Mit dem Grundeinkommen wäre niemand zur Arbeit verpflichtet, bekäme aber genügend Geld zum Leben. Das Versprechen lautet 1.000 Euro für jeden Bürger, mindestens. Maria Henk und Jan Thomas Otte haben sich umgehört…
Monatlich und netto aufs eigene Konto? Maria Henk und Jan Thomas Otte haben unterschiedliche Personen dazu befragt.
Henning Marder ist selbstständiger Zimmermann. Er liebt seinen Job – und ist trotzdem für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wolfgang Meyer ist Professor am Institut für Sozialpolitik der Universität Hannover. Er ist gegen ein Grundeinkommen.
Marder: Was bedeutet Arbeit für Sie?
Meyer: Arbeit sehe ich im ökonomischen Sinne als Arbeitskraft.
Marder: Klar ist sie das im ökonomischen Sinne. Ich verbinde mit Arbeit aber vielmehr Spaß, Sinn und Ergebnis. Viele Menschen in Deutschland sehen das ähnlich. Sie arbeiten ehrenamtlich, übernehmen die Pflege von Familienangehörigen oder betreuen Kinder. Geld kriegen sie dafür meist nicht. Ein Grundeinkommen würde den Wert ihrer Arbeit mehr schätzen.
Meyer: Und wie hoch soll dieses Einkommen sein?
Marder: Möglich wären 1.875 Euro.
Meyer: 1.875 Euro? Solche Größenordnungen sind absolut irreal. Woher soll das Geld kommen?
Marder: Man könnte das Grundeinkommen ausschließlich über die Umsatzsteuer finanzieren.
Meyer: Eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer ist vollkommen unmöglich! Wie sollen wir das machen? In Europa gilt bei der Umsatzsteuer der Steuersatz des Landes, in dem das Produkt hergestellt wurde. Soll auf deutsche Waren 50 Prozent Umsatzsteuer erhoben werden?
Marder: Warum nicht?
Meyer: Das wäre ein riesiger Wettbewerbsnachteil auf dem europäischen Markt!
Marder: Man könnte das Grundeinkommen ja auch europaweit einführen.
Meyer: Das ist politisch irreal. Nein, die Finanzierung eines Grundeinkommens ist unmöglich. Selbst wenn über die Einkommenssteuer eine Finanzierung erfolgen würde, würden mehr Menschen in andere Länder abwandern.
Marder: Es wurde noch nie probiert.
Meyer: Wozu auch?
Marder: Aus Gründen der Menschenwürde. Die wird heutzutage nicht mehr gewährt, wenn der Staat in das Privatleben der Menschen eingreift. Arbeitslose müssen ihre Lebensverhältnisse offenlegen. Oft werden sie zu einer Beschäftigung gezwungen, die ihnen überhaupt nicht liegt. Das Grundeinkommen bekäme hingegen jeder, ohne dass er Nachweise erbringen muss.
Meyer: Niemand muss etwas erbringen. Man hat immer die Wahl. Somit ist es die Entscheidung jedes Einzelnen, ob er eine Arbeit aufnimmt oder nicht.
Marder: Doch nicht jeder kann wählen. In einigen Branchen gibt es nun einmal nicht genügend Arbeitsplätze.
Meyer: Es gibt die Ein-Euro-Jobs. Marder: Es ist erniedrigend, Menschen nur einen Euro für ihre Arbeit zu geben.
Meyer: Nein, es ist nicht erniedrigend. Ein-Euro-Jobs sollen Arbeitslose auf ihre Arbeitsmotivation testen. Nicht alle Menschen wollen arbeiten gehen. Und hier sehe ich ein großes Defizit an Ihrem Grundeinkommen, denn die Auszahlung ist ja an keinerlei Bedingungen geknüpft.
Marder: Darin sehe ich vielmehr einen Vorteil. Liegt nicht in der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens eine große Freiheit? Was würden Sie denn machen, wenn Sie ein Grundeinkommen hätten?
Meyer: Ich möchte meinen Lebensstandard erhalten und würde weiter arbeiten gehen.
Marder: Sehen Sie – ich auch. Nur mit einem freieren Kopf als bisher. Über die Höhe des Einkommens bestehen also verschiedene Ansichten.
Götz Werner, Chef der dm-Drogeriemarktkette, fordert, das Grundeinkommen von 400 Euro bis zu 1.500 Euro zu staffeln. Die Finanzierung soll über die Mehrwertsteuer erfolgen. Einkommenssteuer und Sozialversicherungen müssten abgeschafft werden. Dieter Althaus, der ehemalige Ministerpräsident Thüringens, fordert ein Grundeinkommen von 800 Euro für alle Volljährigen, Kinder sollen 500 Euro erhalten.
Der CDU-Mann schlägt vor, das Grundeinkommen über die Einkommenssteuer zu finanzieren. Auch andere Politiker und Wissenschaftler fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen in abgewandelten Formen. Nicht nur in Deutschland wird die Idee des Grundeinkommens diskutiert. Eine weltweite Bewegung, das Basic Income Earth Network, setzt sich für die Einführung des Grundeinkommens auf globaler Ebene ein. Brasilien hat sich 2003 als erstes Land der Welt dafür ausgesprochen, ein Grundeinkommen nach und nach einzuführen. Die nächste Basic-Income-Konferenz findet Ende Juni in São Paulo statt.
Die Breuninger Stiftung, die sich für ein Zusammenspiel von Bürgern und Politik einsetzt, will Mitte 2010 in zwei unterschiedlichen Gebieten in Deutschland an jeweils 100 Personen die Einführung eines Grundeinkommens für zwei Jahre testen. In Zeiten leerer Kassen Geld verteilen? Klingt wie ein Hirngespinst, wird aber heftig diskutiert. Das Versprechen: 1.000 Euro für jeden Bürger, monatlich, netto. Genug für ein entspanntes Leben nach der Schule, vermutet man. Wer mehr will, könnte im Hochlohn-Land Deutschland immer noch zur Arbeit gehen. Bedingung für dieses Modell: Alle Sozialleistungen abschaffen wie Bafög, Kindergeld oder Hartz IV.
Zwischen 500 und 900 Milliarden Euro würde das kosten, schätzen Experten die dafür notwendige Summe vom Steuerzahler. Am liebsten wollen sie auch den wachsenden Niedriglohn-Sektor der Minijobs abschaffen.
Noch ein Mal Pro und Contra von Vertretern des BGE zusammengefasst:
Pro. Diana Huber ist Mitglied im Vorstand der Berliner Bürgerinitiative Grundeinkommen. Mit Aktionen wie „Unternimm das jetzt“ fordert sie ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Hartz IV-Empfänger würden häufig verächtlich angeschaut: „Es wird vermittelt, dass man selbst schuld sei. Wer fühlt sich dann wertvoll genug, sich aktiv in dieser Gesellschaft zu engagieren?“, fragt Diana Huber. Viele Betroffene würden sich isolieren, ihre finanzielle Situation am liebsten verschweigen…
„Scham lähmt viele Menschen.“ Beim BGE geht es ihr nicht um ein schönes, neues, soziales Wohlgefühl, sondern die sozialen Einsparungen und schlechtere Arbeitsverhältnisse in der Wirtschaft. „Die Leute wachen langsam auf. Sie sehen, dass es nicht mehr so weitergehen kann wie bisher.“ Dabei geht es Huber nicht darum, überhaupt einen Job zu haben. Es würde häufig verschwiegen, dass viele Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Die müssten „als Aufstocker beim Amt auflaufen“, sagt sie…
Huber versucht, Bedenken bei Arbeitnehmern zu entkräften. Zum Beispiel Sozialleistungen als „gestrichen“ zu sehen, obwohl ein lebenslanges Grundeinkommen solche Zahlungen (bis zu 1.000 Euro) ja ersetzen und damit vereinfachen soll. Zudem seien die Anreize, einen „richtigen“, sozialversicherungspflichtigen Job zu bekommen, äußerst gering: „Wer heute auf Hartz IV ist, hat kaum eine Chance, dort wieder rauszukommen. Wer dazuverdient, bekommt Abzüge mit hohem bürokratischem Aufwand“, bemängelt Huber.
Das BGE gäbe dagegen auch eine Basis, sich ehrenamtlich für andere einzusetzen. Das Menschen mit BGE ihre Arbeitszeit drastisch reduzieren würden, hält Huber für eine wunderbare Idee: „Tun wir doch nicht so, als hätten wir ein Überangebot an Arbeitsstellen!“ Selbst wenn alle Stellenausschreibungen besetzt seien, wären noch Millionen Menschen ohne Job, rechnet sich Diana Huber aus. Die Produktivität sei heute so hoch wie nie. Mit immer weniger Menschen hinter dem PC. Bei Dienstleistungen könnten neue Jobs entstehen.
Mit wegfallenden Lohnnebenkosten durchs BGE sei das möglich. „Das birgt ein großes kreatives Potential, was Mehrwert schafft“, sagt sie. Die Statistik der Arbeitslosigkeit hält Diana Huber ohnehin für „massiv verfälscht“. Denn wer länger krankgeschrieben ist, sich mit Ein-Euro-Jobs über Wasser hält, eine Weiterbildung in Angriff nimmt oder sich selbstständig macht, wird nicht mitgezählt. Zudem hält Huber die „Angst vor Hartz IV“ für absichtlich geschürt, „damit Arbeitgeber ihre Angestellten besser ausbeuten können“.
„Erstaunlich, welche exotischen Blüten aus dem Sumpfboden unseres Wohlfahrtsstaates wuchern“, sagt Gerd Habermann über das im BGE enthaltene „Recht auf Faulheit“. Das BGE definiert der Wirtschaftsphilosoph so: Ein allen Menschen, vom Säugling bis zum Greis individuell zustehendes, staatlich garantiertes Einkommen. Das BGE soll Armut verhindern und persönliche Entfaltung ermöglichen.
„Blüten aus dem Sumpfboden“
Gängige Prüfungen der Ämter auf Bedürftigkeit sowie die generelle Verpflichtung zur Arbeit sollen wegfallen. Weitere Einkommen sollen „anrechnungsfrei“ möglich sein, ohne vom Staat für Mehrarbeit mit höheren Steuersätzen zur Kasse gebeten zu werden. So weit, so gut. Mit der Idee eines BGE würden die Vorschläge „sozialistischer Utopien“ übertroffen, die stets eine staatlich gewährte Versorgungsgarantie des Bürgers mit seiner Arbeitspflicht verknüpfen. Dass das BGE mit dem durchaus christlichen Argument der „Menschenwürde“ durchgesetzt werden soll, hält der Katholik Habermann für unverständlich. Sollte es unwürdig sein, zwecks Selbsterhaltung fürs tägliche Brot nun mal arbeiten zu müssen?
Doch einen Staat, in dem alle per Sozialhilfe auf Kosten aller anderen leben können, hält Habermann für völlig ungerecht. Die Effekte der BGE-Idee sind für ihn klar: Sinken der Arbeitsmotivation, besonders bei schlechter Verdienenden, Verknappen des Arbeitsangebotes und Ausbreiten einer „innovationsfeindlichen Rentnermentalität“, prophezeit Gerd Habermann.
Die von BGE-Befürwortern angedachte Besteuerung würde extrem hoch sein und besonders Reiche treffen, die ja auch arbeiten. Ist es tatsächlich unwürdig, sich selbst aus eigener Initiative erhalten zu müssen? Dass uns die Arbeit niemals ausgeht, zeigen Länder mit so genannter Vollbeschäftigung von der Schweiz bis Neuseeland. Zudem habe sich die Zahl der Arbeitsplätze durch umwälzendes Technisieren vermehrt.
So entgegnet Habermann den Einschätzungen der BGE-Initiative: „Die Erfindung der Eisenbahn schuf mehr Arbeitsplätze, als sie im Kutschenbereich vernichtete.“ Ebenso sei das heute in der IT-Industrie. Kapitalflucht hält der Wirtschaftsprofessor trotz diverser Argumente von Sozialverbänden für wahrscheinlich. Deutschland würde damit innerhalb Europas zum „Idealland der Sozialeinwanderung“.
Über die Autoren: Maria Henk und Jan Thomas Otte leben zwar beide nicht von Hartz4, haben aber ein Stipendium nach BaföG-Kriterien bekommen. Etwas weniger also. Weniger glücklich nicht…
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6 Kommentare
Prof. Meyer hat keine Ahnung.
Er behauptet wörtlich „In Europa gilt bei der Umsatzsteuer der Steuersatz des Landes, in dem das Produkt hergestellt wurde.“
Jeder Unternehmer weiss, dass das Gegenteil der Fall ist:
Die Umsatzsteuer ist eine Binnensteuer und für alle Produkte der gleichen Warenkategorie gleich hoch, d.h., egal ob das Produkt in Schweden, Frankreich, USA oder Deutschland hergestellt wurde, auf alle kommt die gleiche Mehrwertsteuer.
Hätte Meyer recht, hätten wir an der Kasse das absolute Steuerchaos.
Hoffentlich kennt sich Meyer wenigstens in seinem Fachgebiet etwas besser aus …
Der Grundgedanke ansich ist sicherlich nicht schlecht, aber ich selbst kann mir nicht vorstellen, dass dies tatsächlich funktionieren kann. Da stehe ich dem Thema doch noch sehr skeptisch gegenüber.