Der Mitarbeiter schimpft auf den Chef, dieser über seine Angestellten und der Umgang mit Geschäftspartnern ist von Distanz und Misstrauen geprägt. Na, bravo! Wenn Beziehungen und Kommunikation in eurem Unternehmen so aussehen, dann fehlt euch eine wichtige Zutat. Stefan Reutter weiß, welche. Und sucht das stimmige Verhältnis zwischen Nähe und Distanz, den Kommunikationschlüssel…
Karriere-Einsichten: Herr Reutter, als Keynotespeaker und Coach kennen Sie sich natürlich mit Kommunikation aus. Was ist Ihre Erfahrung: Wie sieht sie in vielen Unternehmen aus?
Stefan Reutter: Naja, die Kommunikation ist schon sehr unterschiedlich. In manchen Unternehmen habe ich das Gefühl, dass sich viele Menschen gar nicht mehr richtig mit ihrem Gegenüber auseinandersetzen wollen – vor allem nicht im Job.
Stattdessen wird über jeden geredet, gelacht und hergezogen, als ob es kein Morgen gibt: „Meine Kollegin vom Empfang hat sie nicht mehr alle, die kann echt nix.“ „Meine Mitarbeiter treiben mich in den Wahnsinn – alle unqualifiziert!“
„Der Key-Account-Manager hat sicher bald seinen Job los, dann bin ich endlich an der Reihe. Stell den Sekt kalt.“ Und ich könnte ewig so weitermachen. Gruselig, diese Art der „Kommunikation“.
Karriere-Einsichten: Aber das hört sich danach an, als ob in vielen Unternehmen einfach die falschen Leute zusammenarbeiten …
Stefan Reutter: Natürlich könnt ihr jetzt denken, dass in Unternehmen mit solch einer schlechten Kommunikationsform in der Vergangenheit schlicht falsche Personalentscheidungen getroffen wurden.
Das ist de facto auch in einigen Fällen so, doch meistens trägt einzig und allein der falsche Umgang miteinander schuld. Also Unternehmen mit Kunde, Kollege mit Kollege und vor allem Führungskraft mit Mitarbeiter. Besonders die Beziehung zwischen Chef und Angestellten wird meist völlig falsch verstanden.
Karriere-Einsichten: Inwiefern?
Im Business gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: „Um professionell zu sein – besonders als Führungskraft – musst du sachlicher und distanziert sein. Ich sage immer liebevoll: „Je höher die Leute die Karriereleiter hinaufklettern, desto ernster wird das Gesicht.“ Am Arbeitsplatz scheinen Emotionen und Gefühle keinen Platz zu haben! Zumindest scheint es häufig so.
Mit diesem Aspekt im Hinterkopf lässt sich natürlich extrem leicht über die Menschen auf der Arbeit herziehen. Man kennt sie ja schließlich persönlich nicht wirklich, sondern nur durch die fachlich-distanzierte Brille.
Karriere-Einsichten: Sachlichkeit ist also negativ?
Stefan Reutter: Hinsichtlich Kommunikation und Beziehungen auf alle Fälle. Bzw. besser gesagt: Jede Aussage hat auch eine sachliche Dimension. Aber eben auch andere Dimensionen. Und wenn ich nur den sachlichen Aspekt berücksichtige, dann ziehe ich mit dieser Einstellung als Führungskraft, eine massive Mauer zwischen mir und meinen Mitarbeitern hoch.
“Realitätsverklärung”
„Abstand halten, um sich Respekt zu verschaffen.“ heißt dann die Devise. Für viele Verantwortungsträger ist das Professionalität. Für mich ist das nur Realitätsverklärung!
Karriere-Einsichten: Realitätsverklärung? Was meinen Sie damit?
Stefan Reutter: Vielleicht kennt ihr das auch von euch selbst: Im Business seid ihr anders als in eurer Freizeit. Ihr zieht euch anders an und trennt Privates vom Geschäftlichen. Ihr sprecht anders mit den Menschen um euch herum – ihr agiert ganz einfach anders. Doch wenn ihr dieses ganze Getue – dort ist eure Rolle so, hier benehmt ihr euch anders – beiseiteschiebt, was bleibt dann noch übrig? Genau, Nähe. Nähe, weil ihr euch dann endlich mit eurem Gegenüber auseinandersetzt und wahres Interesse zeigen könnt.
Nur darum geht es doch im Leben: zu lieben und geliebt zu werden. Und ein gesundes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zu entwickeln. Denn zu viel Distanz führt zu mehr Missverständnissen als wir glauben.
Karriere-Einsichten: Das hört sich ganz nach Friede, Freude, Eierkuchen an. Ist es das, was Menschen für eine ausgeglichene Kommunikation brauchen?
Stefan Reutter: Ganz und gar nicht. Genau das liegt mir persönlich ja auch nicht. Doch auch das Gegenteil ist nicht förderlich.
Immer nur konfrontativ und destruktiv überall draufhauen, ist ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei. Um eine gewisse Nähe im Unternehmen aufzubauen, braucht ihr eine gesunde Kultur der gegenseitigen Akzeptanz – sich wenigstens respektieren – und der Konfrontation. Eine positive Streitkultur eben. In der jeder seine Meinung sagen darf. Wertschätzend und direkt.
Die Formel für eine positive Kommunikationskultur in einem Unternehmen heißt für mich also:
Wenn ihr Klartext sprechen dürft – ohne Angst vor Konsequenzen – und Zwischenmenschlichkeit einen hohen Stellenwert hat, dann sprechen wir vom richtigen Verhältnis zwischen Distanz und Nähe im Business.
Karriere-Einsichten: Doch genau solch ein Verhalten ist doch die Seltenheit in Unternehmen. …
Stefan Reutter: Ja, leider. Viele verpassen dadurch eine große Chance, ihr Unternehmen weiterzubringen. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht auch schon viele das genauso machen. Keine Frage. Doch meine Erfahrung zeigt, dass einige die Wichtigkeit von Nähe im Unternehmen noch nicht begriffen haben. Fragt euch doch einfach selbst mal, wie oft habt ihr euren Chef schon „Ich liebe meine Mitarbeiter!“ sagen hören?
„Ich liebe meine Mitarbeiter!“
Vielleicht bringt dieses Interview ja den ein oder anderen von euch dazu, einen bisschen mehr Nähe zuzulassen. Denn das schöne dabei ist: Ihr braucht nicht mehr, als einfach loszulegen.
Über den Interview-Partner: Aus eigener Erfahrung weiß der ehemalige Spitzensportler, dass persönliche Entwicklung eben meistens nicht geradlinig verläuft und nicht angenehm ist. Doch auf Dauer macht sie immer Freude. Und Sinn! Umso wichtiger ist es ihm, als Redner und Autor mit Offenheit und Direktheit eine echte Entwicklung anzustoßen…
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