Viele Journalisten verschreiben sich ihm, manche Blogger vermissen ihn – und andersrum: „Qualitätsjournalismus“. Als einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellt sich Werner d’Inka täglich aufs Neue vor diese Herausforderung, Richtlinien für das Handwerk des Journalisten zu formulieren…
Werner d’Inka: Moralische Grundsätze sind dabei genauso wichtig wie handwerkliche Fähigkeiten. Denn „Journalismus zieht Wichtigtuer und Schaumschläger an,“ behauptet Werner d’Inka – im Interview erklärt er was er damit meint und was er selbst unter Qualitätsjournalismus versteht.
Qualitätsjournalismus pauschal zu definieren würde Seiten füllen, deshalb ein aktuelles Beispiel: Schuldenkrise in Griechenland, der Staat steht vor dem Bankrott, der gesamte Euro-Raum ist bedroht. Einerseits soll der Journalist nun keine Panik schüren, andererseits keine Informationen zurückhalten.
Karriere Einsichten: Wie sieht Qualitätsjournalismus in dieser sensiblen Situation aus?
Werner d’Inka: Ich glaube da ist es am offensten und am ehrlichsten wenn auch wir (Journalisten) nicht so tun als wüssten wir die Lösung. Zunächst sollten wir berichten was Sache ist und die Vorschläge zeigen, die es aus der Ökonomie und der Politik gibt.
Karriere Einsichten: Also eine Faktengrundlage schaffen, damit das Publikum weiß: Um was geht es eigentlich?
Werner d’Inka: Weil die Sachlage so komplex ist sollten wir uns aber mit Vorschlägen zurückhalten, die den Eindruck erwecken, wir wüssten es besser. Es gibt wahrscheinlich zwei große Denkschulen: Aus rein ökonomischer Sicht müsste man wohl sagen eine Umschuldung Griechenlands ist unvermeidbar.
Die politische Sicht ist, dass der Zusammenhalt in der EU ein hohes und wichtiges Gut ist – zu einer Gemeinschaft gehört es auch, dass man ein Land nicht im Stich lässt. Zwischen diesen beiden Polen wird die Entscheidung wohl fallen und wir als Journalisten sollten versuchen das mit Sachaufklärung und kompetenter Begleitung zu erläutern, viel mehr können wir nicht tun. Wir sollten uns auf keinen Fall an die Stelle der Politik setzen.
Schnelligkeit im Netz
Werner d’Inka: Ein Faktor, der vor allem in einer Zeit des boomenden Online-Journalismus immer wichtiger zu werden scheint ist Schnelligkeit. Es gibt Zeitungen, die ihre Volontariatsanwärtern zwei Stunden Zeit geben um eine Reportage zu schreiben, samt Themenfindung, Recherche und Anfertigung.
Karriere Einsichten: Kann man so die Qualität eines Journalisten messen?
Werner d’Inka: Man erkennt zumindest einige Aspekte, denn im Tagesjournalismus geht es auch immer um Aktualität und Schnelligkeit. Bei einer Tageszeitung kommt es schon auch darauf an unter großem Zeitdruck ein vertretbares Ergebnis zu produzieren – das gilt für alle Ressorts.
Bei einem Champions League Spiel zum Beispiel, das um 22:45 Uhr endet, sollten sie schon in der Lage sein eine Viertelstunde nach Abpfiff druckbare 80-90 Zeilen produziert zu haben. Insofern ist die Fähigkeit auch unter Zeitdruck gründlich zu arbeiten sicher ein wichtiges Eignungskriterium, aber nicht das Einzige.
Karriere Einsichten: Dieser Zwiespalt aus Schnelligkeit und Gründlichkeit stellt einen Journalisten doch vor eine Art Dilemma. Wer zu schnell veröffentlicht vergisst womöglich wichtige Aspekte, wer zu lange braucht überlässt der Konkurrenz das Feld und nimmt womöglich einen finanziellen Schaden für das ganze Unternehmen in Kauf…
Werner d’Inka: Ja das trifft zu, in einem tagesaktuellen Medium kann man eben nicht sagen: Ach wir wollen noch mehr wissen wir warten jetzt mal noch zwei Tage. Dieser Zwang zur Aktualität ist schon da, dem kann man sich nicht entziehen. Ich vergleiche das immer mit dem Krankenwagenfahren. Wenn Sie als Fahrer einen Schwerverletzten im Krankenwagen haben, dann müssen sie schon darauf achten, dass sie schnell ins Krankenhaus kommen, jedoch nicht so halsbrecherisch fahren, dass auf der Fahrt ein neuer Unfall passiert.
Bleiben wir im Bereich des tagesaktuellen Geschäfts: Nachrichtenseiten wie Spiegel Online werden zunehmend beliebter – eben weil aktueller – bekommen aber Konkurrenz durch private Blogs. Prinzipiell kann heutzutage jeder Amateur im Internet zum Autor werden und einen eigenen Blog betreiben.
Karriere Einsichten: Sehen Sie das als Belebung des Marktes oder eher als Inflation von journalistischen Produkten?
Werner d’Inka: Letztendlich ist es wohl eher eine Belebung – diese Blogosphäre kann schon eine Bereicherung sein, wenn sie uns gelegentlich den Spiegel vorhält, uns zeigt, dass man Stoffe auch anders präsentieren kann. Aber diese Blogosphäre ist kein Ersatz für den traditionellen, professionellen Journalismus.
Mehr als nur Geschichtchen
Werner d’Inka: Zum Journalismus gehört eben mehr als nur Geschichten erzählen und viele Blogger erzählen Geschichten. Geschichten erzählen ist schön im Hyde Park oder in der Kneipe oder im Freundeskreis, aber zu Qualitätsjournalismus gehört eben noch mehr. Dazu gehört es Informationen zu prüfen, Nachricht von Meinung zu trennen, dazu gehört es eigene Liebhabereien von öffentlichen Angelegenheiten zu trennen. Verglichen damit ist die Blogosphäre durchaus eine Bereicherung aber sie ist etwas anderes, sie tritt nicht an die Stelle des Journalismus, sie ergänzt.
Karriere Einsichten: In einem Artikel der Zeitschrift „Der Journalist“ stand einmal, dass jeder Journalist – wenn er etwas auf sich hält – seinen eigenen Blog schreiben sollte. Auch um regelmäßig publizieren zu können. Ist die Masse an veröffentlichtem Material tatsächlich so wichtig?
Werner d’Inka: Nein, man muss ja auch mal an das arme Publikum denken. Vieles davon ist auch Wichtigtuerei, ich will nicht von jedem Kollegen auch noch einen Blog lesen. Ich finde, dass zu einem guten Journalisten auch ein bisschen Zurückhaltung gehört. Dieser Beruf zieht leider auch allerlei Wichtigtuer und Schaumschläger an. Die elektronischen Medien wahrscheinlich sogar noch mehr als die Zeitung.
„zivilisatorischer Fortschritt“
Wir müssen uns aber immer darüber im klaren sein, dass wir nicht die Hauptpersonen sind. Wir sind Treuhänder unseres Publikums und gehören nicht vorne auf die Bühne. Unsere Aufgabe ist eher, mit Distanz nach allen Seiten zu berichten, das Wichtige sind die Themen und die Personen über die wir berichten. Wenn sich jetzt jeder noch in seinem eigenen Blog zur Geltung bringt, über das angestammte Medium hinaus, dann sehe ich den zivilisatorischen Fortschritt darin nicht.
Neben Schaumschlägern und Selbstinszenierern gibt es auch Blogger, die tatsächlich etwas zu sagen haben – der arabische Frühling mal als Beispiel. Blogs, Twitter und soziale Netzwerke trugen die aufkeimende Revolution voran.
Karriere Einsichten: Wäre es für ein Medium wie die FAZ nicht ein Gewinn solche Blogger als Auslandskorrespondenten anzuwerben? Man würde Kosten einsparen und näher an der Quelle sitzen.
Werner d’Inka: Pauschal würde ich nicht dazu raten. Wenn wir Leute als Korrespondenten ins Ausland schicken, dann haben wir diese Kollegen über Jahre bei uns in der Redaktion arbeiten sehen. Wir wissen was sie können, wie sie ticken, wie sie sich in einer schwierigen Situation möglicherweise verhalten.
Karriere Einsichten: Sie sind also berechenbarer…
Werner d’Inka: Ja, aber im positiven Sinne, im Sinne von verlässlicher. Menschen, die in einem Land näher an den Informationen sitzen, also die angesprochenen Blogger zum Beispiel, kennen wir oft nicht. Wir wissen nicht ob es neutrale Beobachter sind oder Leute, die eine eigene Agenda haben, die vielleicht Teil eines politischen Spiels sind. So wichtig diese neue Welt als Informationsquelle ist, so wichtig ist es, dass diese Informationen genau geprüft werden.
Spezialisten gesucht
Werner d’Inka: Natürlich sind wir zunächst geneigt zu glauben, was aufständische Blogger in der arabischen Welt schreiben. Aber auch die sind möglicherweise eine Partei und haben nur einen Teil des Ereignisses mitbekommen über das sie schreiben. Für uns gilt: Auch diese Informationen müssen vorurteilsfrei geprüft werden, da gibt es keinen Sympathiebonus, obwohl es nahe läge zu sagen: Die stehen auf der richtigen Seite, denen glauben wir jetzt. Davon darf man sich nicht verrückt machen lassen.
Viele Blogger würden sicher gerne ihr Geld im Journalismus verdienen und es gibt viele Wege, die einen zum Journalisten machen können, dazu gehören heutzutage auch fast zwingend Praktika als Referenz.
Karriere Einsichten: Sie sehen die Branche von der anderen Seite – wie wichtig und wie effektiv sind solche Praktika für einen Karriereweg als Journalist, kann ein begabter Schreiber da nicht drauf verzichten?
Werner d’Inka: Nein, denn ein Praktikum ist auch für den jungen Menschen eminent wichtig um sein Urteil zu schärfen ob der Beruf tatsächlich der Richtige ist. Es ist auch für die Redaktionen wichtig Praktikanten zu beschäftigen, denn so hat man eine erstklassige Rekrutierungsquelle. Ich könnte ihnen aus dem Stand 3-5 Namen nennen, die wir eingestellt haben, weil wir uns daran erinnert haben, dass sie vor einigen Jahren mal Hospitant bei uns waren und einen guten Eindruck hinterlassen haben. Plötzlich suchen wir jemanden mit einer bestimmten Qualifikation, jemand der sich beispielsweise mit Arabistik oder aber mit Kommunalfinanzen auskennt.
Karriere Einsichten: Das heißt, sie gehen dann auch aktiv auf diese Leute zu?
Werner d’Inka: Ja, wir melden uns dann bei denen. Insofern ist so eine lose Bindung, wie sie durch ein Praktikum oder eine Hospitanz entsteht für beide Seiten eine wichtige Erfahrung, ich kann nur dazu raten diese Erfahrung zu machen.
Karriere Einsichten: Wie verlief ihr Weg in die Journalismus-Branche?
Werner d’Inka: Vorneweg: Es gibt nicht einen einzigen vordefinierten Weg um Journalist zu werden, es gibt keine bestimmten Fächer, die man studiert haben muss. Wenn sie 10 Journalisten fragen bekommen sie 10 verschiedene Antworten. Ich habe bei unserer Schülerzeitung mitgearbeitet, am Hans Thoma Gymnasium in Lörrach, habe dann in Mainz Publizistikwissenschaft und in Berlin zwei Semester Politik und Geschichte studiert und als ich wieder nach Mainz kam, fand ich am Schwarzen Brett einen Aushang, auf dem hat die FAZ Mitarbeiter gesucht.
Es ging um ein Projekt mit dem Namen „Videotext,“ das war Ende 70er, Anfang der 80er Jahre. Nach ein paar Tagen hing das immer noch, ich habe mich beworben und zu meiner Überraschung wurde ich auch genommen, alles weitere ist bekannt – so geht das dann. Wobei ich sagen muss: Das ist 30 Jahre her, sie haben es nun wahrscheinlich schwerer. Im Journalismus gibt es heute nicht mehr Stellen in der Fülle wie damals, weder bei den großen Sendern, noch bei den Zeitungen.
Über den Autor: David Seitz steckt selbst noch in journalistischen Kinderschuhen, als Teil der vielzitierten „Generation Praktikum.“ Beim Interview mit FAZ Herausgeber Werner d’Inka stellte er fest: Auch die ganz Großen kochen nur mit Wasser…
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