Am Ende machen immer die Falschen Karriere. Die Braven, die Ja-Sager, die Systemtrottel – die Weicheier. Die Leistungsträger bleiben übrig. Ausgerechnet sie, die eigentlich die ganze Arbeit machen. Ein Gefühl, das viele Menschen von ihrem Arbeitsplatz kennen aber wenige ansprechen. Gerald Hörhan berichtet…
Es stimmt. Immer öfter machen Weicheier statt Leistungsträgern Karriere, und das hat einen Grund. Das leistungs- und erfolgsorientierte Klima, das noch in den Achtziger- und Neunzigerjahren in der Wirtschaft herrschte, von der Politik durch Liberalisierungen genährt, ist gekippt. Seit 9/11 dominiert die Angst. Ausgehend vom Amerika unter George W. Bush entstand ein Klima der Verunsicherung, und daraus folgend der Regulierungen und der Kontrollen.
Die westlichen Staaten verwandelten sich mit ihren wuchernden Gesetzen in Kontrollstaaten, und aus den großen Konzernen wurden Kontrollkonzerne mit Wälzern voller Compliance-Regeln. Es entstand ein System, in dem nicht Mitarbeiter gut sind, die Leistung und Erfolge bringen, sondern jene, die brav all diese Regeln einhalten. Die Weicheier steigen auf, die Leistungsträger werden, wenn sie Pech haben, sogar gemobbt.
Ich kennen einen hervorragenden Verkäufer, der seinen Job verlor, weil er Kunden auf seinen Landsitz zum Squadfahren einlud. Die Compliance-Abteilung der Firma verfasste einen 110 Seiten langen Bericht darüber, dass das Gelände fürs Squad-Fahren eigentlich zu steil war, und dass die Party am Abend ziemlich wild war.
Dass es ein tolles Wochenende für alle war, und dass sich in der Folge Geschäftsabschlüsse ergaben, kam in dem Bericht nicht vor. Am Ende hatten ein paar Systemtrottel Papier produziert und ihr Gehalt gerechtfertigt, und die Firma hatte einen Umsatzbringer weniger.
Die Charakteristik des Weicheis ist schnell erklärt: Das Weichei ist froh darüber, dass es Regeln gibt. So braucht es nicht selbst zu denken und sich nicht mit Selbstreflexion aufzuhalten. Es hält sich an den Dresscode und an die Meetingkultur und trifft Entscheidungen wenn schon, dann nur möglichst anonym im Komitee. Es ist am liebsten einer Meinung, egal mit wem. Es plappert nach, was es hört, und begnügt sich mit der Reflexion, die ihm das System bietet, indem es ihm bei Regelverstößen auf die Finger klopft.
Der Kreativkiller: Regelkonformismus
Wenn das Weichei vor einem Problem steht, überlegt es nicht, wie es zu lösen wäre, sondern es schlägt nach, was die Regeln dazu sagen. Es hält sich an das System. Ich habe einmal einen Kreditverantwortlichen einer Bank darauf aufmerksam gemacht, dass sein Rechenprogramm für Firmenbewertung einen Fehler hatte. Der Fehler war leicht zu erkennen. In einer Excel-Tabelle waren Vorzeichen vertauscht.
Doch er zuckte mit den Schultern. „Ich halte mich ans System“, sagte er. Das schadet der Wirtschaft, weil dann eben eine gesunde Firma einen wichtigen Kredit nicht bekommt und die Bank keine Zinsen kassiert, aber es reicht für die Karriere in einem System, das auf Regeln und Kontrolle aufbaut.
Was in einem Unternehmen passiert, in dem ein Weichei Führungsverantwortung hat, ist klar. Das Weichei vermehrt sich unnatürlich rasch. Denn es befördert immer nur andere Weicheier. Dieser Mechanismus ist nicht nur ärgerlich für Menschen, die gerne etwas bewegen würden.
Für die Unternehmen bedeutet das einen handfesten wirtschaftlichen Schaden, auch wenn das den meisten Unternehmern vielleicht gar nicht bewusst ist. Denn ein Unternehmen, das einen Mitarbeiter einstellt, sichert sich damit vertraglich dessen Arbeitskraft. Das ist die Idee. Es sichert sich nicht ein bisschen seiner Arbeitskraft, sondern seine ganze. Zumindest glaubt es das.
In der Realität bekommen Unternehmen, die ein Weichei einstellen, aber nur einen Teil der Leistung, für die sie bezahlen. Sie bekommen nur den verwaltenden, duckmäuserischen und bequemen Teil. Sie hätten aber auch Anspruch auf die Ideen dieses Mitarbeiters, auf seine kreativen Konzepte, und auf seinen Widerstand gegen unsinnige Mechanismen, die es in dem Unternehmen vielleicht gibt.
Das sind nun einmal die Dinge, die langfristig Gewinne sichern und ausbauen können. Das sind die Dinge, die verhindern, dass ein Unternehmen einen wichtigen Trend verschläft. Doch diese Leistung erbringen in einem Unternehmen nur die Freigeister, nicht die Weicheier.
Weichei-Kulturen erfordern Anpassung
Das Problem hat die Tendenz, zu wachsen. Denn je ausgeprägter die Weichei-Kultur eines Unternehmens ist und je weniger Chancen die Freigeister haben, desto eher orientieren sie sich anders. Sie gehen zur Konkurrenz oder gründen eine eigene Firma. Weicheier erweisen sich damit als echte Risikofaktoren für die Wirtschaft.
Der kollektive Systemkonformismus ist mit schuld an der europäischen Wirtschaftskrise. Denn sind in Unternehmen die am stärksten wachsenden Abteilungen die Complience-Abteilungen, erlahmen sie allmählich. Schließlich kosten die Leute dort nicht nur ihr eigenes Gehalt und ihren eigenen Arbeitsplatz, sondern auch die Zeit produktiver Mitarbeiter, die sie quälen.
“Zu viel Kopien, wenig Innovation”
„Die Produktivität in Europa ist seit 2007 gefallen … und die europäischen Firmen konzentrieren sich mehr auf Nachahmungen statt auf Innovationen“, heißt es in einer Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Dieses düstere Bild ruft nach mutigen Schritten der Politik, die signifikant über das hinausgehen, was derzeit unternommen wird.“
Die 27 EU-Finanzminister haben diese Studie sogar bei einem Treffen im April 2013 in Dublin diskutiert, die erforderlichen mutigen Schritte gegen den Kontrollstaat und damit für die Eindämmung der Weicheikultur haben sie trotzdem keine gesetzt. Denn auch in der Politik machen zunehmend eher die Weicheier Karriere. Den besten Beweis dafür lieferte das Interview mit dem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes, das ich im ZDF-Morgenmagazin gesehen habe.
Frage an den Ministerpräsidenten: Was soll eines Tages von Ihnen bleiben?
Antwort: Dass ich einer war, der sich bemüht hat.
Der Ministerpräsident zeigte sich damit als Weichei der Staatsgewalt, dessen Vision darin bestand, artig zu sein.
Frage: Was macht Sie für Ihre Wähler spannend?
Antwort: Ich habe mit mehr als sechzig Jahren den Großteil meines Lebens hinter mir. Alles, was ich brauche, habe ich schon.
Womit er offenbar andeuten wollte, dass er schon zu alt zum Stehlen war. Klar, dass solche Politiker keine fundamentalen System- oder Verfassungsreformen durchziehen und die Bürokratie und Überregulierung nicht einfach mit einer gemeinsamen Willensanstrengung abschaffen, sondern lieber an den Problemen herumdoktern und sie mit neuen dummen Gesetzen und Regeln nur noch verschlimmern. Die Politik und die Wirtschaft Europas bilden damit gemeinsam ein Null Bock-Komplott, das alles erstickt.
Wer in einem Unternehmen mit ausgeprägter Weicheikultur arbeitet, hat nicht viele Möglichkeiten. Er kann den einfachsten Weg gehen und selbst ein Weichei werden. Er kann sich anpassen und sein Gehirn ausschalten und wird ein stressfreies und weitgehend bedeutungsloses Leben haben.
Er kann auch versuchen, mit der Weichei-Herrschaft umzugehen. In einem Konzern bedeutet das, die wenigen anderen Freigeister zu suchen und sich mit ihnen zu verbünden. Er muss den Weicheiern die Veränderungen dann immer so verkaufen, dass Protest dagegen für sie einen größeren Aufwand bedeuten würde als sich zu fügen. Oder er muss immer so tun, als wäre sein Vorschlag jetzt der Mainstream.
Oder er verändert eben sein Betätigungsfeld und geht. Kleinere Unternehmen gelten nicht umsonst als Rückgrat der Wirtschaft. Freigeister, die etwas gestalten und erreichen wollen, sind dort besser aufgehoben. Besonders dann, wenn sie das kleinere Unternehmen gleich selber neu gründen.
Freigeister können auch auf die Chance warten, die ihnen gewöhnlich Krisen bringen. Steht ein Unternehmen vor außerordentlichen Herausforderungen, sind Weicheier meistens abgemeldet. Dann ist mit Verwalten nichts mehr zu machen. Wenn es darum geht, den Karren aus dem Dreck zu fahren, ist es meistens egal, ob sich die, die das können, an den Dresscode und die Meeting-Kultur halten. Dann schlägt die Stunde der Freigeister.
Über den Autor: Gerald Hörhan studierte in Harvard angewandte Mathematik und Betriebswirtschaft. Er arbeitete für McKinsey & Co und sammelte bei JP Morgan Wall-Street-Erfahrung. In seinem Buch „Null Bock Komplott – Warum immer die Weicheier Karriere machen und wie ihr es trotzdem schafft“ (edition a-Verlag, Wien 2013) setzt er sich kritisch mit Unternehmenskulturen auseinander, die Systemerhalter und keine „Köpfe“ nach oben spülen…
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