Es ist mal wieder soweit: Die Firma wird um-organisiert. Weit mehr als nur Formsache. Ein neuer Eigentümer steht vor der Tür, die Fusion mit der Konkurrenz ist beschlossen…
Für die meisten Beschäftigten sind sie mit dem Umzug in ein anderes Büro verbunden. Dann geht es darum: Wer wo sitzt – oder besser: sitzen darf, ist nicht nur eine Frage der Funktionalität, sondern auch Ausdruck persönlicher Wertschätzung. Für den Pförtner und die Empfangsdame ist es am leichtesten: Sie sitzen an der Pforte – oder am Empfang, ein Umzug ändert daran wenig.
Auch die Versandabteilung eines Unternehmens bleibt Versandabteilung, und so setzt es sich bei grundlegenden Firmenfunktionen fort. Viel kniffliger wird die Sache bei den klassischen Büro-Arbeitsplätzen. Klar, einzelne Abteilungen werden üblicherweise auch in räumlichem Zusammenhang platziert und nicht kreuz und quer über ein Bürogebäude verteilt; doch wer genau an welcher Stelle sitzt – oder sitzen darf – sorgt oft schon während der Umzugsplanung für Aufregung. Und was da alles schief gehen kann, sei an folgendem – realen – Beispiel aufgezeigt.
Planung unter Ausschluss der Firmenöffentlichkeit
Der Umzug der Firma – nennen wir sie Meyer-Müller-Schulze AG – war folgerichtig. Das Unternehmen bestand aus diversen Tochtergesellschaften, die an unterschiedlichen Standorten in derselben Stadt verteilt waren und nun an einem Punkt konzentriert werden sollten. Beste Citylage sollte es sein, die Firma bietet Dienstleistungen an, eine verkehrsgünstig gelegene Gewerbefläche braucht es nicht.
Dem Firmenchef, selbst ernannter Ästhetiker, schwebte die komplette Restaurierung eines stattlichen Altbaus vor – koste es, was es wolle, Geld spielte keine Rolle. Tatsächlich war das Objekt der Chef-Begierde bald gefunden, die Planungen konnten beginnen. Und wie es sich gehört, wurde eine „Arbeitsgruppe Umzug“ eingerichtet, mit einer „Untergruppe Raumplanung“. Immerhin galt es, 200 Köpfen neue Schreibtische zuzuweisen, und das sollte wohl bedacht werden. Sollte, wohlgemerkt.
Umzug ja – aber wann?
Ein Jahr Umbauzeit war angesetzt, die Mietverträge für die bisherigen Standorte wurden mit Blick auf den Umzugstermin flugs gekündigt. Und da begannen auch schon die Probleme: Während der Restaurierung stießen die Bautrupps auf immer neue, nicht geplante Hindernisse. Mal waren Decken und Wände, die versetzt werden sollte, aus „unkaputtbarem“ Beton oder stellten sich wider Erwarten als stützendes Tragwerk heraus, mal konnten die Ver- und Entsorgungsleitungen nicht so platziert werden, wie es vorgesehen war.
Kurzum: Der Bau verzögerte sich. Abgesehen davon, dass sich jede Terminverschiebung sogleich wie ein Lauffeuer herumsprach und stets zum Gesprächsthema Nummer eins bei allen Beschäftigten wurde, winkte der Bauherr – also der Chef – stets ab: „Keine Probleme, das wird schon.“ Im kleinen Kreis freilich fluchte er, was das Zeug hielt, doch das waren seine engsten Mitarbeiter eh schon gewohnt.
Die Umzugsgruppe und die Raumplaner, ausschließlich rekrutiert aus der Personalabteilung, mussten ihre Vorstellungen wöchentlich revidieren. Dann endlich war es soweit: Belegschaftsversammlung, eine Woche vor dem endgültigen Umzugstermin, nach acht Monaten Verzögerung.
Sekt und Häppchen als Schocktherapie
Der Vorstand hatte eigens einen Saal in einem benachbarten Vier-Sterne-Hotel angemietet, ob des großen Ereignisses gab es Sekt und leckere Häppchen. Entlang der Wände hingen großformatige Etagenpläne mit der vorgesehenen Raumaufteilung. Der Chef lachte jovial und sah sich am Ziel seiner architektonisch-ästhetischen Selbstbestätigung – doch vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern blieben die Häppchen im Halse stecken. „Was soll denn das?“, empörte sich eine Marketing-Mitarbeiterin mit Blick auf ihren neuen Arbeitsplatz.
„Und die? Warum kriegt die ein eigenes Büro?“
Bisher hatte sie ein eigenes Büro, nun war Großraum angesagt, mit fünf anderen Kollegen. „Und die? Warum kriegt die ein eigenes Büro? Die hat ja nicht einmal meine Gehaltsstufe!“ Die Abteilungsleiterin versuchte zu beschwichtigen: „Das liegt daran, dass Ihre Kollegin viel Ruhe für Ihre Arbeit braucht, Sie wissen doch, diese kniffelige Pflege unseres Internetauftritts…“ – „Und ich? Brauche ich etwa keine Ruhe für die Gestaltung unserer Broschüren?“ Schweigen. Vor einem anderen Plan starrten zwei Akquisiteure ratlos auf die Zeichnungen.
Der eine von ihnen wähnte sich stets als liebstes Kind seines Vorgesetzten – und sollte nun ganz weit weg vom Chefbüro sitzen, am Ende des Flures, genauer: „dead end“. Das Privileg des Chef-Nachbarbüros fiel dem Neuling zu, und von dem war doch „sowieso klar, dass der sich eingeschleimt hat“. Selbst der Vorstandsassistent fiel aus allen Wolken. Die ein oder anderen Details hatte er schon frühzeitig mitbekommen, klar, dass er gleich neben dem Chef sitzen sollte. Doch nun stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass sein Arbeitsraum nur halb so groß wie ursprünglich geplant ausgefallen war.
Der Personalchef, der seinen Unmut bemerkte, versuchte zu beschwichtigen: „Sie wissen doch, unser gemeinsamer Boss braucht viel Platz, und den konnte er nur an Ihrem Büro abzwacken.“ Und überhaupt: Warum lag das Büro nun nicht wie geplant links, sondern rechts vom Chefrefugium? Dort, wo ob des verwinkelten Altbaus den ganzen Tag kein direkter Sonnenstrahl das Gemüt erfrischen konnte. Absicht? Sollte der Assistentenstern gerade am Sinken sein?
Umzug als Motivationsbremse
Am Ende fand sich kaum jemand dort wieder, wo er oder sie es sich vorgestellt hatte. Die „Personaler“ hatten wenig Rücksicht genommen auf individuelle Neigungen und Notwendigkeiten, sie waren streng funktional vorgegangen, teilweise gar willkürlich, als sie keine – aus ihrer Sicht – besseren Lösungen finden konnten. Mit den Beschäftigten hatten sie im Vorfeld gar nicht erst gesprochen – auf Anweisung von oben. Der Firmenchef befürchtete ein heilloses Durcheinander und die „Niemals-Fertigstellung“ des Baus, wenn „alle mitreden“ dürften.
Nun hatte er einen anderen, ungewollten Zustand erreicht: Die meisten seiner Untergebenen waren unzufrieden und demotiviert, nutzen nun die Gelegenheit reichlichen Sektkonsums. Statt sie einzubinden, wurden sie ausgegrenzt. Der Versuch, über regelmäßige Informationsveranstaltungen den Stand der Dinge zu kommunizieren, wurde gar nicht erst unternommen. Und die Belegschaft wurde abgewertet, ob der Unterstellung, „nicht qualifiziert mitreden“ zu können.
Das Ende von Lied: Zehn Tage später war der Umzug abgeschlossen. Jeder, der sich nicht angemessen berücksichtigt fühlte, schaltete auf „Dienst nach Vorschrift“. Bis das Intranet nach vier Wochen verkündete: „Der Vorstand lädt alle Beschäftigten am kommenden Montag um elf Uhr zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Raumaufteilung ein. Wir möchten mit Ihnen über einige Änderungsvorschläge diskutieren.“
Zwei Wochen später begann der Umzug von vorne. Nun allerdings mit Beteiligung und im Sinne der gesamten Belegschaft. Ein Durcheinander, das nicht notwendig gewesen wäre – und doch in vielen Betrieben noch immer an der Tagesordnung ist.
Über den Autor: Lutz Ruminski fotografiert nicht nur gerne, sondern beobachtet Menschen bei ihrer Arbeit. Und dazu gehört in einer immer mobileren Arbeitswelt auch das Umziehen. Von A nach B. Und da bleibt er auch, in Bremen…
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