Als Andreas Krieger noch Heidi Krieger war, glaubte sie, Doping sei in der DDR nur in Einzelfällen vorgekommen. Wenn jemand etwas anderes behauptete, konnten Fäuste fliegen. Propaganda sei das. Niklas Schenck berichtet…
Nichts mehr als ein Versuch, die DDR schlecht zu machen, sei das. So sagte sie es noch 1991 zu ihrer Mutter, fünf Jahre nachdem sie in Stuttgart die Europameisterschaft im Kugelstoßen gewonnen hatte. Ihre Mutter hatte sie wegen eines Buches der früheren Westsportlerin Brigitte Berendonk gefragt. Es sollte Krieger noch einholen.
Denn kurz darauf war Heidi Krieger am Ende, die FAZ titelte: “Das velohrene Leben der Heidi K”. In diesem Körper konnte sie nicht mehr leben, so viel wusste sie. Was sie nicht wusste: Es gab einen Ausweg. Krieger wollte sich umbringen.
Nur ein Zufall hielt sie ab, und sie entschied sich, ihr Leben umzukrempeln. Zehn Jahre später war Heidi Krieger tot. Als Andreas Krieger gab sie sich die Chance auf einen zweiten Versuch.
Geschlechtsumwandlung, letzter Ausweg
Der Arzt reagierte alarmiert. “Haben Sie in Ihrer Sportkarriere Dopingmittel bekommen?”, fragte er. Nein, sagte Krieger wieder. “Sind Sie sicher?”, insistierte der Arzt, Krieger begann nachzudenken.
Der Heidelberger Zellbiologe Werner Franke, Ehemann von Brigitte Berendonk, verschaffte ihm Gewissheit. Er hatte nach der Wende Doktorarbeiten und Habilitationsschriften aus einer DDR-Kaserne in Bad Saarow sichergestellt, die flächendeckendes Doping in der DDR dokumentierten.
“unterstützende Mittel”
Der Staatsplan 14.25 sah “unterstützende Mittel” für bis zu 10.000 Athleten vor, und wie so viele hatte Heidi Krieger seit ihrem 16. Lebensjahr Oral-Turinabol bekommen. Ohne ihr Wissen, als “Sportlerin 54”, eine Nummer auf dem Weg zu Ruhm und Ehre für ihren Staat.
Doping, auch aus der Hausapotheke
Das Mittel, ein männliches Sexualhormon, gelangte als “blaue Pille” zu trauriger Berühmtheit. Kriegers Trainer Willi Kühl steigerte die Dosierung langsam, im achten Jahr waren es 2.590 Milligramm – doppelt so viel wie der Kanadier Ben Johnson, der 1988 in Seoul überführt wurde. Krieger war außer sich. Wie hatte sie so blind vertrauen können. Doping im Leistungssport.
Dann: “Ich wollte das nicht sehen”, sagt Andreas Krieger heute. Nun muss er die gleichen Hormone schlucken wie damals, um als Mann leben zu können. Spätfolgen der jahrzehntelangen Medikation sind wahrscheinlich. Krieger will es nicht wissen. Er will leben. “Ich will diese Typen nicht mehr als Trainer in Verantwortung sehen”, sagt er, “aber ich will auch nicht mehr wegsehen”.
Mehr als nur Laufen?
Noch ein anderer Schauplatz. Nada-Chef Armin Baumert im Interview. Seit zwei Jahren arbeitet er als Deutschlands oberster Anti-Doping-Funktionär. Baumert, früher selbst ein Weitspringer von Format. Er redet über Pauschalurteile, intelligentere Dopingkontrollen und die jüngsten Konflikte mit Sportverbänden.
Wir seien, sagt Baumert, als Deutsche gut beraten, nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen: “Es ist eine historische Tatsache, dass Deutschland, Ost wie West, das Doping in alle Welt exportiert hat”, sagte er Niklas Schenck und Simon Kremer.
Über den Autor: Niklas Schenck war gebannt von der Ruhe, mit der Andreas Krieger ihm seine Geschichte erzählte. Aber auch von der Bestimmtheit, mit der er frühere DDR-Trainer auffordert, sich zu Verbrechen ihrer Vergangenheit zu bekennen. Das sollte auch für Journalisten gelten…
Artikelbild: AlexMaster/ Shutterstock
Hinweis der Redaktion: Die Audioslideshow von Niklas Schenck, ausgezeichnet mit Platz 2 beim Axel-Springer-Preis 2010, erschien ursprünglich auf mehr-als-laufen.de, einem Projekt der journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zur Zeit der Leichtathletik-WM in Berlin im August 2009.