Klingt nach Kuschelpädagogik? Nach hoffnungslos idealistischem Menschenbild? Lehnste diesen Satz innerlich ab? Gut. Dann hinterfragen wir das doch mal ein wenig. In jedem von uns steckt ein Künstler, findet Anne Hartig…
Haben Sie schon einmal Kinder dabei beobachtet, wie sie malen? Haben Sie schon einmal darüber gestaunt, wie schnell sie Lieder mitsingen, sei es richtig oder falsch, auf jeden Fall aus vollem Herzen? Oder Geschichten erzählen… Was plappern die so vor sich hin. Was für wilde Geschichten erfinden sie – einfach so?
Wie oft höre ich andererseits von denen, die schon ein paar Jahrzehnte länger kreativ sein könnten: „Einen Song schreiben, das klingt ja mal hoch interessant. Für mich ist das aber nichts, ich bin nicht kreativ.“ Meistens verbunden mit: „…leider!“ Was können Kinder, was wir, Erwachsene, gebildete und erfahrene Persönlichkeiten, meist nicht können? Oder glauben wir vielleicht einfach nur, wir könnten das nicht?
Warum glauben wir, wir wären nicht kreativ? Und dann auch noch Künstler? Was hat ein Unternehmen von kreativen Künstlern als Mitarbeitern? Hier ein paar Antworten.
1. Was ist Kreativität?
Das lateinische Creare bedeutet erschaffen und hervorbringen, aber auch bewirken. Kreativität bewirkt etwas, in uns und um uns herum. Durch das Erschaffen von etwas Neuem fügen wir der Gesellschaft, der Kultur etwas hinzu, wir bereichern sie. Aber der kreative Prozess bewirkt auch etwas in uns. Das berühmte Flow Erleben. Wir vergessen die Zeit, wir konzentrieren uns mühelos, oft auch über viele Stunden hinweg, ohne jede Anstrengung.
Wir haben das Gefühl, immer so weiter machen zu können und vergessen alles um uns herum. Und wir fühlen uns in einer Art und Weise lebendig, die durch in unserer Gesellschaft so viel stärker geförderte Tätigkeiten, wie den Konsum materieller oder auch kultureller Güter, nicht ansatzweise erlebt werden kann.
2. Warum glauben wir, wir wären nicht kreativ?
Hier bietet sich in meinen Augen ein kleiner Abstecher in die Bildungsgeschichte an. Wir alle haben eine jahrzehntelange Karriere im Bildungssystem hinter uns, einige sind noch mitten drin, es werden immer mehr, denn lebenslanges Lernen ist State oft the Art. In was für einem System bewegen wir uns da eigentlich? Welche Ziele hat die (lebenslange) Bildung?
Wilhelm von Humboldt, als prominenter Vertreter vieler gelehrter, idealistischer Visionäre, der selbst übrigens keine öffentliche Schule besucht hatte und auch den Universitäten gegenüber eine kritische Distanz besaß, betonte, dass es bei Bildung nicht um empirisches Wissen gehen könne, da es doch hier um die Vervollkommnung der Persönlichkeit gehe.
Vervollkommnung der Persönlichkeit also… Oder doch eher Empirie? Und wie steht es um ökonomische Interessen? Werden wir in der Schule für das Leben in all seinen Facetten vorbereitet oder für den Einsatz im Beruf? Lernen wir bewussten Umgang mit anderen und mit uns selbst, mit unseren Emotionen, Motiven, mit unseren Gedanken? Oder lernen wir viel über Konformität, Wettkampf und Leistungsdruck?
“Fragen über Fragen…”
Sind diese Lerninhalte förderlich für die persönliche Entwicklung, für die Entfaltung von ganz eigenen und für die Gesellschaft vielleicht auf den ersten Blick nutzlosen Fähigkeiten und Fertigkeiten?
Wo ist hier der Platz für Kreativität? Haben wir sie also gepflegt in den letzten Jahren und Jahrzehnten unseres Lebens? Oder blieb das einigen wenigen Vorbehalten, denen in ihrer Umgebung eine Karriere in der Kunst zugebilligt wird? Und welchen Gesetzen unterliegen künstlerische Karrieren? Fragen über Fragen…
3. Und dann auch noch Künstler?
Wer ist ein Künstler? Wen betrachten wir warum als Künstler? Sind die quasi jederzeit fehlerfrei spielenden und die virtuos interpretierenden Instrumentalisten klassischer Werke Künstler? Oder sind sie zum größten Teil Kunsthandwerker? Oder war Beuys Künstler? Oder sind beide Künstler?
Und was ist mit meiner Oma? Die mit 60 Jahren ihre in Zeiten des Krieges an der Kunsthochschule an den Nagel gehängte Ausbildung wieder aufgenommen hat und dann 30 Jahre ganz für sich wunderschöne Gemälde auf die Leinwand brachte? Übrigens Kopien von Künstlern, die sie inspiriert haben…
“… an den Nagel gehängt”
Auch hier tun sich wie überall, betrachtet man eine Frage näher, Untiefen auf. Mitunter durch jahrhundertelange Tradition eingelebte und von uns zumeist hinterfragt übernommene Pauschalisierungen und Vorurteile. Woran messen wir denn nun einen Künstler? An der jahrzehntelangen harten Ausbildung an unseren Kunsthochschulen und bei etablierten privaten Dozenten?
An der Kreativität der Werke? An der Ästhetik der Werke? An den Fähigkeiten der Selbstvermarktung des Künstlers? Ist ein wahrer Künstler nur der, der von seinem Schaffen seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Oder gar das Gegenteil? Muss wahre Kunst brotlos bleiben?
Braucht es ein besonderes Talent um Künstler zu werden? Sind diese besonderen Talente eine Seltenheit? Und warum? Ist das genetisch bedingt? Unterliegt auch dieses Geschenk des Lebens der in unserer Gesellschaft als selbstverständlich angesehenen sogenannten Knappheit der Güter?
Oder irren wir uns da? Warum stelle ich hier überhaupt all diese Fragen? Was hat das mit Personalpolitik zu tun? Beantworte ich heute überhaupt einmal irgend eine Frage? Nein. Denn Fragen schaffen Raum für neue Perspektiven. Antworten schließen Räume, da sie anderen möglichen Antworten den Platz nehmen.
4. Kreative Künstler als Mitarbeiter?
Nur mit einer Tendenz möchte ich diesen Beitrag schließen. Ich traue es Unternehmen durchaus zu, dass sie, wenn auch langsamer als sich das sicher viele Menschen wünschen würden, auf realer Ebene beginnen, ihren Faktor Humankapital als das zu betrachten, was er ist. Die Chance, in Zeiten des immer schneller werdenden Wandels, Gestalter zu bleiben anstatt in panischen Reaktionismus zu verfallen und damit den langfristigen Erfolg des Unternehmens Unternehmen zu gefährden.
Über die Autorin: Anne Katrin Hartig arbeitet beim Label ADD Music. Ihr Credo? “Musik berührt. Gemeinsam erschaffene Musik macht Sie zu Verbündeten.”
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