre Parzellen längst geöffnet. Jeder Dritte dort ist mittlerweile Ausländer. Behutsam schiebt Max Damaschke seine Schubkarre.
Ein paar verfaulte Kartoffeln müssen auf den Komposthaufen. Zwischen Tomaten-Stauden, Kartoffel-Beeten und Gänseblümchen geht einer der ältesten Kleingärtner Heidelbergs, über 80 Jahre alt, seinem liebsten Hobby nach:
„Ich leb ja von meinem Garten, ich atme hier im Garten. Und der Umgang mit Leuten ist mir sehr wichtig“, sagt er. Man werde nicht einsam, habe immer jemand um sich rum, sagt der ehemalige Schwimmlehrer. Er zeigt dabei auf die Gesellschaft zwischen Zaun und Zapfhahn in der Gastwirtschaft schräg gegenüber.
Schrebergärtnern mehr als Steckenbleiben
„Für uns ist jeder Mensch wertvoll – vom Arbeitslosem bis zum Akademiker“, sagt der Vorsitzende der Kleingartenkolonie, Eugen Dammert über die Integration im Kleingarten. Wohin man auch schaut, wehen Flaggen der unterschiedlichsten Nationalitäten in den Vorgärten.
Darunter viele deutsche Fahnen, aber auch bayrisches Weiß-Blau und kräftige Rottöne aus Österreich, Russland oder der Türkei. Das Image eines Laubenpiepers oder Eigenbrödlers sei schon lange überholt, sagt Dammert. Manche junge Leute würden über das vermeintlich spießige Hobby des Kleingärtners noch lächeln. Diese Klischees seien von gestern: „Wir sind nicht super-konservativ, grantig oder knorrig – und wollen das gar nicht sein“, wehrt sich der Vereinsvorsitzende.
Bundesweit sind es mehr als 15.000 Parzellen, die in letzter Zeit vor allem an jüngere Familien verpachtet werden, sagt der Bundesverband. Im Freizeitbereich sei man weltoffen, unabhängig und großzügig, was die Nationalitäten, Sprachen und Religion der jeweiligen Bewohner angeht. „Wir widersprechen energisch dem Klischee des Schrebergärtners, der kleinkariert mit Pinzette und Nagelschere seinen Rasen pflegt“, sagt Dammert.
Er hat keinen klassischen, für manche kitschigen Gartenzwerg auf seiner Parzelle stehen. Ein Nachbar von ihm bevorzugt Esel aus Ton, Stadler hat sich alternativ ein pinkes Schweinchen aus Plastik reingestellt. „Der alte Zopf muss erneuert werden“, meint Dammert.
Kollege Rudolph pflichtet ihm bei und „kann sich verknallen, in seine Idee“. Früher habe der ehemalige Bundeswehr-Angestellte seine Stangenbohnen noch mit dem Luftgewehr abgeschossen, aber Rücksicht auf den Nachbarn gehöre dazu und deswegen mache er das heute nicht mehr. „Ebenso gehört die Wahl eines geräuscharmen Rasenmähers dazu“, sagt Rudolph über die pedantische Technik eines perfekten Schnitts.
Ob nun ein benzingetriebener Mäher mit Lenkrad oder der klassische Handrasenmäher: Gemeinsam mit seinen Gartenfreunden habe er schon so manche logistische Herausforderung gestemmt. Letztes Jahr hat Rudolph mit Kollegen 400 Wasseruhren in den Gartenlauben ausgewechselt. „Da steckt man pro Jahr locker schon mal 1200 ehrenamtliche Helferstunden in die Anlage, das ist etwas für Idealisten“, sagt Rudolph, der für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen hat. Das Hobby des Kleingärtners sei eben kein Klischee mit dem Gartenzwerg, sondern „entspricht der gesellschaftlichen Verantwortung, sagt der Schrebergärtner.
Raus aus der Stadt ins Landleben – ohne Umzug
Auch Ausländer wissen das zu schätzen. „Doch die bringen sich nicht so sehr im Ehrenamt ein, sondern wollen ihre Ruhe haben“, erklärt der pensionierte Frauenarzt. Und manche würden hier auch wegen der jüngst gestiegenen Preise für Lebensmittel herkommen, sagt Dammert, um gegenüber manchen Nahrungskrisen auf dem Weltmarkt im Kleinengarten gewappnet zu sein.
Man baue wieder mehr Obst und Gemüse an, fast so wie nach dem Krieg und es erhöhe auch die Nutzpflanzenquote, meint Dammaschke. Er kippt die verfaulten Kartoffeln in den Kompost, schaut über seine Hecke nach nebenan. Dort riecht es nach gegrillten Würstchen.
Eine Familie mit Migrationshintergrund, wie es so schön heißt, feiert gerade Geburtstag unter ihrer Laube, zwischen Heckenrosen und Lauch, es gibt auch Kuchen. Nachbar Walerie kommt aus Kasachstan, unschwer an der gehissten Flagge zu erkennen, und pflückt etwas Kräuter. Seine Beete sind nicht so ganz akkurat gepflegt und abgezirkelt – wie bei Gartenfreund Damaschke. Trotzdem: Das gemeinsame Hobby verbindet beide.
Sie fachsimpeln über das Obstbaumschneiden, das schöne Maiwetter – über die Vorschriften, die auch das gesellige Beisammensein reglementieren. Nachbar Walerie findet das typisch deutsch – aber irgendwie auch in Ordnung:
„Es ist nicht so einfach wie man denkt: Heute habe ich sogar erfahren, dass diese Zierpflanzen 50 Zentimeter vom Zaun weg sein müssen“, sagt Valerie. Vorschriften seien halt Vorschriften, aber „die sind korrekt, denn wenn jeder macht, was er will, sieht unser Garten vielleicht wie eine schlechte Wiese aus“, meint der kasachische Gartenfreund. Die dauernde Kontrolle über Nachbars Garten gehöre eben dazu. Schlechte Wiesen? Das darf nicht sein, findet auch Peter Stadler. Er sitzt einige Parzellen weiter im Vereinshaus mit Kneipe nebenan.
Zusammenleben: Vorschriften und Ziergewächse
Der 65jährige ist der Vorsitzende des Heidelberger Bezirksverbandes der Gartenfreunde. Er trägt eine Mecki-Frisur mit Vollbart, sein Hemd sitzt perfekt in der Jeans. Unter der Woche arbeitet der gelernte Maschinenbau-Ingenieur als Hochschullehrer, ist viel unterwegs und sitzt lange Zeit im Auto. Im Garten, beim kühlen Bier sichtet Stadler mit Gartenfreund Helmut Rudolph Papiere von Erdproben, die ans Umweltamt müssen. Eine Düngetabelle mit Nitratangaben liegt auf dem Tisch. Rudolph hat dafür extra eine Ausbildung gemacht.
“in Ordnung”
Nun berät er neben der Arbeit im Labor für Bodenschutz die Kleingärtner beim Düngen ihres Rasens und der Frage, „wie viel Schubkarren Mist muss ich auf meine Tomaten kippen“. Zwischen Rumänien oder Deutschland gebe es gravierende Unterschiede in den Vorschriften, wie viel Dünger pro Gemüsekultur in Ordnung ist.
Jeder Dritte in der Anlage komme aus der Türkei, Russland oder Rumänien. Auch Iraker haben sich hier einen grünen Fleck in der Stadt gesichert und bauen Salate, Bohnen und Kartoffeln an. Damaschke fügt hinzu, dass die Deutschen lieber Zierpflanzen sähen, Rosen, Sommerblumen und Weinreben – während „die Menschen mit Migrationshintergrund Nutzgemüse bevorzugen du mehr Erde unterm Spaten haben“, sagt der Gartenälteste.
Die Kleingärtner Stadler, Rudolph und Damaschke sind sich einig, was die Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden angeht: „Wir schreiben eine gewisse Höhe der Hecke des Gartens vor, damit die Leute rein schauen können, weil wir ja offene Anlagen wollen“ sagt Stadler. Nur so könne Solidarität entstehen, wenn man ohne Zaun in den Kleingärten seine Grenzen toleriere. Stadler hat deswegen den Maschendraht mit seinem Nachbarn einvernehmlich abgerissen.
Abgrenzen: Hinter Hecken unerwünscht
Zusätzlich wolle er in der Vereinspolitik jeden Monat Kurse zu den Themen Umwelt, Bodenpflege und Obstbaumschnitt anbieten. „Aber auch soziale Themen wie Familie, Ausländer und Senioren sind wichtig, drüber zu sprechen“, sagt Stadler.
Vögelgezwitscher, duftende Blumen und sattes Grün täuschen nicht darüber hinweg. Die Idylle wird manchmal getrübt durch die „Kleingartenkriege“, wie Damaschke es nennt. Mit Anklängen an die Fernsehserie „Maschendrahtzaun“ beschwert sich ein Kleingärtner ein paar Zellen weiter immer noch. Der Grund: sein Nachbar habe vor 20 Jahren illegal, ohne zu fragen, Bambus auf seiner Wiese angepflanzt – entgegen den Vorschriften.
Wie Zierpflanzen und Gemüsebeete ganz genau angeordnet sind, bleibt jedem Kleingärtner selbst überlassen. Ob nun deutscher oder russischer Kleingärtner-Stil, findet Peter Stadler: „Man kann und man wird von diesen Menschen lernen. Und im Gleichzug lernen die von uns. Die bauen ihre Kartoffeln selber an, ihren Sellerie selber an, Ihren Lauch“. Sie könnten von ausländischen Gartenfreunden lernen. Nicht nur über das Düngen, Schneiden und Pflücken von frischen Obst. Die Gastfreundschaft von Dammaschkes kasachischen Nachbarns zeige, das „man zusammen Würstchen essen kann“.
Artikelbild: Jan Thomas Otte