Angefangen bei ungewollen Blumen über Machosprüche vom eigenen Chef bis zum Gespräch in der Personalabteilung. Sexuelle Belästigung hat viele Etappen. Stefanie Hirsbrunner berichtet in einem Buch darüber, hier im dritten und letzten Teil unserer Serie…
Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet fällt es mir schwer, die junge Praktikantin von damals und ihre Handlungen in dieser Situation nachzuvollziehen. Ich war naiv, gutgläubig und wohl angesichts dieses mir so immens und skandalös erscheinenden Vorwurfs der sexuellen Belästigung ziemlich überfordert.
Gleichzeitig gab ich sehr viel auf den Rat einer engen, aber nicht weniger unbeholfenen Freundin. Tatsache ist: Wir wussten es einfach nicht besser. Aber ich sollte meine Lektion lernen …
Wer belästigt wen? Wer beschuldigt wen?
Martin arbeitete für ein halbes Jahr studienbezogen im Hotel, um danach zurück an eine der Elite-Hotelfachschulen zu gehen. Auch Wiese hatte bei einer solchen studiert. Bei der nächst- besten Gelegenheit suchte ich ein Gespräch mit Martin und erzählte die Geschichte aus der Kantine. Ich war auch da immer noch fest davon überzeugt, das Richtige und Wiese im Grunde einen Gefallen zu tun.
Darüber, was genau Wiese eigentlich mit dieser doch recht spärlichen Information, die ich Martin nun an die Hand gab, anfangen sollte, hatte ich mir allerdings kaum wirklich Gedanken gemacht. Mir gab es einfach ein gutes Gefühl, meinem Kollegen und Vorgesetzten hier auf solche Weise den Rücken zu decken und diese in meinen Augen bodenlose Unverschämtheit, die da aus dem Restaurant zu uns ins Bankett herüberschwappte, direkt abzuwehren. Da er ja deutlich älter und deutlich erfahrener im Gastrobusiness war als ich, würde Wiese wohl schon wissen, was zu tun sei, dachte ich. Und das wusste er tatsächlich.
Wenige Tage nach meinem dezenten Hinweis an Martin sprang mir direkt bei Dienstbeginn Landecks – und meine ganz spezielle – Freundin Engels entgegen und rief in schrillem, ge- künstelt freundlichem Ton: »Frau Hiiiiirsbrunner! Sie melden sich bitte heute zu allererst im Personaaaaalbüro. Danach sind Sie im Gourmetrestaurant eingeteilt. Also husch, husch, mein Täubchen!«
Wenig später überquerte ich den Innenhof in Richtung des Personalbüros, klopfte und wurde kurz danach hereingerufen. Die strenge Personalleiterin mit dem Charme einer Tiefkühltruhe blickte nur kurz von ihren Akten hoch, als ich eintrat. »Sie wollten mich sprechen?«, fragte ich vorsichtig und schloss leise die Tür hinter mir.
Zitat in die Personalabteilung
»Ja, kommen Sie in mein Büro, bitte«, antwortete Frau Zerbel und bedeutete mir, ihr in das nicht gerade repräsentative Personalleiterbüro hinter dem Sekretariat zu folgen. Ich war noch nicht oft hier gewesen, aber jedes Mal fühlte ich mich unwohl. Die Enge dieses Raums gepaart mit den zahlreichen Personalakten und den wichtig aussehenden Korrespondenzen wirkte irgendwie beklemmend. Außerdem fiel in das Büro wegen der geschlossenen Rollos kaum Tageslicht, und das machte die Atmosphäre noch bedrückender. Ich nahm auf dem Stuhl, der mir angeboten wurde, Platz, und Frau Zerbel setzte sich mir gegenüber.
»Ihr Abteilungsleiter wird jeden Augenblick hier sein«, sagte sie mit ihrer gewohnt heiseren Stimme und fügte noch hinzu: »Meine Kollegin ruft ihn gerade an.« Ich faltete die Hände in meinem Schoß und versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Ich zwang mich, die Schultern wieder zu entspannen und innerlich ruhig zu bleiben. Was ging hier vor? So krampfhaft ich aber auch überlegte, während ich wartete, ich hatte keinen blassen Schimmer, weshalb ich gerade hier saß.
Ging es um den Diebstahlsvorwurf? Denn der kursierte ja auch noch, und ich hatte schon länger nichts mehr dazu gehört. Ging es um den Ausbildungsplatz? War ich hier, um mich in irgendeiner Sache zu rechtfertigen, oder war ich hier, um irgendeine meinen Job betreffende, offizielle Information zu erhalten? Aus der Miene des Personaldrachens konnte ich keine Rückschlüsse ziehen. Ihr Gesicht war wie immer versteinert.
Gerüchteküche und Flurfunk
Ich bekam Angst. Würde Landeck mich beim Personalbüro wegen des Wutanfalls im Gästebereich anschwärzen? Möglich war es, schließlich hatte ich gravierend gegen den Hotelstandard verstoßen. Viele unserer Gäste hatten sicherlich in diesem Moment gesehen, dass unsere vermeintlich heile Welt gar nicht immer perfekt war, und das war ja nun das Letzte, was die Hotelführung sich wünschte.
Ralf Landeck traf fünf Minuten später ein als ich. Es herrschte eine eisige Stimmung im Büro. Er zog sich einen Stuhl her- an und setzte sich, ohne eine Miene zu verziehen, neben mich. Frau Zerbel schloss die Tür und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. Sie ergriff als Erste das Wort: »Frau Hirsbrunner, haben Sie eine Vorstellung, weshalb wir Sie heute hergebeten haben?« »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Nun, um ehrlich zu sein, der Anlass ist auch nicht sehr erfreulich. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein sehr ernstes Thema«, fuhr Frau Zerbel fort.
Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Was lief denn hier? Was sollte das Ganze? Als ich nicht antwortete, fügte die Personalleiterin hinzu: »Uns wurde gemeldet, Sie hätten derartige Vorwürfe gegen einen Mitarbeiter erhoben, ist das richtig?« Ich sah Ralf Landeck an. Sein kurz flackernder Blick verriet, dass Landeck wusste, woran ich gerade dachte, und dass auch er die Situation im Ballsaalfoyer vor Augen hatte. Also wusste er doch, dass ich unter der Situation mit dem verliebten Supervisor litt, dachte ich. Er bezeichnete das Verhalten des Vorgesetzten also offenbar sogar als sexuelle Belästigung.
Im Stich gelassen
Ich war überrascht und auch irgendwie irritiert, schließlich hatte er meine Wünsche in dieser Sache bislang nur ignoriert oder belächelt. Konnte es sein, dass es Landeck im Nachhinein unangenehm war, mich so im Stich gelassen zu haben? Aber wieso schaltete er denn jetzt gleich die Personaltante ein? Das war ja wohl doch etwas übertrieben. »Nun ja, ich hatte ja damals auch hier kurz vorgesprochen, aber inzwischen hat sich die Situation entspannt, würde ich sagen«, antwortete ich zögerlich und bemüht darum, nicht zu viel Wirbel zu machen.
»Sie wissen, wovon wir sprechen?«, hakte Frau Zerbel nach und runzelte die Stirn. »Vielleicht auch nicht«, erklärte ich ausweichend, denn nun dämmerte mir langsam, dass ich vielleicht doch auf der falschen Fährte war. Ging es gar nicht um meinen Wunsch der Dienstplantrennung? »Nun, wie kommt es, dass Sie gegenüber einem dritten Mitarbeiter erwähnt haben, Herr Wiese hätte sich der sexuellen Belästigung schuldig gemacht?«, fragte Frau Zerbel und sah mich finster über den Rand ihrer Brille an.
Ich schluckte. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. »Ist das hier ein Verhör?«, fragte ich, denn genauso kam es mir ge- rade vor, und die Frage lenkte praktischerweise auch erst mal vom eigentlichen Thema ab. »Frau Hirsbrunner, Sie werden doch wohl verstehen, dass wir solchen Dingen nachgehen müssen«, antwortete Frau Zerbel spitz.
Petze oder Whistleblower?
»Ehrlich gesagt, nein, das verstehe ich nicht. Hat jemand einen Vorfall von sexueller Belästigung gemeldet?«, entgegnete ich.
»Nein, noch nicht«, Frau Zerbel wollte ausführlicher antworten, aber ich war schneller: »Aha. Dann untersuchen Sie also einen Fall, den es überhaupt nicht gibt?«
Es herrschte einen Moment Stille im Raum, und wie um das unangenehme Schweigen zu brechen, sagte ich: »Und da haben Sie mich vorsichtshalber schon einmal eingeladen, oder wie muss ich das verstehen?« Nun schaltete sich Landeck zum ersten Mal in das Gespräch ein. »Frau Hirsbrunner,« begann er, und ich bemerkte verwundert, dass er wieder zum förmlichen »Sie« übergegangen war.
»So kommen wir hier nicht weiter. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung ist sehr ernst, und wir nehmen ihn ernst. Sie sollten uns daher behilflich sein aufzuklären, was genau vorgefallen ist. Es ist eine Bitte, kein Verhör.« »Ich habe einen solchen Vorwurf aber nicht erhoben, oder haben Sie etwas derartiges von mir vorliegen, Frau Zerbel?« »Nein, aber Herr Wiese hat ihren Namen erwähnt«, antwortete die Personalchefin.
»Herr Wiese und ich haben überhaupt nicht miteinander gesprochen«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Das mag richtig sein, aber die Vorwürfe wurden über einen Dritten an ihn herangetragen. Was wissen Sie darüber?«, hakte sie nach.
Schuss in den Ofen, Öl ins Feuer
»Nichts«, entgegnete ich fast schon trotzig. Ich wollte dieses Gespräch hier so bald wie möglich beenden und hatte nicht vor, die Geschichte so zu erzählen, wie sie gewesen war. Ich war entsetzt, dass mein ursprünglich gut gemeinter Tipp an Wiese nun so gegen mich selbst verwendet wurde. In meinem Kopf raste es. Mir war nicht ganz klar, was passieren würde, wenn ich weiterhin so tat, als wisse ich von nichts, aber mir war klar, dass ich hier raus wollte, und zwar so schnell es ging.
»Herr Martin Seidel kann da, glaube ich, etwas anderes berichten«, sagte Frau Zerbel und sah mich triumphierend an. »Dann lassen Sie sich doch die Geschichte von Herrn Seidel erzählen«, entgegnete ich. »Frau Hirsbrunner, so kommen wir doch nicht weiter. Wir erheben hier doch keine Vorwürfe gegen Sie, wir möchten die Angelegenheit lediglich untersuchen und klären«, versuchte Landeck erneut zu beschwichtigen. Aber ich ließ ihn abblitzen.
»Es gibt nichts zu untersuchen und auch nichts zu klären, wofür Sie meine Hilfe benötigen würden. Und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich deshalb jetzt gerne wieder an meine Arbeit gehen.« Meine Hände zitterten, und ich fragte mich, woher ich eigentlich das Selbstbewusstsein nahm, das ich hier gerade an den Tag legte. Es war Wut, die mich kleine Praktikantin so mit diesen beiden Mächtigen des Hauses sprechen ließ.
Lästiger Bumerang
Ja, es war dumm gewesen, mich überhaupt in diese ganze Geschichte einzumischen, das verstand ich nun. Aber dass sie wie ein Bumerang zu mir zurückfeuern würde, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich fühlte mich von Martin und Wiese gleichermaßen hintergangen. Landeck sah mich von der Seite an. Aus seinem Blick sprach eine Mischung aus Bewunderung und Neugierde. Aber ich wusste, dass mir das nicht half, und es war auch nichts besonderes. Es war nur Ralf Landecks Vorliebe für starke Frauen, die hier hervorblitzte.
„Vermerk in Personalakte“
Die Realität spiegelte sich in der unterkühlten Art und dem Blick von Frau Zerbel wider. Keinerlei Freundlichkeit sprach aus ihr und keinerlei Sympathie. Fast hätte man meinen können, sie habe ein persönliches Problem mit mir. In einem Ton, der Verachtung verriet, teilte sie mir mit, dass in meiner Personalakte ein Vermerk eingetragen würde. »Außerdem sehe ich mich gezwungen, dort festzuhalten, dass Sie an einem klärenden Gespräch nicht interessiert waren und sich stattdessen durchweg unkooperativ zeigten«, fügte sie noch hinzu. Dann stand sie auf und öffnete demonstrativ die Tür ihres kleinen Büros. »Guten Tag.«
Vorwurf statt Belästigung in Personalakte
Ich erhob mich und ging langsam hinaus. Diese Geschichte kam mir vor wie ein schlechter Witz. Gleichzeitig wunderte ich mich aber auch kaum noch über das gerade Geschehene. Irgendwie reihte es sich problemlos in die Erfahrungen der letzten Monate ein, die mir gezeigt hatten, was Macht und Ohnmacht im Angestelltendasein waren.
Nun war also tatsächlich ich diejenige, in deren Personalakte ein Eintrag wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung stand, ungeachtet der eigentlichen Tatsache, dass in diesem Haus täglich wohlhabende Männer oder jene in höheren Positionen Frauen in gewisser Weise sexuell ausnützten oder gar belästigten.
Während allerdings weder unsere Vorgesetzten noch unsere Gäste hier in die Verantwortung genommen wurden, hatte man das Exempel vielmehr an der naiven Praktikantin statuiert. Und diese Geschichte würde ganz von allein dafür sorgen, dass der Hotelstandard, die absolute Diskretion der Frauen und der bedingungslose Service am Gast, auch weiterhin Bestand haben würde.
Neugierig was zuvor geschah? Dann Teil 1 und Teil 2 lesen…
Über die Autorin: Stefanie Hilsbrunner ist gelernte Hotelfachfrau. Sie absolvierte ihre Berufsausbildung in einem deutschen 5-Sterne-Luxushotel und war anschließend mehrere Jahre im Hotelwesen beschäftigt…
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