Authentizität wollen (fast) alle! Der Grund ist ein deutsches Klischee mit dem Stefan Wachtel ins Gericht zieht. Es gibt in Deutschland zu wenige Typen, die sind, wie sie sind – und gerade deswegen hart an sich arbeiten…
Der Deutsche stammt vom deutschen Schäferhund ab und der ist auch authentisch. Schäferhunde sind zum Hüten und Treiben der Schafherde eingesetzte Hirtenhunde. Dieser Arbeit geht er nach, wie die Natur es für ihn vorgesehen hat. Er ist, wie er ist, ungehobelt deutsch. Ich will auf eine Beobachtung aufmerksam machen: dass es typisch deutsch sein könnte, authentisch einfach das zu tun, was von innen heraus kommt.
Der Deutsche Schäferhund ist die Metapher für das Unkultivierte des Deutschen, das Ungeschminkte, Graue und Ruppige. Der Deutsche Schäferhund ist der Prototyp des Authentischen.
Im Ernst: Das Rohe ist unser Metier, das nicht Zurechtgemachte. Ein renommierter Bekleidungsversender verschickt einen Prospekt mit dem Slogan „Von der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit: graue Daune“. Sehnsucht nach Grau, darauf muss man kommen. Das geht nur in Deutschland.
„Deutsch sein heißt sachlich sein“
„Deutsch sein heißt sachlich sein“, sagt Diederich Heßling, Heinrichs Manns „Untertan“. Ganz authentisch sein und sonst nichts, deutscher geht es nicht, humorlos, korrekt. Im Jahr 1968 ging es erst richtig los mit dem Authentischen: Spontan sein wurde das Ziel – ohne Methode – und Wirkung wurde zweitrangig.
Ganz man selbst sein, in die eigenen vier Wände gehen oder raus in den Wald: Die Deutschen haben Romantik und Biedermeier nie ganz abgeschüttelt. Die deutsche Seele und die deutsche Kultur sind wie geschaffen für das Authentische.
Nicht wirklich gut, aber authentisch, das ist ein deutscher Topos. Ich bin in der DDR aufgewachsen und warte nur auf den Tag, an dem ich lesen oder hören muss, dort seien die Menschen authentischer gewesen. „Sozialer“ waren sie ja schon, wenn man dem Klischee glaubt.
Sie waren angeblich sozialer als im Westen, weil sie öfter zusammen saßen. Der Grund dafür ist aber nicht, dass sie sozialer waren, sondern dass es fast keine privaten Telefone gab. Die Menschen mussten sich schon live versammeln. Zusammenhocken ist kein Wert an sich – ebenso wenig, wie das Authentische an sich irgendeinen Wert hat.
Authentizität – kein (Mehr)wert an sich?
Wir verbinden das fein Angerichtete eher mit dem Französischen. Das gut Geredete ist Sache der Engländer. Das gut Gekleidete ist italienisch. Allzu Attraktives ist uns anrüchig. Erstrebenswert scheint uns Deutschen das nicht Ausgeschmückte, das Graue.
Wir haben eine Scheu vor Performance und wir wissen, woher sie kommt. Unsere Großeltern haben noch die wirkungsvolle Inszenierung im Ohr: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Wer das mitgegeben bekommt, will weg von der rhetorischen Performance und zum Authentischen zurück. Und so wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Die Scheu vor dem guten Auftritt fängt schon in der Schule an. Sie vermittelt den Zwang zur Korrektheit und Vollständigkeit. Es wird eher darauf geachtet, ob die Kinder in ganzen Sätzen antworten, und nicht, ob sie mit der Art, wie sie etwas sagen, Wirkung erzielen. An der Universität setzt sich das fort.
„Ideologie der Sachlichkeit und Nichtpersönlichkeit“
Korrekte, vollständige Informationen, aufgeschrieben in schriftdeutschen Thesen, aufbereitet auf selbsterklärenden Charts. Jeder Versuch, etwas attraktiv zu machen, ist anrüchig. Deutsche Äußerungen und Texte kranken an der „Ideologie der Sachlichkeit und Nichtpersönlichkeit“: „Es kam zu einer Demonstration.“
Warum wird in Deutschland Auftrittscoaching verschämt verschweigen? Es gibt keinen Grund. Ist es eine Schande, dazuzulernen? Dazu eine deutsche Geschichte: Der Berater eines Kanzlerkandidaten antwortete auf die Frage, ob sein Klient nicht ein Coaching brauche: „Der lässt sich nicht verbiegen.“
“Nicht verbiegen…”
Und auf die Frage, was er für den Eindruck seines Klienten tue, antwortete er: „Ich bin doch nicht sein Coach, dafür bin ich zu teuer.“ Er hatte für die Unterweisung des Kandidaten seinen Kumpel geholt; Coaching in der Politik ist Kumpelgeschäft. Ein Redaktionsleiter einer Sportredaktion sollte also den Kandidaten im Bundestagswahlkampf auf Auftritte vorbereiten, ohne jede Coaching-Ausbildung, ohne einen Plan über Rhetorik, und das ging auch gründlich schief. Außerdem war es auch noch teuer, genauer gesagt: zu teuer.
“Manager erscheinen oft anonym, austauschbar und undurchsichtig, graumäusig”
Sie fragen sich: „Wenn schon Kanzlerkandidaten angeblich kein Coaching brauchen, warum dann ich?“ Schließlich hängt Ihr Beruf nicht vom Eindruck ab. Oder vielleicht doch? Es gibt in Deutschland zu wenige Hauptdarsteller, es gibt zu wenige Typen, die nicht nur so sind, wie sie sind, sondern die an sich arbeiten.
Studien über die Wirkung von Vorstandsvorsitzenden bringen es stereotyp heraus: Die meisten deutschsprachigen Spitzenmanager halten sich mit öffentlichen Auftritten zurück. Und es passt dazu, was als Wirkung gemessen wird: Manager erscheinen oft anonym, austauschbar und undurchsichtig, graumäusig.
Das sind sie oft ja auch und das wäre auch in Ordnung, wenn sie nicht eine große Verantwortung zu tragen hätten – die auch Auftritt bedeutet! In der deutschen Politik ist es ähnlich: So viele Köpfe wie Ministerien und Fraktionen, aber kaum leuchtende, zu denen wir uns hingezogen fühlen.
Deshalb konnte ein adliger Hochstapler – Karl Theodor zu Guttenberg – zum populärsten Minister werden, unter anderem, weil er nicht graumäusig war, weil er gepflegt gekleidet war, das Haar und seinen gesamten Auftritt geordnet hatte. Aus der ganzen deutschen gut gemeinten Zurückhaltung erwächst am Ende die ebenso deutsche Manipulation.
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