Ob heftiger Sex auf dem Kopierer oder das Grabschen an Brüste oder Hintern. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz läuft meist anders und viel weniger plakativ ab. Stefanie Hirsbrunner berichtet ihre Erlebnisse aus der Glanz- und Glamourwelt eines Fünf-Sterne-Hotels, hier im zweiten Teil…
Über diese sexuelle Komponente, sozusagen das (niemals stattgefundener) Sex jetzt unser Arbeitsverhältnis beeinflusste, verursachte bei mir ein starkes unangenehmes Gefühl der Abwehr. Ich konnte es in der Magengegend spüren, und mein ganzer Körper wehrte sich dagegen, von ihm beobachtet zu werden. Ich fand es ekelhaft. Landecks Stellvertreter, den ich als nächstes ansprach, reagierte verkniffen, wie es so seine Art war, aber nicht unfreundlich.
Dennoch änderte sich in der folgenden Zeit nichts, und ich wiederholte meine Bitte daher wenig später erneut bei Landeck. Ob er das nun verstünde oder nicht, er möge bitte den Kollegen und mich in unterschiedlichen Schichten einteilen.
Und dann, eines Abends, eskalierte das Ganze. Ich kam zum Dienst und meldete mich wie immer am Flipchart auf der Personaletage, um zu erfahren, wo in der Abteilung ich eingeteilt war. Es stellte sich heraus, dass besagter Kollege und ich laut Plan zu zweit in der kompletten Frühstücksetage Tische für den nächsten Tag eindecken sollten, während die gesamte restliche Abteilung auf einer anderen Etage eine Großveranstaltung abwickeln würde.
Willkür und “Lärm um nichts”
Anscheinend hatte der Supervisor sich bei der Personalplanung einen Spaß aus meinen Bitten nach einer Trennung der Dienstpläne gemacht, denn diese Einteilung bedeutete in der Konsequenz für mich, einen ganzen Abend allein mit dem Kollegen zusammenarbeiten zu müssen. Diese Erkenntnis traf mich wie eine Keule. Bei mir brachen alle Dämme. Wut, Hass und Ohnmacht machten sich Luft, als ich im Erdgeschoss Landeck ausfindig machte.
Er stand im Ballsaalfoyer an der Bar, wo gerade Hunderte Gäste zum Cocktail eingetroffen waren. Mir war das in dem Moment völlig egal, ich schrie ihn an, heulte und tobte, sobald ich in Hörweite war. Ich war so unfassbar wütend. Ich hasste Ralf Landeck in dem Moment aus ganzem Herzen, und noch mehr hasste ich die Macht, die er und die anderen Supervisoren über mich hatten.
“Macht macht etwas mit uns”
Ich war ihr Spielball und hatte keinerlei Möglichkeiten, gegen ihre Willkür vorzugehen. Was gab ihnen eigentlich das Recht dazu, so herablassend und herzlos zu sein? Machte es ihnen Spaß, andere Menschen zu quälen, weil sie es schlichtweg konnten, oder waren sie sich überhaupt nicht bewusst, wie gemein sich das anfühlte?
Letztendlich war es aber natürlich sinnlos, mir darüber überhaupt Gedanken zu machen, denn wie sollte es anders sein: Wenig später fand ich mich auf der Empore wieder, wo ich mit versteinerter Miene den gesamten Abend Frühstückstische eindeckte und nebenbei den verliebten Vorgesetzten und seine Avancen ignorierte. Es wurde einer der längsten Abende meines Praktikums voller übertriebener und nicht erwiderter Freundlichkeiten.
Versuch, Beschuldigten zu helfen
Ralf Landeck war über meinen öffentlichen Ausbruch im Ballsaalfoyer anschließend so erbost, dass er erst mehrere Wochen später wieder mit mir sprach, und zwar als wir beide im Personalbüro zum Gespräch vorgeladen wurden. Wieder ging es um sexuelle Belästigung, allerdings lag der Fall dieses Mal ganz anders.
Eines Tages hatte ich in der Kantine zu Mittag gegessen und dabei von einem geradezu skandalösen Gerücht erfahren. Eine Gruppe Praktikanten aus dem Restaurant, die nicht weit von mir entfernt saß, hatte mein Interesse geweckt. Ich kannte sie alle vom Sehen, wusste aber ihre Namen nicht. Im Hotel waren wir zu diesem Zeitpunkt an die dreihundert Mitarbeiter und durch das hohe Arbeitspensum kam nur selten ein Austausch mit anderen Abteilungen zustande.
Die Praktikanten steckten die Köpfe zusammen, und ich wurde neugierig. Worum es wohl ging? Unauffällig rückte ich meinen Stuhl ein wenig näher in ihre Richtung, um besser lauschen zu können. Ich hörte, wie ein blondes Mädchen mit einem auffälligen Muttermal im Gesicht gerade sagte: »Meinst du das im Ernst? Ich kann mir das bei ihm gar nicht vorstellen!«
Kein Petzen: Bericht an die Personalabteilung
Ihr Gegenüber, ein großer junger Mann mit braunen Locken, antwortete: »Doch. Er hat ihr immer wieder aufgelauert, sie in der Wäschekammer bedrängt, ihr SMS geschrieben oder sie zu Hause angerufen. Außerdem macht er das wohl auch nicht zum ersten Mal. »Was meinst du damit?«, fragte eine der anderen Praktikantinnen. »Wiese soll auch schon in anderen Hotels, wo er früher gearbeitet hat, Mädchen belästigt haben«, antwortete der Braunhaarige. Ich drehte erschrocken den Kopf weg und starrte auf den Kartoffelquatsch mit Ketchup auf meinem Teller.
Wiese war doch einer der Supervisoren und damit indirekt mein Vorgesetzter! Und der sollte Frauen bei der Arbeit belästigen? Ich konnte das kaum glauben und versuchte prompt, noch mehr aus dem Gespräch meiner Tischnachbarn herauszuhören. »Naja, dann muss sie auf jeden Fall darüber im Personalbüro Bericht erstatten«, sagte die Blonde mit dem Muttermal gerade.
Ihre Gesprächspartner nickten und stapelten ihre Teller übereinander. Sie waren gerade dabei zu gehen und erhoben sich von ihren Plätzen. Mist, dachte ich. Jetzt hatte ich nicht mitbekommen, um welche Kollegin es ging, die angeblich von Wiese belästigt wurde. Ich stand auf, holte mir eine Tasse Kaffee und grübelte. Seltsamerweise beschäftigte mich das eben Gehörte sehr. Wie ein großes Schild stand plötzlich der Vorwurf der sexuellen Belästigung im Raum, und ich empfand diesen gegenüber meinem Vorgesetzten Herrn Wiese als ungeheuerlich.
Machosprüche kontern, irgendwie
Ich fühlte Betroffenheit für ihn, denn ich nahm selbstverständlich an, dass, so wie ich ihn kannte, dieses Gerücht falsch sein müsse. Dass ich selbst jeden Tag und teilweise massiv am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurde, ja sogar mehrmals guten Grund gehabt hätte, Anzeige zu erstatten, kam mir dabei gar nicht in den Sinn. Solche Taten wie die der sexuellen Belästigung passierten grundsätzlich anderen Frauen, oder sie wurden, wie in diesem vermeintlichen Fall, von Frauen vorgeschoben, um Männern zu schaden. So sah ich das.
Wiese hatte einen unmöglichen Umgangston, war streng und prollig; ich mochte ihn nicht sonderlich. Seine Schuhputzaktion im Ballsaal neulich hatte mich ratlos gemacht, und er machte sich mit Machosprüchen über uns junge Frauen lustig. So richtig taute er eigentlich nur dann auf, wenn wir feiern gingen oder uns mit den »Resten« betranken. Dann war er auch manchmal lustig, tanzte sogar und verbrüderte sich mit ein paar männlichen Praktikanten.
Ich wusste auch, dass Wiese mit einer anderen Kollegin zusammen war, und in meiner naiven Vorstellung hatten Männer in festen Beziehungen es doch gar nicht nötig, junge Dinger zu belästigen, oder? Nein, ich glaubte die Geschichte keine Sekunde lang und schlug mich stattdessen auf seine Seite. Mein Gerechtigkeitssinn sagte mir, dass das gerade Gehörte für Wiese zu einer Gefahr werden könnte und man ihn warnen sollte vor dem, was sich da Karrierefeindliches zusammenbraute.
Von Klatsch und Tratsch zur Sache
»Du glaubst ja gar nicht, was ich eben gehört habe!«, begann ich daher wenig später meiner Kollegin und Freundin Frauke zu erzählen. Ich berichtete ihr, worüber sich die Praktikanten aus dem Restaurant unterhalten hatten. »Aber Wiese ist doch mit einer Kollegin zusammen, oder?«, glaubte auch sie zu wissen, ebenso romantisch veranlagt wie ich – und mit ebenso wenig Kenntnis von den Büroabteilungen des Hauses wie ich.
Beide glaubten wir fest an das Gute im Menschen und an die Liebe sowieso, kannten aber natürlich besagte Partnerin nicht einmal. Ich stimmte ihr also sofort zu, dass die Geschichte unsinnig sei, und wir berieten, was zu tun sei. Sollte der Vorgesetzte nicht erfahren, was über ihn getratscht wurde? Würde so eine Geschichte nicht den Ruf, wenn nicht gar die Karriere eines Mannes ruinieren können?
»Naja, falls das Mädchen echt mit der Geschichte zum Personalbüro geht, sieht es für Wiese sicherlich nicht so gut aus«, sagte Frauke, und ich nickte. Beide vergaßen wir in dieser Situation gleichermaßen, was das Personalbüro gerade unternommen hatte, als ich selbst wegen Zudringlichkeiten eines Vorgesetzten um Dienstplantrennung gebeten hatte: nämlich nichts.
Wir beschlossen letztendlich, Martin, dem Praktikanten im Management, der, soweit wir wussten, manchmal mit Wiese ein Bierchen trinken ging und ihn besser kannte als wir, von der Geschichte zu erzählen. Er sollte dann Wiese davon berichten.
Von einem männlichen Kollegen zu erfahren, dass der Vorwurf der sexuellen Belästigung im Raum stand, war doch sicher allemal besser, als von zwei Untergebenen der Abteilung, die man eigentlich gar nicht kannte, dachten wir. Wiese könne auf diese Weise dann darauf reagieren, wie er es für richtig hielt.
Neugierig wie es weitergeht? Dann Teil 3 lesen. Oder hier noch den Teil 1…
Über die Autorin: Stefanie Hilsbrunner ist gelernte Hotelfachfrau. Sie absolvierte ihre Berufsausbildung in einem deutschen 5-Sterne-Luxushotel und war anschließend mehrere Jahre im Hotelwesen beschäftigt.
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