Ohne Vertrauen läuft in unserer Gesellschaft eigentlich nichts. Nur wo es Vertrauen gibt, gibt es Investitionen in die Zukunft. Matthias Nöllke beschreibt die zwei Seiten der Medaille…
Vertrauen ist schon eine feine Sache. Es macht unsere Welt so viel einfacher. Wir ersparen uns Kontrollen, wenn wir vertrauen. Wir müssen nicht alles festlegen und an jede Eventualität denken.
Vertrauen vermindert Reibungsverluste, es ist das gesellschaftliche „Schmiermittel“, das dafür sorgt, dass es in unserer Gesellschaft einigermaßen „rund läuft“. Wenn es fehlt, müssen wir uns mit aufwendigen Prozeduren absichern. Oder wir lassen gleich die Finger davon, weil der Aufwand viel zu hoch wäre.
Zugleich beschleunigt Vertrauen die Abläufe und Prozesse im Unternehmen. „Nichts ist schneller als Vertrauen“, bemerkt der Managementberater Stephen M. R. Covey. Vertrauen gilt als wichtiger Wettbewerbsvorteil, manche meinen, es sei der wichtigste überhaupt.
Zumal sich Vertrauen nicht so leicht nachmachen lässt wie ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung, die man dann ein bisschen billiger anbietet. Vertrauen gibt es nicht billig und nicht als Raubkopie.
Für Führungskräfte ist Vertrauen geradezu von herausragender Bedeutung. Und zwar gleich in zweifacher Hinsicht: Einmal müssen sie in der Lage sein, das Vertrauen ihrer Mitarbeiter zu gewinnen und zu erhalten. Nur dann sind diese bereit, ihnen zu folgen. Von sich aus.
Bereitschaft zum Vertrauen
Zugleich muss eine Führungskraft aber auch bereit sein, selbst Vertrauen zu schenken. Erst dadurch wird sie entlastet. Darüber hinaus stärkt Vertrauen die Leistungsfähigkeit. Wem vertraut wird, der traut sich selbst mehr zu. Und schließlich bindet Vertrauen die Mitarbeiter stärker an das Unternehmen oder zumindest an die Gruppe, die vertrauensvoll zusammenarbeitet.
Wer Leute um sich hat, denen er vertrauen kann, trägt sich nicht mit Abwanderungsgedanken.
Das ist allerdings nur die Schokoladenseite. Wenn alles glatt geht, dann macht Vertrauen schnell erfolgreich. Doch unsere Beziehungen, in der Arbeitswelt zumal, sind auch von Neid und Misstrauen geprägt. Von Verleumdungen, schmutzigen Tricks und blanker Rücksichtslosigkeit.
Daher ist es keine gute Strategie, möglichst viel Vertrauen zu spenden und von den anderen einzufordern. Dies kann sogar ein verhängnisvoller Fehler sein. Für Unternehmen und Entscheider kommt es vielmehr darauf an, pfleglich mit dieser sensiblen Ressource umzugehen.
Das kann durchaus auch heißen, Vertrauen zu begrenzen, nicht zu vertrauen, misstrauisch zu sein, ja im Einzelfall sogar: Vertrauen zu verlieren und professionell mit diesem Vertrauensverlust umzugehen.
Vertrauen verpflichtet
Vertrauen ist keineswegs so harmlos und so sonnig, wie es scheint. Es schafft Verpflichtungen und Erwartungen, denen manche nicht gewachsen sind. Ein Übermaß an Vertrauen kann den anderen auch überfordern und dadurch entmutigen.
Darüber hinaus kann Vertrauen auch bequem machen. Und zwar beide Seiten: Wer vertraut, kümmert sich nicht mehr um die Angelegenheit. Der andere wird es schon richten. Und wem Vertrauen geschenkt wird, der strengt sich nicht besonders an – wenn er weiß: Der andere schaut ja ohnehin nicht so genau hin. Vertrauen muss sich daher immer wieder bewähren.
Das bedeutet keineswegs, dass durch die Hintertür wieder Überwachung und Kontrolle eingeführt werden sollen. So etwas vernichtet Vertrauen. Einer viel zitierten Definition zufolge besteht Vertrauen gerade darin, sich verletzbar zu machen. Mit anderen Worten: Wem kein Schaden zufügt werden kann, der vertraut auch nicht.
Je größer der mögliche Schaden, umso stärker das Vertrauen. Buchstäblich stärker. Denn wenn viel auf dem Spiel steht, entfaltet Vertrauen eine ganz andere Kraft und Bindewirkung, als wenn es letztlich um nichts geht. Oder wenn andere bereitstehen, die Sache auszubügeln.
Und doch muss am Ende immer ein wohlbegründetes Urteil stehen. Wir sind es dem anderen einfach schuldig, dass wir seine Gegenleistung nicht bloß hinnehmen, sondern auch beurteilen. Wie kompetent und fair wir dabei vorgehen, das hat starken Einfluss darauf, wie sich unser Vertrauensverhältnis künftig entwickelt.
“Nicht so genau hinschauen”
Vor allem im Berufsleben gibt es gute Gründe, Vertrauen zu begrenzen. Ein allzu tiefes Vertrauensverhältnis schafft Abhängigkeit. Darüber hinaus schließt es diejenigen aus, die (noch) nicht dazugehören, die Ihnen aber von Nutzen sein könnten. Noch dramatischer können sich die Dinge entwickeln, gerät man in die sogenannte Vertrauensfalle.
Es ist ein häufiges Phänomen: Haben wir erst einmal Vertrauen gefasst, sind wir nicht so leicht wieder davon abzubringen. In milder Form ist das unvermeidlich und völlig in Ordnung.
Jemandem zu vertrauen, heißt ja: erst mal nicht so genau hinzuschauen. Der andere bekommt seine Chance. Würde man jeden sofort fallen lassen, sobald irgendwo Verdächtigungen auftauchen, könnte sich kein Vertrauen bilden.
“Blind für die Realität?”
Der Haken ist nur: Hat sich ein Vertrauensverhältnis erst einmal bewährt und steht sehr viel auf dem Spiel, haben wir die Tendenz, auch stichhaltige Hinweise auf die fehlende Vertrauenswürdigkeit zu ignorieren. Wir werden regelrecht blind für die Realität.
Die Sozialpsychologie kennt die Erklärung für diesen weit verbreiteten Effekt: Wir schützen unser Selbstbild. Denn wem wir vertrauen und worauf wir unser Vertrauen gründen, das hat sehr viel mit uns selbst zu tun und mit der Art und Weise, wie wir durch unser Leben navigieren. Jeder erlittene Vertrauensbruch fällt also auch auf uns selbst zurück.
Vertrauensverlust, ein unkalkulierbares Risiko
Ein letzter Punkt: Es ist ein Irrtum, anzunehmen, Führungskräfte dürften um keinen Preis Vertrauen verlieren. Wohlverstanden, damit ist nicht der Vertrauensbruch gemeint. Aber gerade Menschen, die Verantwortung wahrnehmen, gehen das Risiko ein, auch einmal Vertrauen zu verlieren.
Das bedeutet gerade nicht, dass sie sich fragwürdig verhalten. Manchmal ist ein Vertrauensverlust unvermeidbar, in einzelnen Fällen ist er sogar notwendig. Zum Beispiel wenn der andere überzogene Erwartungen hegt oder einem etwas zumutet, das man gar nicht leisten will.
Dann verliert man zwar sein Vertrauen, doch genau das kann ganz und gar angemessen sein. Man darf sich nicht ausschließlich nach den Erwartungen derer richten, die einem vertrauen.
Vertrauen geht auch verloren, wenn eine Entwicklung eintritt, mit der man nicht gerechnet hat. Man hat ein Projekt gefördert, das nun gescheitert ist. Oder hat sich festgelegt, nach bestem Wissen eine Entscheidung getroffen, die sich später aber als falsch herausstellt. Resultat: Vertrauensverlust.
Loyalitätskonflikte aushalten
Eine dritte Ursache: Man gerät in einen Loyalitätskonflikt. Zwei Seiten schenken einem Vertrauen, man kann aber nur einer Seite gerecht werden und geht das Risiko ein, die andere zu enttäuschen. Vierte Ursache: Man wird für einen Fehlschlag verantwortlich gemacht, an dem man direkt gar nicht beteiligt war.
Womöglich wurde einfach jemandem vertraut – und sein Versagen fällt jetzt auf einen selbst zurück. Und schließlich verlieren viele auch dadurch Vertrauen, dass andere ihnen sehr abträgliche Dinge nachsagen. Durch üble Nachrede.
Ein professioneller Umgang mit diesem Thema beginnt damit, dass man den Vertrauensverlust überhaupt zur Kenntnis nimmt und die Sache weder beschönigt noch dramatisiert.
Vielfach lässt sich verlorenes Vertrauen durch integres Verhalten wieder zurückgewinnen, wenn auch nicht sofort. In anderen Fällen muss man sich darauf einstellen, dass man das Vertrauen der Gegenseite verloren hat. Auch das ist nicht immer das Schlechteste. Ein Vertrauensverlust kann sogar regelrecht befreiend wirken – denn es können sich dadurch neue Möglichkeiten eröffnen.
Über den Autor: Matthias Nöllke arbeitet als Journalist und Referent. Hinzu kommen einige Sachbücher und Ratgeber. Übrigens: Dieser Artikel wurde zuerst im Querdenker-Magazin veröffentlicht, mit dem Karriere-Einsichten zusammenarbeitet…
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