Langes Sitzen, Schwafeln, Reden um den heißen Brei, Buhlen um Aufmerksamkeit. So oder so ähnlich laufen sie ab, die Meetings von Führungskräften. Frustriert? Schreibt gerne eure eigenen Erfahrungen mit Besprechungen unten als Kommentar hinein. Alexandra Götze gewährt Einblicke in ihrem Buch. Nah dran an der Realität, ein bisschen Fiktion muss sein…
8:56 Uhr Während ich auf den Aufzug warte, schaue ich durch den Glasschacht hinunter in die Eingangshalle. Im Haus gibt es auch noch ganz klassische Fahrerkabinen, die mehr Personen fassen und um einiges schneller fahren, deshalb nutzen Mitarbeiter die Glasvariante eigentlich nur sehr selten. Ich entscheide mich heute aber ganz bewusst dafür, weil ich etwas Zeit zum Durchatmen gebrauchen kann.
Ich betrete den Aufzug, während ich gedanklich den nächsten Termin durchgehe. Zu keinem Meeting in der Woche habe ich ein ambivalenteres Gefühl als zur gleich anstehenden Teamleitersitzung. Auf der einen Seite bin ich neugierig und gespannt auf die aktuellen Neuigkeiten, die unser Personaldirektor Boris verkünden wird. Auf der anderen Seite erscheint mir dieses Meeting immer mehr wie ein absurdes Possentheater.
In unserem Personalbereich leiten zehn Führungskräfte die unterschiedlichsten Funktionen: vom Training, welches ich verantworte, über das Controlling und die Personalbeschaffung und -betreuung bis hin zum Personalmarketing sowie der Personaleinsatzplanung. Alles wichtige Bereiche, die, so sollte man meinen, eigentlich erwachsene Menschen verantworten. Eigentlich. Denn so, wie sich mittlerweile einige Kollegen in diesem Meeting benehmen, bin ich doch eher gewillt, an deren persönlicher Reife zu zweifeln.
Meetingkultur: Mehr Schein(en) als Sein?
Manche buhlen so penetrant um Boris’ Aufmerksamkeit und Anerkennung, dass sie mich sehr an mein pubertierendes, Selfie-süchtiges Patenkind erinnern. Ich habe Kollegen, die so hysterisch über Boris’ seichte Witze lachen, dass ich dankbar für den Defibrillator bin, der auf jeder Etage hängt. Und selbstverständlich habe ich Kolleginnen, die stets einen Hauch zu viel Lippenstift und Parfüm auflegen. So als gingen sie zum Hostessencasting statt in ein dröges Führungskräftemeeting.
“Der Konsens gibt den Ton an”
All das wäre für sich eigentlich ganz gut auszuhalten. Es ist etwas anderes an diesem Meeting, was mich tierisch stört. Und das vor allem deswegen, weil ich mich dem selbst nicht entziehen kann: In unserem Führungskreis gibt es keinen Konflikt. Keine kontroversen Diskussionen. Keine Kritik. Der Konsens gibt den Ton an. Andere Meinungen? Kaum vorhanden. Dagegensein? Unvorstellbar!
Wir alle haben aufgehört, unsere kritischen Gedanken laut auszusprechen. Warum und wie das passiert ist, weiß ich gar nicht mehr so genau. Irgendwann einmal müssen wir wohl entschieden haben, dass »kritisch sein« nur noch der Boris darf. Und der ist das jetzt auch. Und zwar in jedem Meeting. Er lebt seine Meinungs- und Stimmungsfacetten fein säuberlich aus und wir Mitarbeiter lassen dies stoisch über uns ergehen. Selbstverständlich regen wir uns nach der Besprechung mächtig über ihn auf. Dann finden wir ihn unmöglich, unfähig und unerträglich. Aber dass einer von uns bei diesem Termin etwas gegen Boris’ Meinung sagen würde – nicht auszudenken!
Querdenker im Meeting (un)erwünscht
Es ist nicht so, dass das immer so war. Ich glaube schon, dass wir früher einen offeneren Austausch hatten. Aber irgendwann einmal hat Boris angefangen, es sehr persönlich zu nehmen, wenn die Mitarbeiter nicht seiner Meinung waren. Ich würde sogar sagen, je mächtiger Boris wurde, je mehr Verantwortung er von den Oberbossen zugesprochen bekam, umso weniger wollte er andere Meinungen zulassen. Er fing sogar an, sie so persönlich zu nehmen, dass es zuweilen berufliche Konsequenzen für einzelne Kollegen hatte.
Was wohl der Urs zu solchen Menschen sagen würde? Gehen Typen wie Boris zu Life Coaches wie Urs? Eine grandiose Vorstellung! Boris massiert den Euter eines Wagyu-Rindes zu Simon & Garfunkels »Bridge over troubled water«. Um das zu erleben, würde ich einiges geben…
Dieses Führungsmeeting erinnert mich an ein Experiment zum Thema Gruppenzwang, das ich neulich einmal im Fernsehen gesehen habe. Beim Gruppenzwang geht es darum, das eigene Verhalten der Gruppennorm anzupassen, weil man dazugehören oder anerkannt werden möchte. Diese Zugehörigkeit ist uns Menschen wohl sehr wichtig. Was einleuchtend klingt, wie ich finde. Denn jeder, der, wie ich, zu Schulsportzeiten einmal als Letzte von der Bank gewählt wurde, weiß, wie scheiße es sich anfühlt, nicht dazuzugehören.
So richtig blöd, das haben auch die Versuchsteilnehmer im Fernsehen erzählt, wird es nur, wenn man den Wunsch hat, sich nicht mehr wie die Gruppe verhalten zu müssen. Wenn die Stimme im Kopf, die nach Veränderung ruft, immer lauter wird, weil man Gegebenheiten nicht mehr hinnehmen oder totgeschwiegene Dinge endlich ansprechen will.
Eben genau so, wie es mir zurzeit geht!
8:59 Uhr Zusammen mit meinem Kollegen Martin aus der Gehaltsbuchhaltung betrete ich den Raum und bin überrascht, dass wir die Ersten sind. Also, was mich betrifft, bin ich überrascht. Bei Martin nicht, denn der legt immer einen sehr gesteigerten Wert darauf, der Erste bei diesem Termin zu sein. Weil er nämlich dann, wenn alle anderen nach und nach das Büro betreten, zeigen kann, wie beschäftigt er ist. Er schaut so gebannt auf sein Firmenhandy, dass er kaum Zeit findet, aufzuschauen, um die eintreffenden Kollegen zu begrüßen.
Jetzt mal ernsthaft: Was könnte in der automatisierten Lohn- und Gehaltsabrechnung so dringend sein, dass er sich nicht einmal ein paar Minuten davon lösen kann? Nichts, selbstverständlich! Martins exzessiver Handynutzung liegen nur zwei Dingen zugrunde: 1. Showmacherei und 2. seine kommunikative Inkompetenz.
Ja, wirklich! Ich habe das schon bei mehreren männlichen Kollegen beobachtet: Sie nutzen das Handy zur Kommunikationsvermeidung. Vornehmlich bei Interaktionen und Meetings mit dem weiblichen Geschlecht. Männer nutzen das Handy vor Beginn eines Meetings, im Fahrstuhl oder auch in der Warteschlange der Kantine.
Eben überall dort, wo die Gefahr lauert, durch weibliche Verbalwellen mitgerissen zu werden. Wer konzentriert aufs Handy stiert, das wissen männliche Arbeitnehmer, läuft nicht Gefahr, von der Kollegin in ermüdenden Small Talk verwickelt zu werden.
Was Martin betrifft, würde ich jedoch sagen, dass ihm Punkt 1, Showmacherei, noch wichtiger ist. Denn er bekommt sehr genau mit, wenn Boris den Raum betritt. Dann legt er sein Handy selbstverständlich sofort zur Seite, aber nicht ohne irgendwelche tiefgründigen Sätze zu stöhnen wie »Wahnsinn, was da los ist!« oder »… war klar, dass ich da noch mal ran muss!«.
Pffff … pubertierender Pseudoprofi!
9:03 Uhr Nach und nach gesellen sich die anderen Kollegen zu uns. Da hätten wir den verständnisvollen Volker aus dem Controlling, die behämmerte Birte aus der Personaldisposition, die Streberin Stefanie aus der Personalbeschaffung und den hyperaktiven Heiko aus dem Personalmarketing.
Der Raum füllt sich zusehends, und in beeindruckender Choreografie suchen die Kollegen sich ihre Plätze. In dieser Sitzung kann man natürlich nicht irgendeinen Sitzplatz wählen. Selbstverständlich gibt es Stammplätze, die ausschließlich von »Stammspielern« besetzt werden. Stammspieler sind Kollegen, die immer ein My wichtiger sind als der Rest des Teams. Sie sind die, die ganz nah dran sind am Oberboss.
Sie haben zum Beispiel alle wichtigen Informationen schon einige Tage früher, was sie für uns anderen zu begehrten Gesprächspartnern macht. Unsere Stammspieler heißen Agnes und Sabine. Agnes ist Boris’ Stellvertreterin und für den Bereich Talentmanagement verantwortlich. Eigentlich nenne ich sie nur »Wackeldackel«, weil sie ständig mitnickt, wenn Boris etwas Wichtiges sagt.
In letzter Zeit nickt sie jedoch auch, wenn er Dinge verneint oder nicht gut findet, was mich bei ihr eine Zwangsneurose diagnostizieren lässt. Sabine wiederum ist Boris’ Sekretärin und eine sehr treue Seele. Ich mag sie, weil sie nicht so eine Assistentin ist, die man fünfzehn Stunden lang vollschleimen muss, damit man einen kurzfristigen Termin beim Chef bekommt.
9:08 Uhr Wie sonst auch startet Boris das Meeting und beginnt mit seinem Agendapunkt »Updates«. Ehrlicherweise müsste die Kategorie »Was mich an meinem Job besonders nervt« heißen, denn statt uns firmentechnisch auf den neuesten Stand zu bringen, lässt Boris uns mit erhöhtem Blutdruck an seinen ärgerlichsten Berufsereignissen teilhaben.
Grund für seine schlechte Laune ist heute leider auch noch eine Kollegin aus dem direkten Kollegenkreis: Moni. Sie ist verantwortlich für den Bereich Personalbetreuung, worunter auch die Unterstützung all unserer Geschäftsführer fällt. Es gibt bei uns tatsächlich einen Bereich, der sich ausschließlich um die Belange des höchsten Führungskreises kümmert. Leider legt der höchste Führungskreis den Begriff »Belange« sehr weitläufig aus, und so kann es schon einmal vorkommen, dass Moni sich für die Herren Geschäftsführer nach Hundehotels und Reiki-Centern erkundigen muss.
Wie geht’s weiter? Follow-Up, Ergebnis(offen)
Heute muss sich Moni rechtfertigen, warum sie unserem indischen Geschäftsstellenleiter nicht dreißigtausend Euro Schulgeld für seine Kids bewilligt hat. Er und seine Familie kommen für ein Jahr nach Deutschland und der Inder möchte, dass seine Blagen eine Eliteschule besuchen, die nun einmal etwas kostet. Die Moni hat das jedoch abgelehnt, der Inder sich daraufhin bei Boris beschwert und dieser möchte nun von Moni wissen, »was da denn jetzt aktuell eigentlich das Problem ist«.
Boris glaubt, dieser Satz würde ein ergebnisoffenes »Verstehenwollen« transportieren, doch uns allen ist klar, dass es sich nur um ein schlecht verpacktes »Warum landet der Scheiß überhaupt auf meinem Tisch?« handelt. »Na ja«, sagt die Moni, »wir haben für diese Fälle doch extra ein Regelwerk aufgestellt und das deckelt Schulgeld bei fünfundzwanzigtausend Euro pro Jahr.«
»Jaaaa«, entgegnet Boris genervt, »natürlich haben wir ein Regelwerk, Moni. Aber, hallo? Hier geht es um den Leiter der Geschäftsstelle Indien. Die Inder wollen und die Inder bekommen eine Topausbildung für ihre Kinder. Also, bitte, gib das frei, und die Businessclass-Heimflüge alle zwei Monate ebenfalls. Indern ist ihre Familie total wichtig! Das weiß man aber auch, Moni.«
Der Moni bleibt nun nichts anders übrig, als so zu tun, als ob sie fleißig mitschreibt. Man sieht ihr jedoch an, dass sie innerlich so kocht, dass sie das sowieso nicht vergessen könnte.
9:15 Uhr Boris geht zum Tagesgeschäft über und plaudert noch über »diese unmögliche Ansage von oben« oder »jene lächerliche Entscheidung«, bis wir zu dem Programmpunkt kommen, der mich daran erinnert, warum ich mich in diesem Meeting nicht mehr gruppenkonform verhalten will: die Teamleiterupdates.
Bei den Teamleiterupdates darf jeder von uns sagen, woran er gerade arbeitet und was davon auch für die ganze Gruppe interessant sein könnte. Für mich die Killerrunde in Bezug auf Zeit und Effizienz. In der Theorie eine gute Idee. In der Praxis funktioniert es nicht, weil wir ehrlicherweise gar nicht so genau wissen, was unsere Kollegen interessieren könnte.
Das liegt daran, dass wir alle nicht mehr die Aufgaben machen, die wir noch vor einem Jahr gemacht haben. Unsere Jobs ändern sich inhaltlich schnell, da ist man froh, wenn man seinen eigenen Bereich noch überblickt.
Und wenn ich jetzt auch noch Kollegen im Team habe, die mich persönlich null interessieren, und ich mich deswegen mit diesen auch nicht einmal beim Mittagessen austausche, dann passiert es eben, dass ich irgendwann nicht mehr weiß, was für diese Kollegen eigentlich noch von Interesse sein könnte.
Die Moni blickt auch nicht mehr so richtig durch, hat sie mir einmal bei einem Kaffee erzählt: »Ganz ehrlich, Bea, bei uns allen kommen so oft Themen dazu, sind nicht mehr wichtig oder werden von anderen übernommen. Wer soll da noch durchblicken? Also erzähle ich in der Teamleitersitzung einfach immer irgendetwas Globalgalaktisches. Und das, was die Kollegen sagen, schreibe ich einfach stumpf mit und hefte es ab. Vielleicht brauche ich es ja irgendwann noch einmal.«
Also für mich ist das nichts. Da habe ich einfach keine Lust mehr drauf. Ich will das so nicht mehr! Dieses unsägliche Update dauert manchmal fast eine Stunde, bis alle durch sind. Kein Wunder, ist es doch die einzige Möglichkeit, Boris zu zeigen, wie superbeschäftigt man eigentlich ist. Diese Inforunde erfüllt für mich ihren Zweck überhaupt nicht. Von der verschwendeten Zeit einmal ganz abgesehen …
… und genau so werde ich es Boris heute sagen!
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