Heute schon die Konkurrenz gecheckt? Permanentes Vergleichen mit anderen Alpha-Männchen macht müde. Freunde helfen beim Abschalten – oder ein Coach. Wie Psychologin Judith Bergner berichtet…
Stabile soziale Beziehungen sind die Grundlage für seelische und körperliche Gesundheit, das bestätigen Forschungsergebnisse aus Psychologie und Neurobiologie. Menschen brauchen Klarheit, Zielorientierung und ein Gefühl des Aufgehobenseins – sowohl im Beruf als auch im Privatleben. Die Realität aber sabotiert heutzutage genau diese Grund- bedürfnisse. Sich in Arbeitswelten zu bewegen heißt:
- Konkurrenzdruck
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Verlust der Solidarität
- Ständiger Leistungsvergleich, über den die individuelle, persönliche Identität definiert wird. 100 Prozent Zielerreichung ist nicht mehr gut genug
- Übererfüllung der Zielvereinbarung wird im außertariflichen Bereich erwartet.
Dafür gefordert wird: ständige Erreichbarkeit, überlange Arbeitszeiten, Flexibilität und höchste soziale wie personale Kompetenz, damit gesetzte Ziele unter hohem Zeitdruck und bei hoher Arbeitslast dennoch erreicht werden. Paul Goodman, einer der Begründer der Gestaltpsychotherapie, prognostizierte schon in den 1970er-Jahren eine »Welt ohne Asyl«. Da die Sicherheit und Stabilität im Außen durch die zunehmende Komplexität abnimmt, wird das Geborgensein im Inneren, mit sich selbst wesentlich.
Dies ist der Hintergrund, vor dem Coaching im Sinne der eigenen Orientierung und eigenen Visionsbildung seine Berechtigung erhält. Motivierung für eine Zielerreichung zu erzeugen erfordert Identifikation. Damit das berufliche Wirken als sinnvoll und erfüllend erlebt wird, folgt es der Identifikation mit dem, was als wertvoll empfunden wird. Eine natürliche Folge ist ein Bild, eine Vorstellung oder Vision dessen, wofür das eigene Leben steht.
Ein Lebensweg, der in dieser Weise einer Vision folgt, ermöglicht ein Gefühl von Kohärenz: Das, was ich tue, mit wem ich es tue, wo ich es tue und wie ich es tue, entspricht mir, gibt meinem Leben Sinn und obliegt meiner Kontrolle. Dies zu unterstützen, ist Absicht des vorgestellten Coachingprozesses.
Individualcoaching: Ansatz und Ablauf
Grundlage für dieses Vorgehen sind Konzepte der Systemtheorie, Gestaltpsychotherapie, Hypnotherapie und Acceptance-Commitment-Therapy (ACT) so- wie die Forschungsergebnisse Julius Kuhls zu neuronalen Bedingungen der Selbstmotivierung. Es heißt »keine Methode ohne Konzept«. Deshalb empfehle ich im Zweifel, sich in die konzeptionellen Hintergründe der Methoden einzuarbeiten. Dann werden Sie sie sicherer anwenden können.
Langjährige Erfahrungen in der Beratung unterschiedlicher Veränderungsprojekte und in der Begleitung zahlreicher Führungskräfte in Team- und Einzelcoachings haben mir gezeigt, dass im Wesentlichen vier Phasen für die Visionsfindung und Umsetzung durchlaufen werden müssen:
- Phase 1: Sich selbst, den eigenen Lebensweg und das damit verbundene Erleben
- Phase 2: Zugang zum »Selbst«, zu den eigenen Werten und Motiven her- stellen.
- Phase 3: Kreatives Denken ermöglichen, damit ein starkes Bild für die eigene Zukunft entstehen
- Phase 4: Handlungsenergie und Motivierung erzeugen, damit das Notwendige getan wird, um die eigene Vision Wirklichkeit werden zu
Geeignet ist dieser Ansatz für Menschen,
- die sich in einem Dilemma befinden, in einem inneren Konflikt zwi- schen zwei oder mehreren Interessen
- die das Gefühl haben, sich nicht mehr zu spüren, die nicht wissen, was ihnen guttut
- die sich immer wieder fragen: Wofür tue ich mir das alles an?
- die sich erschöpft fühlen
- die sich nicht motivieren können
- die meinen, freundlich zu sein und dennoch auf Ablehnung und Misstrauen stoßen
- die sich schnell aufregen und reizbar sind
- die das Gefühl haben, sich selbst im Weg zu stehen
- die vieles tun könnten, aber keine Ahnung haben, was sie tun wollen
- für die ihre Arbeit zur Anstrengung geworden ist
- für die eine anstehende berufliche Veränderung (zum Beispiel Beförderung) Zweifel auslöst
Der genaue Ablauf und die beabsichtigten Ergebnisse eines Coachingpro- zesses entwickeln sich beim ersten Klärungsgespräch und Kennenlernen des Klienten. Das heißt: Der vorliegende Ablauf beginnt nach dem ersten Gespräch und wird auf sechs bis zehn Sitzungen prognostizert. An einem konkreten Beispiel schildere ich die Vorgehensweisen und gebe Hinweise, worauf Coaches zu achten haben.
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